Gedenken an Johannes Paul II.:Der andere Ratzinger

Am 2. April 2005 starb sein Vorgänger. Bei den Gedenkfeiern in Rom hat die Welt einen Papst erlebt, der emotional bewegt und gerührt war wie selten zuvor.

Blass, beinahe mitgenommen tritt Benedikt XVI. vor die Gläubigen - als gehe ihm der Tod seines Vorgängers vor einem Jahr noch heute unter die Haut. Über dem Petersplatz strahlt die Sonne, schöner kann ein Frühlingstag in Rom nicht sein. Fast im Detail beschreibt Ratzinger den langen Kampf Johannes Pauls II. gegen die Krankheit: "Als er nicht mehr reisen konnte, nicht mehr gehen konnte und am Ende nicht einmal mehr sprechen konnte." Mehrmals unterbricht Benedikt seinen Vortrag, legt kurze Pausen ein. Zeigt der "Kopfmensch" Ratzinger so seine Emotionen?

Im polnischen Krakau hängt dagegen an diesem Sonntag der Himmel grau und tief über der Stadt. Hier hält der neue Erzbischof Stanislaw Dziwisz die Messe. Die Atmosphäre von Trauer und Abschied, die vor einem Jahr das ganze Polen erfasste, ist erneut zum Greifen nahe. In Krakau war Karol Wojtyla selbst Bischof gewesen, viele Gläubigen kennen ihn hier persönlich. Kaum jemand kennt Johannes Paul so gut wie Dziwisz, er war Jahrzehnte lang sein Privatsekretär. Er war auch in der Sterbestunde bei ihm, an jenem 2. April, um 21.37 Uhr. "Es war, als ob die Welt in diesem Moment den Atem anhielt", erinnert sich Dziwisz heute.

Ein Jahr danach - nicht nur die katholische Welt gedenkt eines großen Papstes. Kaum ein anderer Kirchenführer ist derart entschlossen ins Rampenlicht der Kameras getreten, hat die Medien eingesetzt für seine Botschaft. Ausdrücklich erinnert Ratzinger nicht nur an die über 100 Auslandsreisen des langjährigen Oberhaupts der römisch-katholischen Kirche, ausdrücklich verweist er auf dessen politische Rolle, auf seine kompromisslose Friedenspolitik, seinen Kampf gegen Ausbeutung. Der charismatische Pole setzte Maßstäbe - auch und gerade für den Nachfolger.

Popularität kaum nachzuvollziehen

"Er hat ein tiefes Zeichen in der Geschichte der Kirche und der Menschheit hinterlassen", ruft Ratzinger über den Petersplatz. Seit Tagen strömen die Pilger in Massen nach Rom. Niemand weiß genau, wie viele Hunderttausende dieser Tage in die Ewige Stadt gekommen sind. Über vier Millionen Menschen haben seit einem Jahr das schlichte Grab unter dem Petersdom besucht, gleich neben der Grabstätte des Apostel Petrus, dem "ersten Papst" der christlichen Kirchengeschichte. Manche Gläubige hinterlassen dort kleine "Dankeszettel". Auf einem steht: "Danke, dass Du mich zum Glauben geführt hast."

Vor allem unter den Gläubigen in Polen gibt es derzeit nur ein Thema: Wann wird "Johannes Paul der Große" selig gesprochen? Manchen kann es gar nicht schnell genug gehen, verwegene Geister denken bereits darüber nach, ob Papst Benedikt ihn nicht gleich heilig sprechen könnte. Der polnische Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz heizt solche Spekulationen geradezu an. "Für mich ist Johannes Paul jetzt schon heilig", sagt der Politiker. Papst Benedikt hat zu diesem Thema beim Sonntagsgebet laut und vernehmlich geschwiegen. Doch Ende Mai ist er zum Besuch in Krakau - könnte sich der kühle "Kopfmensch" dann zu einer großen Geste hinreißen lassen?

Ein Jahr danach - noch immer ist die Popularität des in vielen Dingen tiefkonservativen Papstes Johannes Paul für viele Beobachter kaum nachzuvollziehen. "Papst Wojtyla und Ratzinger haben die Kirche von ihrem Minderwertigkeitskomplex befreit", sagt Bischof Rino Fisichella, Rektor der Lateran-Universität in der italienischen Hauptstadt. So recht erklären kann er das Phänomen aber auch nicht. "Es waren bewegte Jahre mit Johannes Paul", meint ein deutscher Theologe in Rom. "Vieles ist liegen geblieben während der letzten Jahre des Pontifikats Wojtyla." Vatikanisten nennen dabei vor allem zwei Themen: Lockerung des Zölibats und Kommunion für Wiederverheiratete nach einer Scheidung. "Hier muss Benedikt handeln" - nach den Feierlichkeiten für den großen Vorgänger.

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