Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:Ein Rätsel

Lesezeit: 3 min

Der gebürtige Franzose Benoît Violier war einer der talentiertesten Köche der Welt. Nun wurde er in seiner Wohnung in der Schweiz tot aufgefunden.

Von Marten Rolff

Viele werden jetzt sagen, er habe den Druck nicht ausgehalten. Der französischschweizerische Gastronom Benoît Violier, erst 44 Jahre alt, wird tot aufgefunden - nur wenige Wochen nachdem man ihn zum besten Koch der Welt gekürt hat; da sei die Sachlage doch klar, da reiche ja ein Blick auf ähnlich gelagerte Fälle im Gourmet-Zirkus, werden einige raunen. Andere werden orakeln, ob auf seinem Restaurant, dem berühmten "L'Hôtel de Ville" in Crissier bei Lausanne, wohl ein Fluch laste. Weil Violiers Vorgänger und Mentor, der Schweizer Drei-Sterne-Koch Philippe Rochat, kürzlich mit nur 61 Jahren bei einer Fahrradtour zusammenbrach und starb.

Doch klar ist bisher nur, dass der Tod von Benoît Violier kein Thema für Verschwörungstheoretiker sein sollte. Am vergangenen Sonntag ist sein Leichnam in seiner Wohnung nahe dem schweizerischen Lausanne gefunden worden, vieles deute darauf hin, dass sich der bekannte Drei-Sterne-Koch und passionierte Jäger erschossen habe, teilte die Waadtländer Kantonspolizei am Montag mit. Das ist aber bislang auch schon alles, was man weiß.

Vor allem in der französischen Spitzengastronomie löste der Tod Violiers Bestürzung aus. "Großartiger Koch, großartiger Mann, gigantisches Talent. All unsere Gedanken sind mit der Familie und den Verwandten", schrieb der 89-jährige "Jahrhundertkoch" Paul Bocuse. Benoît Violier wuchs als Sohn eines Winzers im westfranzösischen La Rochelle auf, seine große Begabung am Herd hatte er bereits als Kind entdeckt und als Jugendlicher eine Doppellehre als Koch und Konditor absolviert. Gelernt und gearbeitet hat er bei den Großen der Haute Cuisine, unter ihnen Joël Robuchon, Frédy Girardet und Philippe Rochat.

Doch trotz seiner Erfolge dürfte Violier außerhalb Frankreichs und der Schweiz nur einem Spezialisten-Kreis bekannt sein. Was auch daran liegt, dass die Anzahl exzellenter Köche stark gestiegen ist. Sich an der immer breiteren Spitze durchzusetzen und international bekannt zu werden, ist enorm schwer, die Zahl der damit einhergehenden Auszeichnungen inflationär geworden. Gerade erst hatte man Violier zum "besten Koch der Welt" gewählt, er führte "La Liste" an, ein französisches Ranking der weltweit besten Lokale. Diese Liste mag nicht ohne Renommee sein, sie ist aber auch nur ein Konkurrenz-Ranking, welches das Außenministerium in Paris als Reaktion auf die britische "50 best"-Liste ins Leben rief, um die französische Spitzenküche auf dem hart umkämpften Markt zu fördern. Eine von heute Dutzenden Listen in einer Branche, in welcher der Superlativ extrem volatil geworden ist.

Wenn der Tod Benoît Violiers nun Diskussionen auslöst, dann auch wegen der Umstände, die der Beruf des Spitzenkochs mit sich bringt. Weil der immer schon absurde Druck in der Gourmet-Oberliga immer weiter wächst. Weil selbst "nur" national bekannte Topköche inzwischen von einem Festival oder Interview zum nächsten hetzen und von unterwegs Menüvorschläge und Zutatenlisten an ihr Personal mailen. Wie brutal es heute an der Weltspitze zugeht, davon sprechen viele Köche heute offener als früher. Als sein Restaurant "Noma" zum besten der Welt gewählt wurde, entwickelte sich der Kopenhagener René Redzepi nach eigenen Angaben vor lauter Stress zum "schreienden Monster" - und therapierte sich auf eigene Weise: Er führte Tagebuch über seine Ausfälle und veröffentlichte dieses zusammen mit seinem nächsten Kochbuch - was für ein Erfolg.

Sein Tod erinnert an einen ähnlichen Fall von vor zwölf Jahren

In Frankreich erinnert der Tod von Benoît Violier nun an den Fall des Drei-Sterne-Kochs Bernhard Loiseau, der sich vor zwölf Jahren mit seinem Jagdgewehr erschoss. Sein Suizid löste eine nationale Debatte aus, ob der Druck zu groß geworden sei, ob eine (drohende) Abwertung durch die Gastrokritik den Spitzenkoch in den Tod getrieben habe, wie Paul Bocuse damals öffentlich sagte. Man wäre gut beraten, die Diskussion diesmal leiser und vorsichtiger zu führen und damit auch den Wünschen von Benoît Violiers Familie zu entsprechen.

Das zeigt schon der Ausgang des Falls Bernard Loiseau. Zu seinem zehnten Todestag legte Loiseaus Witwe Dominique die Biografie des Kochs vor, zeitgleich kochten in den Pariser Medien neue Vorwürfe im Zusammenhang mit seinem Tod hoch. Dominique Loiseaus Stimme wäre in der lauten Debatte fast untergegangen: Die ständigen Verschwörungstheorien hätten sie belastet, stellte sie wiederholt klar. Der Grund für den Selbstmord ihres Mannes sei seine manische Depression gewesen, das sei sehr traurig, aber die "schlichte Wahrheit". Dominique Loiseau hat das Restaurant ihres Mannes weitergeführt und auch die drei Michelin-Sterne über Jahre gehalten. Alle drei Kinder wollen in die Spitzengastronomie gehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2844289
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.02.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.