Es wird dem Menschen doch immer wieder vor Augen geführt, wie furchtbar äußerlich es ist, sein Leben. Optik ist bedeutend, Inhalte sind eher zweitrangig - wie viele Studien haben das schon wissenschaftlich belegt. Und da ergibt es nach wie vor natürlich Sinn, wenn die Eltern sagen: "Zieh dich schön an zur Prüfung." Denn die Welt da draußen ist nicht nur schrecklich, sie ist auch schrecklich äußerlich.
Natürlich gibt es einiges zu überlegen zur neuen Brille, die sich Friedrich Merz da zugelegt hat, kurz bevor er auf Reisen ging. Es ist ein offenbar recht stabiles Modell. Eines, auf das man sich auch im Schlafwagen ruhig mal setzen darf - ohne dass gleich der Bügel bricht. Der Oppositionsführer hat in den vergangenen Jahren ja schon so einige Brillen getragen: dunkle Fahrradbrillen zum Beispiel, auch diese kleinen Lesebrillen, mit denen man nicht nur lesen, sondern auch gescheit herumfuchteln kann. Meist aber trug Merz, 66, gar keine Brille. Das wirkte bei ihm besonders jugendlich.
Udo Walz riet Martin Schulz zu einem anderen Brillenmodell
Mit der neuen eher runden und dunklen Brille, so interpretiert das an Äußerlichkeiten überaus interessierte Netz, versuche der CDU-Politiker nun internationale Diplomatie (weiche Übergänge an den Kanten) und innenpolitische Angriffslust (dicke, schwarze Linien) miteinander zu vereinen. Womöglich helfe die Brille sogar zugleich bei Weit- und Kurzsichtigkeit. Der frühere Berliner "Prominentenfriseur" Udo Walz, ein leidenschaftlicher Brillensammler, hatte übrigens einst dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz zu einem ganz ähnlichen Modell geraten. Mehr Geometrie, mehr Struktur. Doch der rahmenlose Schulz schlug den Rat des Coiffeurs in den Wind und überließ so den Hand-Rauten und Schlandketten der CDU das Feld.
Optik ist entscheidend. Darf man im fortgeschrittenen Mannesalter das Haar noch so lang und offen tragen wie der grüne Europa-Ausschuss-Vorsitzende Anton Hofreiter oder zuletzt auch der österreichische Bildungsminister Martin Polaschek?
Spätestens wenn die Frisur den politischen Gedanken vollends in den Hintergrund treten lässt und erste Wiener Maturanten zu ihren Abschlussprüfungen im ähnlichen Outfit erscheinen, wird es kompliziert. Seit einigen Tagen nun trägt Polaschek, 56, einen seriösen Kurzhaarschnitt über seiner Sehhilfe. An der in Form, Kubatur und Proportion klar gestalteten Brille hätte übrigens nicht einmal Udo Walz etwas auszusetzen gehabt.
Doch wer würde das Äußerliche nicht gerne mal ausblenden? Nur einmal nicht auf die gelben Stöckelschuhe der Nachrichtenmoderatorin schauen müssen, während diese vom Krieg erzählt. Und nur nicht wieder darüber sinnieren, ob nun Botox oder ein Schlaganfall für die hängende Lippe dieses oder jenes Prominenten verantwortlich sein könnte. Oder darüber, wie lange er oder sie sich noch im Amt hält, denn: Der kommt ja nicht mal mehr die Gangway hoch. Das Leben, es wäre so viel schöner, würde man nicht ständig über derart Unwesentliches wie Körpergrößen, Zahnkeramiken, Hornbrillen oder Haarmanipulationen nachdenken.
Folgt man aber den Kommentaren im Netz, so scheint das Äußere dieser Tage wieder wichtiger zu werden. Masken verschwinden, die eigene Brille beschlägt nur noch selten, die Physiognomie rückt zurück in den Vordergrund. Den "geometrischen Ort der inneren Persönlichkeit" hat der Philosoph und Soziologe Georg Simmel einmal das menschliche Gesicht genannt. Das ist freilich auch recht äußerlich gedacht.
Fassen wir uns daher ruhig mal ans eigene Glashaus und reden weniger über Brillen, Langhaarfrisuren und Stöckelschuhe, sondern wieder mehr über Inhalte. Denn wie heißt es bei Wilhelm Busch: "Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut."