Gefängnisse:Und tschüss

Lesezeit: 2 min

In Niedersachsen brechen fünf als gefährlich eingestufte und drogensüchtige Gewaltverbrecher aus einem Maßregelvollzugszentrum aus. Es ist bereits die fünfte Flucht aus dieser Anstalt innerhalb eines Jahres.

Von Peter Burghardt

Das Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen in Brauel hat einen sperrigen Namen und einen imposanten Zaun. Ein 4,80 Meter hohes, engmaschiges Gitter mit Stacheldraht umgibt die geschlossene Anstalt für psychisch kranke und suchtkranke Straftäter. Doch in den vergangenen Monaten wurden aus der Justizeinrichtung bei Zeven immer wieder Ausbrüche gemeldet, der vorläufige Höhepunkt war an diesem Montag erreicht: Um kurz nach zwei Uhr morgens überwältigten fünf deutsche Patienten im Alter von 22 bis 28 Jahren einen Wachmann und zwei Pfleger. Der Aufpasser wurde dabei verletzt. Die Angreifer nahmen sich die Schlüssel, sperrten das Tor an der Rückseite auf und verschwanden.

Polizisten rückten bei Dunkelheit mit Streifenwagen an, ein Hubschrauber mit Wärmebild-Kamera stieg auf. Die Suchtrupps fanden zunächst: nichts. Sie wurden vorläufig auch nicht fündig, als nach Sonnenaufgang Spürhunde zum Einsatz kamen, obwohl die Tiere mit ihren feinen Nasen eine Fährte aufnahmen. "Die Spur verläuft sich", sagte am Nachmittag der Rotenburger Polizeisprecher Heiner van der Werp und antwortete auf die Frage, ob es Neuigkeiten gebe: "Leider nicht."

Für die fünf Ausbrecher sind vier Staatsanwälte zuständig, die müssen sich erst einigen

Man wisse auch nicht, ob die Flüchtigen mit einem Fahrzeug unterwegs seien und die Gegend bereits verlassen hätten. Autofahrer wurden gewarnt, keine Anhalter mitzunehmen, die Gesuchten sind drogenabhängig und gelten als gefährlich, verurteilt wegen Raubes, Erpressung, Körperverletzung und Drogenhandels. Laut van der Werp sind für die fünf Entwichenen vier verschiedene Staatsanwälte zuständig, die müssten sich für einen Antrag zur Öffentlichkeitsfahndung erst einigen.

Grundsätzlich fragt man sich bereits seit Längerem, wie gut dieses Maßregelvollzugszentrum in Brauel gesichert ist. In solchen abgeriegelten Zentren werden straffällig gewordene Menschen untergebracht, die wegen Krankheit oder Sucht für eingeschränkt oder gar nicht schuldfähig befunden wurden und deswegen nicht in ein gewöhnliches Gefängnis müssen. In Niedersachsen waren bis Anfang Juni 1262 Fälle gemeldet. Auf diese Weise soll die Umgebung vor ihnen geschützt werden und eine Behandlung stattfinden. Allerdings scheint das Netz löchrig zu sein. Mitte September 2014 entkam aus Brauel ein 21-Jähriger, er soll während seiner Flucht mehrere Überfälle begangen haben; am 1. November wurde er gestellt. Im Oktober und November 2014 verschwanden weitere Insassen aus Brauel, Moringen und Bad Rehburg - einer kehrte volltrunken freiwillig zurück, ein anderer wurde in Kassel gefasst. Im Juli 2015 floh ein 29 Jahre alter Albaner, der wegen einer Messerstecherei und angesichts seiner Drogenprobleme in Brauel einsaß, während eines Arztbesuchs in Bremerhaven. Ein Fahnder entdeckte ihn Wochen danach in Hannover.

Ein 4,80 Meter hoher Zaun nützt nichts, wenn die Ausbrecher den Schlüssel haben: die Haftanstalt Brauel. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Solche Episoden erinnern Spötter an Länder wie Mexiko, wo kürzlich der berüchtigte Rauschgiftbaron Joaquín Guzmán zwei Mal aus einem Hochsicherheitsgefängnis ausriss, diesmal dem Vernehmen nach durch einen Tunnel. So etwas kommt, ohne Tunnel, also sogar in Deutschland vor. Übrigens auch in Harburg, wo im Oktober ein Untersuchungsgefangener aus dem Amtsgericht stürmte. Oder in Rostock, wo sich ein Gewalttäter im März aus der Klinik davonmachte.

Strafbar ist eine Flucht übrigens nicht, es wäre im Falle einer erneuten Festnahme nur die Zahl der Tage in Freiheit nachzusitzen. 2014 sollen mehrere Tausend Häftlinge Ausgang bekommen haben und 80 von ihnen nicht zurückgekehrt sein. Unangenehm sind die Vorfälle von Brauel unter anderem für das niedersächsische Sozialministerium, das vor einem Jahr verschärfte Maßnahmen im Maßregelvollzug angekündigt hatte. Daraufhin wurde der Zaun um die Station erhöht, doch das hielt die fünf Ausbrecher nicht ab. Mit jeder Stunde sinke die Wahrscheinlichkeit, sie zu fassen, so Polizeisprecher van der Werp. "Die können weit weg sein oder ganz nah."

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: