Süddeutsche Zeitung

Friedhöfe:Metallrausch statt letzter Ruhe

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Von Sophie Burfeind

Als Claudio Roth neulich wie jeden Morgen das Tor zum Friedhof aufsperrte, erschrak er: Statt friedvoller Totenruhe erwartete ihn ein regelrechtes Schlachtfeld. 131 Gräber verwüstet, zertrampelter Blumenschmuck, herausgerissene Kreuze, umgetretene Grabsteine, kaputte Lampen, zerschlagene Denkmäler. Und die Übeltäter wie so oft: Diebe auf der Suche nach Metall.

Claudio Roth ist seit 31 Jahren Friedhofsgärtner auf dem katholischen Altstadtfriedhof in Gelsenkirchen. Und so ein schlimmes Jahr hat er noch nie erlebt, sagt er: "Es wurden an die 300 Grabstätten beschädigt." Mittlerweile gebe es fast keine unbeschädigten Gräber mehr auf dem Friedhof. Die Verwüstungen in Gelsenkirchen sind zwar einer der heftigeren Fälle; dass Metalldiebe aber nicht mal mehr vor der letzten Ruhestätte haltmachen, ist in Deutschland seit Jahren Alltag.

Die Preise für Metall sinken, das Klauen geht weiter

Vor fünf Jahren sind die Preise für Alt- und Buntmetall wie Kupfer, Messing und Bronze stark gestiegen, seither lassen Diebe nicht nur auf Baustellen Kupferkabel und auf Bahngleisen Schienenteile mitgehen, sondern betrachten auch Friedhöfe mit ihren Grabschalen, Lampen und Madonnenfiguren als eine Art Metalldepot mit Selbstbedienung.

Inzwischen sinken die Preise in ganz Europa wieder, derzeit sogar drastisch: Allein in den vergangenen zwölf Monaten fielen sie um fast 30 Prozent, so die Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen (BDSV). Umso verwunderlicher, dass weitergeklaut wird. "Entweder ist das bei den Dieben noch nicht angekommen, oder sie versuchen, umso mehr zu klauen", sagt BDSV-Sprecher Cord Christian Schulz.

Zudem schrecke es die Diebe kaum ab, dass es in Deutschland schwierig ist, das Diebesgut loszuwerden. Denn bei seriösen Schrotthändlern - und das sind die meisten - müsse ein Nachweis erbracht werden, woher die ganzen Kreuze und Metallschalen eigentlich stammen. In den Niederlanden sei dies hingegen um einiges einfacher, deshalb verkauften die Diebe meist dort ihre Beute.

Hin und wieder nehmen Täter sogar Metalldeckel von Urnen mit

Wie viele Friedhöfe in Deutschland pro Jahr betroffen sind, lässt sich nicht genau sagen, weil die Vorfälle in den Kriminalstatistiken nicht gesondert erfasst werden. Ein Blick in alte Lokalzeitungen aber zeigt: Seit fünf Jahren reißen die Meldungen über Metalldiebstähle auf Friedhöfen nicht ab - und es passiert überall.

Allein im August entwendeten Diebe auf dem Alten Friedhof in Schwenningen, Baden-Württemberg, 55 Hinweistafeln und 300 bronzene Namensschilder. In Münster brachen sie auf einer Kriegsgräberstätte 450 Namensplaketten aus den Grabsteinen russischer Gefallener. Im Landkreis Starnberg wurde von Februar bis April 2014 gleich dreimal geräubert: In Wangen montierten Diebe die kupferne Dachrinne der Trauerhalle ab, in Germering verwüsteten sie 15 Gräber, auf dem Starnberger Waldfriedhof klauten sie 13 Metallkreuze, ein großes Kreuz entfernten sie mit der Säge. Auf dem größten deutschen Friedhof in Ohlsdorf bei Hamburg wurde im Januar 2014 der 100 Jahre alte Bronzelöwe vom Familiengrab der Tierparkdynastie Hagenbeck geklaut. Hin und wieder nehmen die Täter sogar die Metalldeckel von Urnen mit, und auch Kindergräber und frisch angelegte Gräber werden geplündert.

Die Täter werden nur selten gefasst, weil sie in aller Regel nachts kommen, wenn es keine Zeugen gibt. Deswegen ist es schwierig zu sagen, wer genau die Diebe sind: Mal seien es Kleinkriminelle auf der Suche nach schnellem Geld, mal organisierte Banden, heißt es etwa beim bayerischen Landeskriminalamt und bei der Polizei in Gelsenkirchen.

Kameras auf Friedhöfen? Problematisch

Vor allem der Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB) ärgert sich naturgemäß über die vielen Diebstähle. Nur was man dagegen tun soll, weiß man auch dort nicht so recht. "Ein großer Friedhof lässt sich nun mal schlecht überwachen", sagt Sprecher Rolf Lichtner. Deshalb hält er auch eine Videoüberwachung bestimmter Bereiche, wie es sie zum Beispiel in Essen an vier Friedhöfen gibt, nicht für hilfreich. "Die Diebe werden kaum durch den Haupteingang spazieren", sagt er - und vollständig lasse sich ein Hunderte Hektar großes Gelände nicht überwachen. Außerdem seien Kameras auf Friedhöfen aus ethischen und Datenschutzgründen problematisch.

Gerade jetzt sollten Friedhofsbetreiber und Angehörige aufpassen, warnt Rolf Lichtner, denn wie gewöhnliche Diebe bevorzugten auch Metalldiebe die dunklen und kalten Monate des Jahres. Vor allem die Tage nach Allerheiligen seien gefährlich: "Überall in Deutschland wurden am Sonntag die Gräber neu geschmückt und Grablichter aufgestellt." Gute Aussichten für Metalldiebe.

In Gelsenkirchen hat Claudio Roth die verwüsteten Gräber mittlerweile wieder hergerichtet. Verletzt seien die Angehörigen aber trotzdem noch: "Der seelische Schaden ist viel größer als der sachliche", sagt Roth. "Das ist so, wie wenn jemand bei Ihnen zu Hause einbricht: Der Ort des Gedenkens ist eine private Sphäre." Und die zerstören Diebe, wenn sie die Symbole des Andenkens stehlen.

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Quelle:
SZ vom 04.11.2015
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