Arbeit im Gefängnis:Stundenlohn: ein bis drei Euro

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Ein Strafgefangener in der Werkstatt der JVA Zeithain. (Foto: Imago Stock)
  • Gefängnisse in Deutschland funktionieren heute wie kleine Unternehmen: Häftlinge arbeiten in Vollzeit, ihr Stundenlohn beträgt aber nur ein bis drei Euro.
  • Der Verein "Gefangenengewerkschaft bundesweite Organisation" (GGBO) kämpft für eine faire Bezahlung von Häftlingen. Es geht ihnen um Wertschätzung, aber auch um eine verbesserte Resozialisierung.
  • Die Justizministerien der Bundesländer wehren sich gegen die Forderung, unter anderem mit der Begründung, dass Häftlinge dem Staat hohe Kosten verursachen.

Von Helena Ott

"Absitzen", dieses Verb gehört in der Alltagssprache zu Haftstrafen wie der Wachturm zur Gefängnismauer. In Wirklichkeit bedeutet eine Woche im Gefängnis - nicht anders als "draußen" - 35 bis 40 Stunden Arbeit. Die Häftlinge arbeiten nicht nur für die Gefängniskantine oder Wäscherei, sondern übernehmen auch Produktionsschritte für Hunderte gewerbliche Unternehmen. Darunter Großkonzerne wie Miele, Gardena, Ikea, Rossmann oder VW. Sie stecken Kabelbäume für Autos zusammen, montieren Staubsauger, stellen Stifte her oder verpacken abgezählte Schrauben. Während "draußen" mindestens 9,19 Euro, der aktuelle Mindestlohn, gezahlt wird, liegt der Stundenlohn hinter Gittern bei bundesweit ein bis drei Euro.

Viel zu wenig, sagt Häftling Manuel Matzke, gelernter Veranstaltungstechniker. "Ehrliche Arbeit sollte ehrlich bezahlt werden - auch im Gefängnis." 2014 hatte ein sächsisches Gericht den 32-Jährigen zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und elf Monaten verurteilt. Wegen Wirtschaftsbetrug, Raub und Körperverletzung kam er ins Gefängnis in Zeithain, in der Nähe von Dresden. Auf einem seiner Gehaltszettel von 2017 steht ein Monatslohn von 266,47 Euro netto, obwohl er jede Woche 38 Stunden gearbeitet hat. Zuerst in einer Lehrwerkstatt für Automechaniker und dann in der Essensausgabe der Justizvollzugsanstalt.

Häftlinge fordern Mindestlohn und Rentenansprüche

Vor sechs Monaten wurde er in den offenen Vollzug verlegt und ist seitdem auch Freigänger. Er darf jetzt draußen arbeiten, muss aber nach der Arbeit zurück in die JVA und dort übernachten. Seit vier Jahren engagiert er sich in einem Verein für Gefangene, der sich "Gefangenengewerkschaft bundesweite Organisation" (GGBO) nennt.

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Inhaftierte dürfen keine Gewerkschaft bilden, die GGBO agiert deshalb offiziell als "nicht rechtskräftiger Verein". Eine vierstellige Zahl von Häftlingen habe sich bisher angeschlossen, genauere Angaben will der Verein nicht machen. Ihre obersten Ziele sind Mindestlohn und Rentenansprüche für die Zeit im Gefängnis, sowie das Recht, eine echte Gewerkschaft zu gründen. Manuel Matzke ist mittlerweile bundesweiter Sprecher der Vereinigung.

Viele der deutschen Gefängnisse bieten nicht nur Dienstleistungen für andere Unternehmen an, sondern verkaufen auch selbstgefertigte Produkte der Inhaftierten. Dazu betreiben sie eigene Onlineshops, die klingende Namen wie "Gitterladen", "Haftsache" oder "Knastladen" haben. Dort kann man beispielsweise handmontierte Feuerschalen, Räuchermännchen im Längsstreifenlook, Vogelhäuser oder hölzerne Pflanzenkübel bestellen. Gefängnisse sind mittelständische Wirtschaftsbetriebe mit Montagehallen.

In Deutschland sind alle Inhaftierten zur Arbeit verpflichtet, außer jenen, die in Untersuchungshaft sitzen, im Rentenalter oder arbeitsunfähig sind. Für die unterschiedlichen Tätigkeiten hinter Gittern erhalten Häftlinge eine sogenannte Eckvergütung, sie entspricht neun Prozent des Durchschnittslohns aller Deutschen, die in die Rentenversicherung einzahlen. "Neun Prozent, das ist keine Wertschätzung, das ist viel zu wenig", sagt der Kriminologe Bernd Maelicke. 15 Jahre lang steuerte er als Ministerialdirigent den Strafvollzug in Schleswig-Holstein, kürzlich erschien sein Buch "Das Knast-Dilemma" in aktualisierter Auflage, in dem er grundlegende Defizite im deutschen Vollzug kritisiert. Darunter auch den niedrigen Verdienst der Häftlinge. Die Haft sei eine Freiheitsstrafe und dürfe keine zusätzlich finanzielle Bestrafung sein, sagt Maelicke.

Im Gefängnis ist vieles teurer

"Mit diesem mickrigen Einkommen wird dir im Gefängnis eher vermittelt: Ehrliche Arbeit zahlt sich nicht aus", sagt Gefangenensprecher Manuel Matzke. Die 100 bis 300 Euro im Monat müssen auch reichen, um damit Zahnpasta, Duschgel, Zeitschriften oder Telefonate zu bezahlen. Letztere sind in den meisten Haftanstalten deutlich teurer als "draußen". Ein Anruf von 30 Minuten auf ein Mobiltelefon kostete auch in Matzkes JVA in Zeithain bis 2016 noch 21 Euro. Aber Matzke hat dagegen geklagt und vor Gericht Recht bekommen, nun kann man für zehn Cent pro Minute auf Handys anrufen. Andere Haftanstalten sind jedoch bei ihren hohen Telefonkosten geblieben.

Zudem seien Aufgaben in den Werkstätten der Gefängnisse oft eintönig, und Aufseher "gängelten" die Häftlinge bei der Arbeit manchmal und behandelten sie "von oben herab", sagt Matzke. Trotzdem seien die Wochenenden "das Schlimmste, da ist vegetieren angesagt, das ist sehr trostlos und die zwei Tage ziehen sich unheimlich". Matzke habe sich mit seinen Straftaten auseinandergesetzt, sagt er. "Mittlerweile kann ich mich wieder im Spiegel angucken."

"Ehrliche Arbeit zahlt sich nicht aus": Gefangenensprecher Manuel Matzke. (Foto: E. Richter)

Doch unter den JVA-Bediensteten gebe es zwei Gruppen: Die Freundlichen, die normal mit einem reden würden und sagen: "Hey, komm zu mir, wenn du Probleme hast." Und die anderen, die einen herabsetzen und spüren lassen würden, dass man "Abschaum" sei.

Seit er Freigänger ist, macht Matzke ein Praktikum beim Ortsverband der Linken in Riesa, neun Kilometer von der JVA entfernt. Obwohl er seit dem Schulabschluss gearbeitet hat, macht er sich Sorgen, einmal nicht von seiner Rente leben zu können. Während der Haft zahlen Gefangene nicht in die Rentenkasse ein und bekommen dementsprechend später auch weniger Geld. Gerade für Häftlinge mit langen Strafen sei die Altersarmut damit vorgezeichnet, sagt Matzke. Resozialisierung sieht für ihn anders aus.

Die Gefahr, dass Ex-Häftlinge später noch einmal im Gefängnis landen, ist groß. 60 bis 70 Prozent werden wieder straffällig.

Viele Gefangene verlassen hoch verschuldet die Gefängnistore. Während der Haft stauen sich Unterhaltszahlungen an, Gerichts- und Anwaltskosten werden erhoben, zum Teil muss ein Täter-Opfer-Ausgleich bezahlt werden. Häftlinge, die schon während der Haft fair honoriert würden, erlebten die Arbeit und den zugehörigen Verdienst als etwas Positives und müssten nach der Haft nicht um ihre Existenzgrundlage bangen, sagt Matzke.

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Doch Forderungen nach höherem Lohn schmettern die Justizministerien der Bundesländer ab; ebenso wie Bildung ist der Vollzug Ländersache. Gefangene seien keine Arbeitnehmer, sagt eine Sprecherin des bayerischen Justizministeriums. Beim Mindestlohn gehe es darum, dass Menschen mit dem verdienten Geld ihren Lebensunterhalt bezahlen könnten. Arbeit im Justizvollzug hingegen hätte primär die Resozialisierung als Ziel.

Es geht um Wertschätzung und eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit

Doch der niedrige Lohn widerspricht dem Bestreben, Menschen nach ihrer Haft wieder in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt einzugliedern, so sieht das auch der Kriminologe Bernd Maelicke. Wertschätzung, eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit und soziale Beziehungen seien entscheidende Faktoren der Resozialisierung, sagt er. Es sei ein wichtiger Schritt für Gefangene, nach und nach Schulden tilgen zu können und selbst in der Lage zu sein, Unterhalt zu zahlen. Die Gefangenen bekämen so das Gefühl, ihr Leben mit eigenem Bemühen und Verdienst wieder in geregelte Bahnen lenken zu können.

Justizministerien dagegen stellen sich gegen eine Lohnerhöhung. Und das seit fast 50 Jahren. So alt ist die Forderung nach einer fairen Bezahlung von Gefangenen und Rentenzahlungen schon. Die Justizbehörden der Länder argumentieren unter anderem mit den Kosten, die ein Gefangener pro Tag verursacht. In Bayern sind es 113,43 Euro, in Berlin 150,48 Euro. Das bayerische Justizministerium weist schriftlich darauf hin, dass im vergangenen Jahr 39,9 Millionen Euro Arbeitseinnahmen durch die Häftlinge Gesamtausgaben für den Justizvollzug von 436,4 Millionen Euro gegenüberstanden, Bau und Instandhaltung der Anstalten mit eingerechnet.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist für mehr Härte gegen Straftäter

Bernd Maelicke ist überzeugt, dass sich viel Geld sparen ließe, wenn man mehr Gefangene für den offenen Vollzug auswählen und mehr Strafen zur Bewährung aussetzen würde; und sich so gleichzeitig sogar die Rückfallquote senken ließe.

Doch obwohl die Kriminalitätsrate jährlich weiter sinkt, spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung für mehr Härte gegen Straftäter aus.

© SZ vom 17.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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