Gedenkfeier für Jonny K. auf dem Alexanderplatz:"Ich will nicht, dass ihr traurig seid"

Gedenken zum 1. Todestag von Jonny K.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (3.v.r, mit Rose) und Innensenator Frank Henkel (Mitte) ehrten in ihren Reden das Engagement von Jonnys Schwester Tina K. (li.) gegen Gewalt.

(Foto: dpa)

Sie lacht, selbst wenn ihr Tränen in die Augen steigen - Tina K. hat dafür gesorgt, dass ihr Bruder Jonny nicht vergessen wird. Ein Jahr nach seinem Tod enthüllt sie gemeinsam mit Berlins Regierendem Bürgermeister Wowereit eine Gedenktafel auf dem Alexanderplatz.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Da liegt sie, die rechte Hand von Jonny K. Seine Familie hat einen Abdruck machen lassen, als der leblose Körper in der Pathologie lag. Nun ruhen die zierlichen Finger als Guss auf einer bronzenen Platte, mitten auf dem Gehweg vor einem Eiscafé auf dem Alexanderplatz - dort, wo Jonny K. genau vor einem Jahr starb.

Die Finger sollen an das Schicksal des damals 20-Jährigen erinnern, der nach einem Discobesuch brutal zusammengeschlagen wurde, aber auch ein Zeichen für Zivilcourage sein. Denn Jonny K. hatte versucht, einen Freund vor den jugendlichen Schlägern zu schützen.

Der Fall löste deutschlandweit eine Debatte über Jugendgewalt aus. Dementsprechend hoch ist das Medienaufgebot bei der Einweihung der Gedenktafel. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kommt gemeinsam mit Innensenator Frank Henkel (CDU).

Hinter einer Absperrung stehen ungefähr 150 Menschen, einige tragen weiße T-Shirts mit dem Konterfei des Jungens, dessen Zeige- und Mittelfinger zum Peace-Zeichen erhoben sind - ein Widerspruch zu der kraftlos wirkenden Hand auf dem Boden. Jonnys große Schwester Tina fragt immer wieder in die Menge, ob noch jemand ein T-Shirt haben möchte, ob sich alle wohl fühlen. Sie versucht, in Bewegung zu bleiben, lacht - selbst, wenn ihr die Tränen in die Augen steigen.

Jonnys Schwester sorgt dafür, das ihr Bruder nicht in Vergessenheit gerät

Tina K. hat im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass ihr Bruder nicht in Vergessenheit gerät und die Diskussion um sein Schicksal nicht einfach wieder abbricht. Sie gründete den Verein "IamJonny", sie organisierte Präventionsworkshops an Schulen. Der Verein soll in eine Stiftung umgewandelt werden. Das große Ziel ist ein Jugendhaus mit Angeboten für Betroffene.

Zu Beginn des Jahres erhielt Tina K. für ihr Engagement den Bambi. Sie war bei Sandra Maischberger und Markus Lanz zu Gast, um ihre Geschichte zu erzählen. Während des Prozesses, als die Täter vor Gericht standen, die ihren Bruder totgeschlagen haben, saß sie als Nebenklägerin im Gerichtssaal. Gegen die sechs Männer wurden Haftstrafen verhängt, doch das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verteidiger des Haupttäters Onur U. hat angekündigt, Berufung einzulegen. Tina K. muss damit leben, dass die Täter frei herumlaufen. Darüber wolle sie heute gar nicht nachdenken, sagt sie.

Viele Menschen sind an diesem Tag auch wegen ihr gekommen. Sie wollen sie umarmen, ihr die Hand drücken. "Du bist für viele ein Vorbild", flüstert ihr eine Frau ins Ohr. "Ich bewundere dich", sagt eine andere. Und manchmal ist nicht ganz klar, wer eigentlich Trost braucht. Eine weinende Mutter lehnt sich an ihre Schulter. Tina K. verspricht ihr ein Treffen. Einem kleinen Mädchen mit verquollenem Gesicht erklärt sie, es sei die Aufgabe aller, die Welt ein bisschen besser zu machen.

Erst am Wochenende gab es eine Schlägerei am Alexanderplatz

Als die 29-Jährige ans Rednerpult tritt, ist sie gefasst. Sie redet nur kurz, hinter ihr stehen Freunde und Bekannte - einige waren mit Jonny K. unterwegs und lagen vor einem Jahr im Krankenhaus. "Jonnys Herz schlägt nicht mehr", sagt Tina und durchdringt damit den Lärm einer benachbarten Baustelle. "Ich will nicht, dass ihr traurig seid. Jeder Einzelne von uns kann etwas tun, damit so etwas nie wieder passiert." Nach ihr spricht Innensenator Frank Henkel und würdigt das Engagement der jungen Frau. "Du bist das Gesicht der Hoffnung, dass sich etwas ändert", sagt er. Henkel hatte nach dem Vorfall die Berliner Polizei angewiesen, stärker Präsenz auf dem Alexanderplatz zu zeigen. Seit Dezember sind zwei Beamte mit dem "Kontaktmobil" unterwegs. Ab November sollen zusätzlich sechs Polizisten Streife gehen. Sie sollen den Menschen das Gefühl von Sicherheit geben.

Doch verhindern lassen sich Gewalttaten dadurch nicht. Erst am Wochenende kam es am Alexanderplatz zu einer Schlägerei, bei der drei Menschen verletzt wurden. Ein Mann erlitt einen Schädelbasisbruch, zwei andere wurden durch Messerstiche leicht verletzt. "Wir müssen etwas in den Köpfen ändern", sagt Henkel im Hinblick auf solche Meldungen. Und auch Bürgermeister Klaus Wowereit macht deutlich, dass nicht nur Polizei und Justiz gefragt sind. "Wir brauchen keine schärferen Gesetze, wir brauchen eine innere Haltung der Menschen zum Thema Gewalt. Die kann aber nicht von oben angeordnet werden", sagt er.

Wowereit legt eine weiße Rose neben die Hand von Jonny K. Auch Freunde und Bekannte legen Blumen nieder. Und dann ist der Moment gekommen, in dem auch Tina K. nicht mehr kann. Ihr Vater, der im Rollstuhl sitzt, humpelt, von Henkel gestützt, an die Platte. Seine Tochter ergreift seine Hand und bricht in Tränen aus. Die Kameras klicken, Tina versteckt das Gesicht hinter dem breiten Kreuz ihres Vaters. Minuten später hat sie sich wieder gefangen. Auf die Frage eines Journalisten, ob sie den Alexanderplatz bisher gemieden hat, schaut sie ihn fest an. "Ich habe in dem vergangenen Jahr nicht einmal einen Bogen um den Alexanderplatz gemacht - und das wird sich auch nicht ändern."

Lesetipp: Ein ausführliches Porträt über Tina K. und ihren Kampf gegen Gewalt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: