Friseurdorf in Polen:Figaros Drive-in

Die Einwohner von Osinow Dolny können sich problemlos gegenseitig die Haare schneiden - gleichzeitig. Denn auf 200 Einwohner kommen hier 150 Friseure. Ein Besuch.

Martin Kotynek, Osinow Dolny

Gleich nach der türkisfarbenen Oderbrücke und dem umgelegten Grenzhäuschen, hinter all den Billig-Supermärkten, Billig-Tankstellen und Billig-Zigarettenbuden taucht es auf: Das polnische Dorf, in dem beinahe allen Einwohnern deutsche Worte wie "Waschen, schneiden, föhnen: zehn Euro, alles inklusive" ebenso charmant wie routiniert über die Lippen kommen.

Nach Osinow Dolny kommen viele Deutsche zum Waschen, Schneiden, Legen.

Nach Osinow Dolny kommen viele Deutsche zum Waschen, Schneiden, Legen.

(Foto: Foto: dpa)

Problemlos könnten sich die Bürger von Osinow Dolny gegenseitig - und zwar gleichzeitig - die Haare schneiden, sind 150 der 200 Einwohner doch Friseure von Beruf. In den meisten Fällen waschen, schneiden und föhnen die Dorfbewohner in ihren 35 zu Frisiersalons umgebauten ehemaligen Wohnzimmern, Scheunen und Garagen jedoch die Haare von Kunden aus Deutschland. Diese kommen nicht nur aus der näheren Umgebung, etwa aus dem Kurort Bad Freienwalde, sondern auch aus dem 70 Kilometer entfernten Berlin.

Kein deutscher Friseur kann mit den Preisen jenes Dorfes mithalten, in dem es so viele Frisiersalons auf so engem Raum wie nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Von beinahe allen Hauswänden und Gartenschuppen blitzen einen die Leuchtreklamen und Schilder mit ihren grellen Aufschriften an - überall steht: "Friseur".

"Es gibt hier mehr Frisiersalons als Einfamilienhäuser", sagt Julianna Swierczynska, die vor 14 Jahren eine der ersten war, die ein Geschäft eröffnet hat. Damals, kurz nach dem Bau der Oderbrücke, kamen die ersten Deutschen über die Grenze in das Dorf, um billig zu tanken und günstige Zigaretten zu kaufen. Viele von ihnen fragten nach Friseuren.

"Zuerst haben wir sie ins Nachbardorf geschickt, doch schon bald machten hier die ersten Geschäfte auf", erinnert sich die 34-jährige Eigentümerin in ihrem in Orange- und Brauntönen gehaltenen "Salon Ada". Seither laufen die Geschäfte gut in dem Grenzdorf Osinow Dolny.

"Anfangs hatte ich zwei Mitarbeiterinnen, mittlerweile sind es vier und zusätzlich habe ich drei Lehrlinge eingestellt", sagt Swierczynska. Damenhaarschnitte erledigen die Friseurin und ihre Mitarbeiterinnen für zehn Euro, Herrenfrisuren kosten vier Euro. Gezahlt wird mit Euro, der polnische Zloty hat hier keine Gültigkeit.

Seit die Grenzkontrollen mit dem Beitritt Polens zum Schengen-Raum Ende 2007 weggefallen sind, brummt das Geschäft. Binnen weniger Monate haben noch mehr Dorfbewohner Frisiersalons aufgemacht.

So auch Maria Kurczewska, die seit 19 Jahren an der Hauptstraße eigentlich eine Grill-Bude betreibt. Doch direkt daneben hat sie vor drei Wochen gemeinsam mit ihrer Tochter ein Haarstübchen eröffnet. "Wir mussten gar nicht groß Werbung machen, das Geschäft läuft wie von selbst", sagt die 55-jährige Miteigentümerin, in deren Salon "Elegance" gerade zwei Kundinnen frisiert werden, während zwei weitere warten.

Um sich von der etablierten und zahlreich vorhandenen Konkurrenz abzuheben, setzt Kurczewska auf "Stil und Eleganz", wie sie sagt. Gebrauchtmöbel kamen für ihren Salon, der von einem schwarz glänzenden Zaun umgeben ist, daher nicht in Frage.

Eine familiäre Atmosphäre herzustellen, sei nicht so schwierig gewesen, sagt Kurczewska, viel mehr Probleme habe ihr die Suche nach gut ausgebildetem Fachpersonal bereitet. Denn das ist in Osinow Dolny mittlerweile rar geworden, längst müssen die Unternehmer Friseure von auswärts in das Dorf holen.

Einer von ihnen ist Lukasz Hryciuk. Er kommt aus dem 50 Kilometer entfernten Debno und arbeitet seit einem Jahr im Salon "Halina". Einen fixen Monatslohn erhält der 21-Jährige für seine Arbeit nicht - der Eigentümer beteiligt ihn allein am Umsatz.

Das ist durchaus normal in Osinow Dolny, und die Arbeitsbedingungen sind hart. Häufig muss das Personal sieben Tage pro Woche arbeiten und unbezahlte Überstunden machen, da viele Geschäfte schon um sechs Uhr morgens öffnen und erst gegen 20 Uhr schließen. Mit seinen etwa 15 Kunden pro Tag kommt Hryciuk auf eine Umsatzbeteiligung von 1500 Zloty pro Monat, das sind 320 Euro - reich wird man damit natürlich auch in Polen nicht. "Hinzu kommt noch das Trinkgeld", sagt Hryciuk. "Weil die Deutschen mehr Trinkgeld als die Polen geben, wollte ich hierher kommen."

Dass die polnischen Friseure im Verhältnis zu ihren deutschen Kollegen wenig verdienen, ist Brigitte Burzynski klar. Dennoch sitzt die Rentnerin - wie alle zwei Wochen - in ihrem Stamm-Salon direkt neben dem größten Billig-Supermarkt des Dorfes und wartet auf ihre Dauerwelle.

Seit die Industriekauffrau in Rente gegangen ist, muss sie auf ihr Geld achten. Deshalb kommt sie aus dem 18 Kilometer entfernten Liepe nach Polen. "Zu Hause zahle ich 35 bis 80 Euro, hier nur 20 - das ist einfach unschlagbar billig", sagt Burzynski. "Außerdem kann ich hier günstig tanken und einkaufen."

Mit der Arbeit der Polen ist Burzynski zufrieden, obwohl sie einschränkt, dass das Styling für Jüngere wohl nicht schick genug sei. "Es fehlt einfach der letzte Schliff, den man nur in Deutschland kriegt", sagt die 69-Jährige.

Für die 27-jährige Barbara Lüdecke ist das auch einer der Gründe, nicht nach Polen zu fahren. Sie arbeitet an der Rezeption der Fachklinik in Bad Freienwalde und geht in Deutschland zum Friseur. "Meine Friseurin kommt zu mir nach Hause, dabei spare ich Zeit und es kostet nur 15 Euro - der Preisunterschied zu Polen ist gering", sagt Lüdecke.

Solange man immer denselben Haarschnitt haben wolle, sei gegen Osinow Dolny nichts einzuwenden, doch sobald man Beratung brauche, sei die Sprachbarriere eine Behinderung. "Trotzdem fährt die Hälfte aller Leute, die ich kenne, immer nach Polen", sagt Lüdecke. Weil's halt billig ist.

Ob dieser Vorteil bestehen bleibt, wenn in Polen der Euro eingeführt wird, ist fraglich. Die Friseure in Osinow Dolny zittern bereits vor diesem Tag. Doch bis dahin bauen sie noch mehr Garagen und Schuppen zu Frisiersalons um - und waschen, schneiden und föhnen darin die Haare von immer mehr Deutschen, die sich in Zeiten der Wirtschaftskrise die Frisierpreise in der Heimat nicht mehr leisten können. Ein Geschäft mit Zukunft also.

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