Frühgeburt:Eine Handvoll Leben

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Das wahrscheinlich jüngste Frühgeborene der Welt soll demnächst aus einem Krankenhaus in Miami entlassen werden

Werner Bartens

Die Windel verdeckt ihren halben Körper und der Kugelschreiber, der im Brutkasten liegt, ist nur wenig kürzer als sie. Bei ihrer Geburt war Amillia Taylor so klein, wie bisher kaum ein Mensch zur Welt gekommen ist: Das Mädchen wog bei ihrer Geburt am 24. Oktober nur 284 Gramm und war 24 Zentimeter groß - nicht viel länger als ein Stift und nicht viel schwerer als ein Päckchen Butter.

Dienstag verkündeten die behandelnden Ärzte der Kinderklinik in Miami, Amillia könne entlassen werden. Am Mittwoch teilten die Mediziner zwar mit, die Eltern des inzwischen fast vier Monate alten Mädchens müssten sich noch gedulden. Aber schon jetzt ist das Überleben der kleinen Amillia Taylor eine Sensation: Sie ist das wohl jüngste und kleinste Frühgeborene der Welt und kam nach nur 21 Wochen und sechs Tagen Schwangerschaft zur Welt. Die Ärzte wissen das genau, denn das Mädchen wurde mittels künstlicher Befruchtung gezeugt. Der errechnete Geburtstermin wäre Ende nächster Woche gewesen.

"Wir waren nicht sehr optimistisch, aber sie hat uns Lügen gestraft", sagt William Smalling, der behandelnde Arzt in Miami. Zu viele Organe im Körper funktionieren in diesem frühen Entwicklungsstadium noch nicht richtig. Ein großes Problem ist die Lungenunreife der Frühgeborenen. Die Lungenbläschen können sich noch nicht richtig entfalten, weshalb die Kinder in schwere Atemnot geraten. Amillia konnte nach der Geburt zwar selbständig atmen, musste aber Sauerstoff zugeführt bekommen.

Geringe Überlebenschance

Zudem leiden Frühgeborene oft an Hirnblutungen und Darmentzündungen und ihre Nieren arbeiten noch nicht richtig. Je früher die Frühgeburt, desto geringer die Chance. Kommen Babys nach der 23. Schwangerschaftswoche zur Welt, rechnen Ärzte damit, dass 70 Prozent überleben. Kinder, die bei der Geburt noch jünger sind und unter 500 Gramm wiegen, haben hingegen eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit.

Die deutsche Fachgesellschaft für Frühgeborenen- und Kinderintensivmedizin empfiehlt deshalb, Babys nicht zu behandeln, die vor Vollendung der 23. Schwangerschaftswoche geboren werden, in der Schweiz liegt die Grenze sogar bei Vollendung der 26. Woche. "Es gibt zu wenig Kinder, die überleben und von denen, die überleben, sind zu viele behindert", sagt Ulrich Thome, Neonatologe an der Universitätskinderklinik Ulm.

In Ulm kam vor einigen Jahren ein Baby mit 270 Gramm Gewicht zur Welt, das überlebt hat. Es war aber bereits in der 25.Schwangerschaftswoche und hatte deshalb reifere Organe. "Es geht nicht darum, neue Rekorde zu brechen", sagt Thome. "So stellen wir uns medizinischen Fortschritt nicht vor."

Von Frühgeburten sprechen Mediziner, wenn Kinder nicht wie üblich zwischen der 37. und 40. Schwangerschaftswoche, sondern früher zur Welt kommen. Gründe dafür sind meist Fruchtwasserinfektionen oder Rauchen, oft lässt sich auch keine Ursache feststellen. Aus vielen Studien wissen Mediziner, dass Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 1000 Gramm später häufiger erkranken.

Amillia soll jetzt noch in der Klinik bleiben, da ihre Blutwerte zeigen, dass sie anfällig für Infektionen sei. "Es geht ihr aber gut", sagt ihr Kinderarzt Paul Fassbach, "jetzt, wo es in die Welt hinausgeht." Zu Hause wird Amillia nach Angaben der Ärzte in einem normalen Kinderbett liegen und aus der Flasche gefüttert werden können. Ihre Atmung wird weiter mit einem Gerät überwacht werden.

"Wir konnten uns kaum vorstellen, dass sie es schaffen würde, aber jetzt sieht sie wie ein richtiges Baby aus", sagt Sonja Taylor, Amillias Mutter. "Sie wiegt zwar immer noch nur 1,8 Kilo, aber damit kommt sie mir schon fast dick vor."

© SZ vom 22. Februar 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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