Fünftägige Zeremonie:Letzte Reise mit der goldenen Sänfte

The Royal Urn of Thailand's late King Bhumibol Adulyadej is carried during the Royal Cremation ceremony at the Grand Palace in Bangkok

Der Zug mit der goldenen Königs-Sänfte führt durch ein Meer von Trauernden.

(Foto: REUTERS)
  • Nach einem Jahr der Trauer wurden die sterblichen Überreste von Thailands totem König Bhumibol eingeäschert.
  • Der Staat hat dafür eine fünftägige Zeremonie angesetzt - die den Beobachter per gefühlter Zeitreise in die Vergangenheit schickt.
  • Hunderttausende sind aus dem ganzen Land angereist und wollen Abschied nehmen von ihrem König.
  • In diesen Tagen verstummt die Kritik am politischen System Thailands.

Von Arne Perras, Bangkok

Die Träger der vergoldeten Sänfte haben monatelang für diesen Moment geübt. Schon am frühen Morgen haben sie im Hof des Palastes Aufstellung genommen. Nun ist es kurz nach neun, der Träger vorne rechts gibt ein kurzes Klopfzeichen, und schon nehmen 60 Männer scheinbar mühelos das 700 Kilogramm schwere Gestell mit den drei langen Balken auf. Oben auf der Sänfte ruht die symbolische königliche Urne, umhüllt von einer Schale aus kunstvoll geschnitztem vergoldeten Sandelholz.

Jetzt bewegen sich die Träger mit ihren gelben Hauben und orangefarbenen Uniformen mit langsamen Trippelschritten voran. So ruhig halten sie ihre Last, dass es aussieht, als schwebe die Sänfte durch die Luft. Doch wenige Meter weiter erwartet die Trägermannschaft eine heikle Passage, sie müssen durch das enge Tor der Palastmauer nach draußen auf die Straße gelangen. Und sie dürfen keinesfalls mit der Spitze der Urne im Rahmen hängen bleiben.

Also gehen die Träger nun in die Knie mit ihrer Last, behutsam steuern sie die Sänfte durch das Tor. Kein Zittern, kein Schaukeln, es ist die perfekte Körperbeherrschung. Diese Männer der thailändischen Streitkräfte geben an diesem Morgen alles, um ihrem geliebten König ein letztes Mal zu dienen.

Thailand scheint vorwärts in die Vergangenheit zu marschieren

Es ist, als habe man am 26. Oktober in Bangkok eine Zeitreise angetreten. All die Flötenspieler und Trommler, Schattenspender und Streitwagenschlepper, Sänftenträger und Schirmhalter wirken wie Abgesandte aus versunkenen Zeiten. Das Auge bleibt haften an ihren Hauben und spitzen Hüten, den weit geschnittenen Hosen und bunten Schärpen.

Und doch ist dies Thailand im Jahr 2017. Ein Land scheint vorwärts in die Vergangenheit zu marschieren. Die Monarchie lebt. Man spürt es am deutlichsten in jenem Moment, wo das Volk nun seinen toten König ehrt.

Thailand nimmt Abschied vom neunten Monarchen der Chakri-Dynastie, Bhumibol Adulyadej; mit ihm findet eine siebzigjährige Ära ihr Ende. Als der König am 13. Oktober 2016 starb, ging er als dienstältester Monarch in die Geschichte ein. Nach einem Jahr der landesweiten Trauer ist nun der Moment gekommen, an dem die sterblichen Überreste des 88-Jährigen den Flammen im Krematorium übergeben werden.

Dafür hat der Staat eine fünftägige Zeremonie angesetzt, die am Mittwochabend begann und am Sonntag enden wird. Höhepunkt ist eine Kette von sechs Prozessionen, deren Choreografie alle in ihren Bann zieht. Jeder Handgriff, jede Geste, jede Wendung bei diesen prunkvollen Aufmärschen sitzt. Jeder auch noch so kleine Lapsus bei einer so gewichtigen königlichen Zeremonie wäre wohl unverzeihlich.

Der Raum am Straßenrand reicht längst nicht für alle

Die königliche Urne, der einige Insignien des verstorbenen Monarchen beiliegen, wird also aus dem Thronsaal per Sänfte zum Tempel gebracht, dort mittels eines von Hand betriebenen Aufzugs auf einen 221 Jahre alten vergoldeten Streitwagen gehoben, den wiederum 222 Soldaten in roten Uniformen an langen Kordeln die Straße entlang ziehen. Das historische Gefährt wiegt nahezu 14 Tonnen, doch die Schlepper ziehen tapfer.

Jene Trauernden, die schon einige Tage zuvor in den Straßen rund um den Palast campierten, sitzen nun direkt an der Strecke der Prozession, um sich vor der vorbeiziehenden Urne tief zu verbeugen. Oder ganz auf den Boden zu werfen, sofern dafür noch Platz ist. Der Raum am Straßenrand reicht längst nicht für alle. Hunderttausende sind aus dem ganzen Land angereist und wollen Abschied nehmen von ihrem geliebten König, die meisten können die Zeremonie nur auf großen Bildschirmen verfolgen, die in den Vierteln rund um den Palast aufgestellt worden sind.

Auch Thawanrat Winitwatthanakhun, eine zierliche Frau mit kurz geschnittenem schwarzem Haar, hat es nicht ganz nach vorn zur Prozession geschafft, aber die Lehrerin sagt: "Es macht mir nichts aus. Ich will nur unter all den anderen sitzen, die um den König trauern." Man hilft sich gegenseitig auf den Straßen, manche verteilen Wasser, andere Kuchen, gebratene Nudeln, Bananen, Fächer, die bei 33 Grad etwas Kühlung verschaffen. Oder auch Fotos von Bhumibol. "Unser König hat uns gelehrt, füreinander da zu sein und nicht nur an uns selber zu denken," sagt die 53-Jährige. Sie wirkt gefasst an diesem Tag, aber man sieht auch Trauernde, die öfters weinen, die Emotionen kommen nun zur Einäscherung wieder hoch.

Könige sind in Thailand die Inkarnation des Gottes Vishnu

Es gibt wohl nur sehr wenige Staaten, in denen ein moderner Monarch so intensive und tiefe Verehrung erfährt wie in Thailand. Das dürfte auch am Glauben liegen, dass die Könige Inkarnationen des Gottes Vishnu sind. Die Lehrerin sagt: "Bhumibol war ein Gott, der laufen konnte." Nicht abgehoben, irgendwo weit oben im Himmel. Er mischte sich unter die Menschen, um ihnen Orientierung im Leben zu geben, um Vorbild zu sein. So verstehen viele hier ihren Monarchen. Bhumibol war der unfehlbare Kompass, der ihnen den Weg im Leben gewiesen hat.

Und was genau hat die Lehrerin von ihm gelernt? "Durchhaltevermögen und Bescheidenheit", sagt sie. "Wenn du fleißig bist, wirst du auch die Früchte deiner Arbeit tragen. Und verschwende nicht, was du hast." Nun setzt sie darauf, dass Bhumibols Sohn, König Rama X., den Weg des Vaters fortführen wird.

Es ist aber nicht so, als gäbe es gar keine Gegner oder Kritiker der Monarchie in Thailand. Manche denken etwa, dass der verstorbene König die Allianz mit dem Militär auf Kosten der Demokratie gestärkt hat. 2018 soll wieder gewählt werden, verspricht der regierende General Prayuth Chanocha. Doch die veränderte Verfassung schwächt die Parteien und gibt der Armee auf Dauer starken Einfluss. In privaten Gesprächen hört man gelegentlich Frust und Ärger über die politischen Zustände durchklingen, aber nicht jetzt, in den Tagen der Trauer, die ganz dem König gehören.

Der Sohn entzündet den Scheiterhaufen

Offen über die Zukunft oder den Zustand ihrer Monarchie zu sprechen, ist für Thailänder ohnehin nicht möglich. Jedem, der es wagt, drohen hohe Strafen wegen Majestätsbeleidigung. Die Militärjunta, die seit ihrem Putsch 2014 regiert, setzt dieses Mittel noch härter ein als die Regierungen zuvor. Thailand ist deswegen international unter Druck geraten, doch in Zeiten des Abschieds von Bhumibol tritt all dies erst einmal in den Hintergrund.

Alle Augen sind auf die Prozession gerichtet, die schließlich das Feld Sanam Luang erreicht, wo das große Krematorium für die Einäscherung errichtet wurde. Aber wo ist eigentlich der Sarg mit den sterblichen Überresten des Monarchen? Er ist bei den Prozessionen am Donnerstag nicht zu sehen, es heißt, er werde auf anderem Wege zum Krematorium gebracht, offizielle Informationen zu dem versteckten Transfer gibt es aus dem Palast aber nicht.

Bhumibols Sohn, König Rama X., trägt am Tag der großen Prozession eine rote Uniform mit goldenen Kordeln und breiter gelber Schärpe. Das Palastprotokoll sieht vor, dass er am Abend um zehn Uhr den Scheiterhaufen im 50 Meter hohen Krematorium entzündet. Es dauerte mehrere Monate, dieses kunstvolle Bauwerk aus Stahl zu errichten. Der zentrale Pavillon, der von acht weiteren kleineren Türmen umgeben ist, symbolisiert den Berg Meru. In der Mythologie der Buddhisten bildet er den Mittelpunkt des Universums.

Bhumibols Asche wird in zwei Tempel gebracht

Künstler haben für das Gelände Hunderte Figuren geschaffen, Elefanten, Bullen, Löwen und Pferde, aber auch viele mythische Wesen, etwa die Nagas, halb Mensch, halb Schlange. Oder den sagenhaften Adler Garuda. Sogar eine Darstellung von Bhumibols geliebtem Hund Thongdaeng hat es in dieses legendäre Tierreich rund um das Krematorium geschafft. Auch er wacht nun über die letzte Reise des Königs.

Alles in allem liegen die geschätzten Kosten für die Trauer- und Bestattungsfeierlichkeiten bei 76 Millionen Euro. Erst nach dem Ende aller Zeremonien kann Maha Vajiralongkorn, der bereits seit vergangenem Jahr König ist, gekrönt werden. Doch daran denken in diesen Stunden nur wenige, die Thailänder sind immer noch vertieft in den langen schmerzhaften Abschied von Bhumibol Adulyadej, der sie ihr ganzes Leben lang begleitet hat.

Sein königlicher Geist entschwindet nun mit dem Rauch in den Himmel. Bhumibols Asche aber bleibt auf der Erde und wird in einer weiteren Prozession am Sonntag in zwei Tempel gebracht. Die Reste der Gebeine kehren zurück in den Palast. Bhumibol wird dort Platz in der Ahnenreihe der Chakri-Dynastie finden, die seit mehr als 200 Jahren den Thron beherrscht.

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