SZ-Kolumne "Bester Dinge":Schief ist attraktiv

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(Foto: Boris Roessler/dpa)

Pisa? Lächerlich! Den schrägsten Turm der Welt findet man nicht in Italien, sondern in Gau-Weinheim. Kommen jetzt die Touristenhorden nach Rheinland-Pfalz?

Von Anna-Lena Jaensch

Der Mensch tut sich schwer damit, Makel zu akzeptieren. Also begradigt der Instagram-Filter die asymmetrischen Augenbrauen - wisch, und weg. Botox formt die krumme Nase zum Stupsnäschen, und eine Spange presst den schiefen Zahn ins Idealbild des perfekten Lächelns. Den Bewohnerinnen und Bewohnern des rheinland-pfälzischen Örtchens Gau-Weinheim dürfte all das Optimieren aber ziemlich schräg vorkommen. Schief ist attraktiv, findet die Gemeinde. Ihren krummen Kirchturm hat sie deswegen dem Rekord-Institut für Deutschland, einer Art Rekordsammelfirma, stolz zur Vermessung vorgelegt.

Der dreistöckige Bau steht nämlich nicht gerade in der Erde, er neigt sein braun-graues Gemäuer dem Dorf zu, als wolle er in die schmalen Straßen der 600-Einwohner-Gemeinde linsen. Eine Neigung von 5,4277 Grad wurde nun gemessen - ein Höchstwert, der selbst den bisherigen Rekordhalter im ostfriesischen Suurhusen mit seinem 5,19 Grad schiefen Turm in den schrägen Schatten stellt. Das im Mittelalter gebaute Wahrzeichen von Gau-Weinheim ist somit ganz offiziell der schiefste Turm der Welt.

Die Konkurrenz nimmt ihren Titelverlust jedoch gelassen. Man habe die Auszeichnung 15 Jahre lang "mit Stolz und mit Würde" getragen, erklärte der Pastor der Kirchengemeinde, Frank Wessels, und gratulierte dem Nachfolger. Ob der Weltrekord die Gemeinde Gau-Weinheim nun zur touristischen Attraktion macht, bleibt freilich abzuwarten. Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gegeben: Schließlich pilgern jährlich auch Hunderttausende ins italienische Pisa, um ein Selfie vor dem schiefen Turm der Stadt zu schießen. Dabei hat der nur eine Neigung von mickrigen 3,97 Grad.

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