Süddeutsche Zeitung

Gebraucht-Lyrik:Donald, Dichter und Denker

Ein amerikanischer Journalist hat Reden von US-Verteidigungsminister Rumsfeld analysiert und darin wahre Poesie entdeckt.

Wolfgang Koydl

Die Sprache der internationalen Politik hat er schon bereichert mit seiner prägnanten Unterscheidung in alte und neue Europäer. Seine von ge-schliffenen Bonmots und messerscharfen Sottisen funkelnden Briefings besaßen schon immer mehr Unterhaltungswert als Informationsgehalt. Doch nun wird eine ganz neue Seite des amerikanischen Verteidigungsministers publik: Der Dichter Donald Rumsfeld.

"Pieces of Intelligence" heißt das schmale Lyrikbändchen, das dieser Tage auf den Markt kam und das die "Existentielle Poesie" von D. H. Rumsfeld enthält - wie der Autor mit einer ehrerbietigen Verbeugung in Richtung des englischen Schriftstellers D. H. Lawrence tituliert wird.

Es handelt sich freilich - im Wortsinn - um reine Gebrauchslyrik, denn die Gedichte sind allesamt Rumsfelds Interviews und Reden entnommen. Wie Goldnuggets in einer Felsader liegen die Sonette, Balladen und lyrischen Gedichte im Geröll des politischen Wortes verborgen. Es war das Verdienst des New Yorker Journalisten Hart Seely, sie freizulegen und sorgsam zu polieren.

"Wie Homers Epen oder moderne schwarze amerikanische Straßenpoesie, so entstand auch Rumsfelds Oeuvre als mündliche Improvisation", schreibt Seely in seinem Vorwort und empfiehlt folgerichtig, dass die Werke des Ministers am besten laut gelesen werden sollten.

Manchmal, so Seely, komponiere Rumsfeld "jazzige, lyrische Akkorde, die im Rhythmus seiner Kindheit auf den Straßen von Chicago pulsieren". Dies sind Gedichte wie jenes über den Wandel, die danach schreien, von Paul McCartney oder mindestens Paul Anka vertont zu werden.

Dann wieder "entfaltet (Rumsfeld) homerische Erzählungen", oder er legt "das Feingefühl eines Cowboys" an den Tag. Doch immer, so Seely "gibt er sich der Muse im Angesicht der Mikrophone hin".

An dem Politiker Rumsfeld, der zu den scharfkralligsten Washingtoner Falken zählt, scheiden sich die Geister: Man lehnt ihn ab oder man bejubelt ihn; gleichgültig lässt er niemanden.

Sein literarisches Werk trägt dem Rechnung. In den "Gesängen von mir" beschäftigt er sich mit der eigenen Person, wobei er zu schonungslosen Selbsterkenntnissen gelangt: "Ich bin brüsk / Ich bin ungeduldig. / Es steckt in den Genen. / Ich kann es nicht ändern." Rumsfeld beherrscht die ganze Bandbreite klassischer und moderner Dichtung, und er beschränkt sich nicht nur auf westliche Traditionen.

So finden sich japanische Haiku von perfekter Harmonie. Bei diesen Silbengedichten steht eine siebensilbige zwischen zwei fünfsilbigen Zeilen: "Eine Regierung / Regiert oder nicht. Wenn nicht / So tut's ein andrer" beschäftigt sich mit den Staatsgeschäften. Ein anderer Haiku setzt sich mit dem Problem auseinander, Fragen von Journalisten abzuwehren: "Ich arbeite dran / Mir zu überlegen wie / Ich nicht antworte." Mit solch funkelnden Juwelen brilliert freilich sogar Reimschmied Rumsfeld selten. Stattdessen pariert er lästige Fragesteller gewöhnlich mit einem sprachlichen Trick, den er zwar nicht erfunden, aber perfektioniert hat: Das Frage-und Antwort-Spiel mit sich selbst.

Das läuft meist nach diesem Schema ab: "Hätten wir das anders machen können? - Aber klar. - Haben wir uns dagegen entschieden? - Selbstverständlich. - Passt das einigen nicht? - Ach Gott ja, aber was soll's."

Rumsfeld selbst hat auf die Veröffentlichung seiner unfreiwilligen Lyrik noch nicht reagiert - weder in Versform noch in Prosa. Einen Hinweis auf dieses Schweigen liefert womöglich "Das Unbekannte", sein wohl dunkelstes Werk.

"Es gibt Dinge, die wir nicht kennen", warnt der Dichter. "Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte."

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