Ganz schön wild:Die Rückkehr der Räuber

Wölfe und Luchse siedeln bereits wieder im Freistaat Bayern, und beim Braunbären ist es nur noch eine Frage der Zeit.

Von Christian Schneider

Sie kommen meist nachts. Schleichen über die Grenze. Spionieren die Umgebung aus. Bis der Morgen graut, sind sie meistens schon wieder weg. Nur ihre Spuren verraten: Die Grenzen von Schengen-Land sind löchrig wie ein Schweizer Käse.

Ganz schön wild: Ein Braunbär nimmt ein Bad in einem mit grüner Entengrütze bedeckten Wasserbecken.

Ein Braunbär nimmt ein Bad in einem mit grüner Entengrütze bedeckten Wasserbecken.

(Foto: Foto: dpa)

Inzwischen haben sich einige der nächtlichen Besucher in Bayern heimlich, still und leise niedergelassen. Und anders als in früheren Zeiten sind sie jetzt zumeist auch noch herzlich willkommen. Durch die Hintertür nach Bayern schon eingewandert sind Luchse und Wölfe, und neuerdings gibt es deutliche Hinweise, aus denen Experten schließen, dass sich nun auch noch der Braunbär mit Ansiedlungsabsichten im Freistaat trägt.

Die Rückkehr der drei Raubtiere ist aus Sicht des Natur- und des Artenschutzes das Happy End einer anfangs zutiefst blutrünstigen Geschichte, in deren Verlauf Bären, Luchse und Wölfe von Menschen gnadenlos gejagt wurden, bis sie schließlich in Mitteleuropa ganz ausgerottet waren.

Etwa um 1835 wurde in der Umgebung von Ruhpolding der vermutlich letzte Bär in Bayern geschossen. Etwa um die gleiche Zeit mussten auch Wolf und Luchs dran glauben.

Konkurrenz zwischen Mensch und Tier

Den Fleisch fressenden Räubern wurde zum Verhängnis, dass sie mit Gams, Reh und Hirsch die gleiche Beute jagten wie der Mensch, dem sie damit zum verhassten Konkurrenten wurden.

Da zuweilen aber auch Schafe und weidende Kälber gerissen wurden, war auch die Landbevölkerung nicht gut auf Luchse und Wölfe zu sprechen. Aber auch der Bär, der damals noch nicht das Image eines Kuscheltieres hatte, galt wegen seiner schieren Stärke als Feind des Menschen. Hinzu kam schließlich der so genannte Rotkäppchen-Mythos, der zunächst den Wolf als menschenfressende Bestie verunglimpfte, was dann auch auf die anderen Wildtiere übertragen wurde.

Erst, als es sie nicht mehr gab, setzte man sich gründlicher mit den Lebensgewohnheiten der angeblich so gefährlichen Raubtiere auseinander. Dank intensiver Forschung und steter Aufklärung weiß man heute, dass die wilden Tiere äußerst scheu sind und den Menschen - wenn es nur irgend geht - eher meiden.

Rotkäppchen und der gute Wolf

"Eine Begegnung mit Bären verläuft in der Regel so, dass sich Mensch und Bär zurückziehen - jeder in eine andere Richtung", weiß Hubert Zierl. Der langjährige ehemalige Chef des Nationalparks Berchtesgaden am Königssee hat nicht nur selbst Kontakt mit Bären in der freien Wildbahn gehabt, sondern seine Bären-Kenntnisse auch im Fachaustausch mit anderen Nationalpark-Verwaltungen in Europa und Übersee erworben.

Entwarnung geben die Experten heute aber auch mit Blick auf Luchs und Wolf.

Die Rückkehr der Räuber

Die Informationen sind offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen. Heute versäumt es fast keine Anrainer-Gemeinde des Nationalparks Bayerischer Wald, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf Wölfe, Luchse und Bären ganz gezielt Besucher anzulocken.

Attila, ausgewilderter Luchs im Harz

Gestatten, Attila, ausgewilderter Luchs im Nationalpark Harz.

(Foto: Foto: dpa)

Da alle drei Arten, die zumindest in Bayern als ausgestorben galten, längst unter Schutz stehen und nicht bejagt werden dürfen, droht ihnen auch von Jägern keine Gefahr mehr.

Mit der Eröffnung des 23.000 Hektar großen Nationalparks Bayerischer Wald im Jahr 1970 sind Wölfe und Luchse in den Freistaat zurückgekehrt. Zunächst nur als Besucher-Attraktion in einem großen Freigehege. Inzwischen tauchen Wölfe auch in der freien Wildbahn des Bayerischen Waldes auf, vorerst freilich nur als Einzelgänger.

Aus der Spurenlese im Schnee des vergangenen Winters weiß die Nationalpark-Verwaltung inzwischen, "da sind einige Tiere unterwegs". Zu einer Rudelbildung allerdings ist es offensichtlich noch nicht gekommen. Denn zuerst sind immer nur die Männchen auf Wanderschaft.

Die weiblichen Tiere folgen erst viel später. Sie aber sind zur Bildung eines Rudels, zu dem etwa zehn bis 15 Tiere gehören, unerlässlich.

"Mit dem Wolf kehrt ein Stück Wildnis nach Mitteleuropa zurück", freute sich Anfang des Jahres der bayerische Umweltminister Werner Schnappauf in einer Presseerklärung. In Europa gibt es nur noch knapp 3000 frei lebende Wölfe, die meisten in Rumänien. In Polen wird der Bestand auf 500 Tiere geschätzt.

Tiere aussetzen - in diesem Fall erwünscht

Einige hundert Wölfe sind in Skandinavien daheim, kleine Wolfsbestände gibt es mittlerweile auch wieder in Frankreich, in den Abruzzen und in der Oberlausitz in Sachsen. In der Schweiz wurden soeben die ersten Einzelgänger gesichtet.

Ähnlich willkommen wie der Wolf ist auch der Luchs als Heimkehrer nach Bayern. Die ersten Exemplare der Raubkatze mit den typischen Pinselohren wurden Anfang der siebziger Jahres des vorigen Jahrhunderts vom Bund Naturschutz in Bayern in der freien Wildbahn ausgesetzt.

Danach wurden die Tiere aus den Augen verloren. Doch jetzt, so weiß man im Nationalpark Bayerischer Wald, ebenfalls aus Spuren, die in diesem Winter entdeckt wurden, "ist der Luchs wirklich da"; vermutlich wandert er aus den tschechischen Wäldern ein.

Noch am weitesten entfernt von Bayern, so sagt Hans Kiener von der Nationalparkverwaltung, ist der Bär. Aber auch dessen Rückkehr in den Freistaat ist für die Experten nur noch eine Frage der Zeit. Erste sichere Spuren gab es ebenfalls in diesem Winter im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet.

Die Heimkehr der drei Räuber in den Bayerischen Wald ist ein sicheres Indiz dafür, dass es mitten in Europa wieder Landschaften gibt, in denen wilde Tiere frei leben können, wenn sie der Mensch in Ruhe lässt.

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