Platzmangel in Moscheen:Zu Allah beten im Tropenhaus

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Im Oktober 2016 beteten Potsdamer Muslime erstmals in der begrünten Orangerie der "Biosphäre" in Potsdam. (Foto: Ralf Hirschberger/picture alliance/dpa)
  • In Moscheen vieler deutscher Städte herrscht akuter Platzmangel.
  • In Potsdam beten die Muslime in der "Biosphäre", in Hamburg in einer Tiefgarage.
  • Betroffene sprechen von "gebetsunwürdigen" Zuständen. Ein Kirchenarchitekt sieht die Gemeinden in der Pflicht.

Von Dunja Ramadan, München

Bis Mitte Mai liefen Freitagsgebete im Zentrum Münchens in etwa so ab: Beim Niederknien stießen die Betenden mit dem Kopf an den Rücken ihres Vordermannes, beim Aufstehen schmerzten vielen die Knie vom Sitzen auf der Treppenkante oder auf dem Asphalt des Parkplatzes im Hof. Bis in den Gebetsraum schafften es viele Gläubige nicht, im Münchner Forum für Islam (MFI) war die Tür zur Moschee häufig bereits vor Beginn des Freitagsgebets geschlossen. Von außen rüttelten einige Nachzügler an der Tür, klopften, gingen einen Schritt zurück, um zu sehen, ob sie auch wirklich richtig stehen.

Mittlerweile hält auch das MFI keine Gebete mehr ab, zuvor wurden bereits fünf Moscheen im südlichen Bahnhofsviertel wegen Überfüllung geschlossen. Die Auflagen für den Brandschutz seien nicht mehr beachtet worden, sagen die Vermieter. Der Bedarf ist wegen der vielen Geflüchteten gestiegen, sagen die Gemeinden.

Auch in anderen deutschen Städten herrscht akuter Platzmangel. In Potsdam reichten die 120 Quadratmeter der Al-Farouk-Moschee wegen der vielen Geflüchteten nicht mehr aus, rund 200 Gläubige beteten bis Herbst vergangenen Jahres auf dem Bürgersteig. Viele Anwohner fühlten sich davon gestört, die Potsdamer AfD machte Stimmung und baute in der Nähe zur Moschee einen Stand auf. Als im Oktober Unbekannte einen Schweinekopf vor die Moschee legten, solidarisierten sich viele mit der muslimischen Gemeinde.

Sechs Tage später war das Platzproblem erst einmal gelöst: Die Muslime konnten inmitten von tropischen Gewächsen beten, in einer Halle im Volkspark. Derzeit übernimmt die Stadt Potsdam die Miete von 1500 Euro pro Freitagsgebet in der "Biosphäre", da die Gemeinde nicht genügend aufbringen kann. Auch das Land Brandenburg hat reagiert und der Stadt 30 000 Euro überwiesen, um bis zum Sommer geeignete Räumlichkeiten zu finden.

In Hamburg leben 150 000 Muslime, die fünfzig Gebetsräume und zwei repräsentative Moscheen zur Verfügung haben. Daniel Abedin, Vorsitzender der Al-Nour-Moschee, hält die Situation in vielen Gebetshäusern für "generell gebetsunwürdig". Seine Gemeinde ist in einer ehemaligen Tiefgarage untergebracht. Am Freitag kommen 2500 Gläubige zum Gebet, so Abedin. "Es gab keinen Millimeter Platz, der nicht genutzt wurde, Schuhe und Taschen lagen auf der Straße, damit kein Platz verschenkt wird." Trotzdem beteten viele auf dem Bürgersteig, die Polizei riegelte die Straße ab, Anwohner und Passanten fühlten sich gestört. "Wir hatten Sorge, dass unser Gebet auf der Straße sogar Ängste schürt", sagt Abedin. Seit fast einem Jahr wird deshalb in zwei Schichten gebetet.

Mittlerweile hat die Gemeinde der Al-Nour-Moschee eine einstige evangelische Kirche in Hamburg gekauft, die zehn Jahre lang leer stand. Erst kaufte ein Investor die Kirche, später die Gemeinde. 40 Prozent der 2,5 Millionen Euro für die Sanierung kamen aus Kuwait, der Rest waren Spenden. 2013 hatten Rechtsradikale Proteste angekündigt, es kamen nur wenige, dafür 600 Gegendemonstranten. Abedin sagt, der Umbau soll eine Ausnahme bleiben. "Wir wollen keine Kirchen in Moscheen umwandeln, das würde ein falsches Signal in die Gesellschaft senden." Derzeit stockt der Umbau wegen fehlender Spenden, die Eröffnung ist für Anfang 2018 geplant.

Der Hamburger Kirchenarchitekt Joachim Reinig sieht auch die Stadtplanung in der Verantwortung. Moscheevereine müssen bei der Suche nach Räumen oft mit Investoren für Gewerbe- und Wohnimmobilien konkurrieren. Die Stadt müsse hier eingreifen und Standorte für religiöse Nutzung kennzeichnen, sonst hätten die Gemeinden keine Chance, sagt Reinig. Man müsse den Bedürfnissen aller Bürger gerecht werden. "Muslime zahlen schließlich auch Steuern", sagt Reinig.

2013 untersuchte er die Situation von 42 islamischen Gebetsräumen in der Stadt. Die Studie wurde vom Hamburger Senat finanziert. Das Resultat: Die meisten Muslime beten in Hinterhöfen, Tiefgaragen, Plattenbauten, Gewerbehäusern oder Einfamilienhäusern - und selbst hier reiche oft der Platz nicht. Seitdem habe sich kaum etwas geändert, sagt Reinig. 15 Jahre lang wurde unter seiner Leitung das Hamburger Wahrzeichen, der Michel, saniert. Er findet es wichtig, dass auch Moscheen im Stadtbild erkennbar sind. "Die Menschen wollen gesehen werden. In einem Gotteshaus muss man zur Ruhe kommen." Einmal hätte er beinahe eine neue Moschee gebaut, doch nach dem 11. September scheiterte das Projekt an der Finanzierung. "Keine Bank wollte das Vorhaben mehr finanzieren."

Minarette dürften nicht länger als Herrschaftsanspruch verstanden werden, findet Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe. Städte und Kommunen müssen gegen Stimmungsmache von rechts einstehen, sagt Rohe. "Hier sozialisierte Muslime wollen mit dem Wunsch nach einer repräsentativen Moschee vor allem eins sagen: Wir gehören dazu und das darf man auch sehen."

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Doch auch Muslime müssten für ihre Infrastruktur sorgen, so Rohe. "Die Stadt verstößt gegen das Neutralitätsgebot im Grundgesetz, wenn sie einen einzelnen Moscheeverein finanziell unterstützt", so Rohe. Doch Städte und Kommunen können soziale und kulturelle Aktivitäten der Moscheegemeinde bezuschussen. Im Fall von Potsdam hat die Stadt die Miete übernommen. Die Kosten seien "zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie zum Schutz der Gesundheit der Betenden" nötig gewesen, teilte das Sozialdezernat mit.

Ein Fall machte im vergangenen Jahr deutschlandweit Schlagzeilen: In Monheim in Nordrhein-Westfalen überließ Bürgermeister Daniel Zimmermann den örtlichen Moscheevereinen Grundstücke im Wert von knapp 900 000 Euro, damit sie zwei Moscheen bauen können. Ihm gehe es darum, die Gemeinden "aus den Hinterhöfen rauszuholen".

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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