Süddeutsche Zeitung

Gebäude aus Fernsehserie:In der Schwarzwaldklinik wird wieder behandelt

Generationen deutscher Fernsehzuschauer erkennen sie sofort: die Schwarzwaldklinik. Das alte Gebäude stand jahrelang leer. Nun hat es einen neuen Besitzer - und darf endlich wieder ein Krankenhaus sein.

Von Roman Deininger, Glottertal

Ein erwachsener Mann braucht drei Sekunden, um die "Klausjürgen-Wussow-Brücke" in voller Länge zu überqueren, die Klausjürgen-Wussow-Brücke ist eher ein Steglein, ohne das man über das Bächlein darunter wohl ahnungslos hinweggehen würde. Drei Sekunden ohne Herumtrödeln natürlich, man kann es auf der Brücke auch deutlich länger aushalten, wie in der Abendsonne gerade ein fotografisch ambitioniertes Ehepaar aus Bremen mit Hilfe seiner iPhones beweist.

In den Zeiten, in denen Klausjürgen Wussow höchstselbst regelmäßig am späteren Standort seiner Brücke vorbeischaute, hätten die beiden schon locker zwei Mal den Film in der Kamera wechseln müssen. Und wenn sie den Lieben daheim hätten mitteilen wollen, dass sie "mitten auf der Wussow-Brücke" stehen - sie hätten sich am Münzfernsprecher in Fritz Schills Café erst einmal anstellen müssen.

"So wie damals", sagt Schill, "wird es nie wieder werden." Schill, 66, ist der Archivar der goldenen Achtziger von Glottertal, er hält die Erinnerung an sie lebendig mit einer Brücke und einem Café, das gleichzeitig ein Museum ist. Blumenpolster auf den Stühlen, Zierdeckchen auf den Tischen. Ein erwachsener Mann braucht hier weniger als drei Sekunden, um sich zurückzufühlen in die gute, alte Bundesrepublik, als das Fernsehen für die Deutschen noch eine Wärmflasche war - und nie besser wärmte als mit den Bildern von jenem imposanten Gebäude, das sich ein paar hundert Meter oberhalb des Café Schill im Wald verbirgt.

"Das ist ein sehr guter Standort"

Im Serien-Vorspann nähert sich die Kamera der "Schwarzwaldklinik" im Flug, dem steilen Ziegeldach, den mächtigen Giebeln aus dunklem Holz. So frei, wie man sie vom Bildschirm kennt, kann man die Schwarzwaldklinik vom Boden aus nicht fotografieren, sie wirkt auch kleiner in echt. Der Carlsbau, 1914 als Sanatorium eröffnet, beherbergte in fast einem Jahrhundert Reha-Einrichtungen und Krankenhäuser - aber kein Arzt hat hier je operiert. Selbst Klausjürgen Wussow als Professor Brinkmann nicht: Die Innenaufnahmen entstanden in einem Studio in Hamburg.

Acht Jahre lang steht das sechsstöckige Haus nun schon leer; zwischenzeitlich fürchte man in Glottertal gar, es würde sich ein Bordell einmieten. Die Verkehrsschilder in der Nähe rosten, die Laternen im Hof muss man im Gestrüpp erst mal suchen. Einst kurte Ludwig Erhard hier vor den Toren von Freiburg, die hohen Jugendstilsäle in der Beletage verraten noch vergangenen Glanz, der Stuck an der Decke, der Kamin im Eck.

Von der erfolgreichsten deutschen Fernsehserie der Geschichte, von den 73 Folgen, die hier zwischen 1984 und 1989 gedreht wurden, von den bis zu 28 Millionen Zuschauern, die sich Samstag für Samstag vor der damals so genannten Mattscheibe versammelten, so viele wie nie vorher und nie nachher, Fußball-WM-Finals mal außen vor - von all dem kündet nur noch der Eingangspavillon mit einem verwitterten Schriftzug, der wohl einmal lila gewesen sein muss: "Schwarzwaldklinik".

Das Schild wird bald verschwinden. Zum 100. Geburtstag im Sommer 2014 soll wieder Leben einkehren in den Carlsbau, das wahre. Die Schwarzwaldklinik darf endlich wieder Klinik sein.

Die Verträge sind frisch unterschrieben, zum 1. August übernimmt die Freiburger Kur und Reha GmbH das Haus von der Deutschen Rentenversicherung. Melchert Frank, der Geschäftsführer der Kur und Reha, empfängt in seinem Freiburger Büro unter zwei Sehnsuchtspostern: Eines zeigt einen philippinischen Traumstrand, das andere die Schwarzwaldklinik. Eine in Freiburg ansässige Akutklinik für psychosomatische Erkrankungen werde nach Glottertal ziehen, erklärt Frank, für körperliche Beschwerden also, die durch psychische Belastung hervorgerufen werden. "Das ist ein sehr guter Standort, die Abgeschiedenheit bietet die Möglichkeit zu Besinnung."

25 Betten und 25 Tagesplätze sind geplant, vier Millionen Euro sollen investiert werden, in eine moderne Pelletheizung, neue Fenster, eine Sprinkleranlage für den Brandschutz. Frank sagt: "Die Struktur werden wir aber unverändert erhalten." Vor vielen Jahren hat er ein Praktikum im Carlsbau gemacht, 1994 war er sogar Betriebsleiter in der dortigen Mutter-Kind-Klinik. Er hat alles noch erlebt: Bis zu 60 Touristenbusse täglich, Belagerungszustand in Glottertal. "Die Ärzte sind mit dem Auto manchmal gar nicht durchgekommen zur Arbeit." Die Patienten hätten sich beobachtet gefühlt wie Tiere im Zoo.

Heute sind es noch ein paar Autos täglich, Foto auf der Wussow-Brücke, rauf zur Klinik. Klar, man freue sich über das Interesse, sagt Frank. "Aber reinlassen können wir die Leute natürlich nicht."

Dafür dürfen sie bei Fritz Schill rein, um bei einem Kännchen Kaffee und einer Schwarzwälder Kirsch die mit Fotos tapezierte Wand zu studieren: Professor Brinkmann macht Schwester Christa schöne Augen, Pfleger Mischa flieht vor der resoluten Oberschwester Hildegard. Einige der Darsteller sind mittlerweile gestorben, auch Klausjürgen Wussow ist schon sechs Jahre tot, Schill war auf seiner Beerdigung.

Eines, sagt Schill, werde aber nie sterben, davon sei er fest überzeugt: "Das ist die Sehnsucht der Leute nach einem Menschen, dem sie vertrauen können, einem guten Kerl wie diesem Professor Brinkmann." Selbst jetzt, wo TV-Ärzte Dr. House heißen und drogenberauschte Irre sind.

Früher, erzählt Schill, hätten sich Schwerkranke im Rettungswagen ans Klinikportal bringen lassen und darauf bestanden, sofort von Brinkmann persönlich behandelt zu werden. Einmal kam eine alte Dame zu ihm ins Café, sie war verstört, weil Mitfahrer in ihrem Bus behaupteten, Brinkmann sei gar kein Arzt. Fritz Schill hat ihr gesagt: "Ach, wissen Sie, die Leute sind so bös', glauben Sie denen kein Wort."

Die "Schwarzwaldklinik" hat Fritz Schills Leben auf den Kopf gestellt. Er war Friseur, bevor er Café-Betreiber und Souvenirhändler wurde. Das sei einträglicher gewesen und erfüllender. Andere Glottertaler dagegen waren genervt vom großen Ansturm auf ihre kleine Gemeinde. Das wiederum nervt Schill bis heute: "Keiner hier unten kümmert sich mehr um das Thema Schwarzwaldklinik. Wenn wir mal den Laden zumachen, ist es vorbei."

Oben in der Klinik, da zumindest wird es jetzt weitergehen.

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Quelle:
SZ vom 31.07.2013/fran
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