Friede Springer:Das stille Fräulein Riewerts

Vom Kindermädchen zur Königin eines geerbten mächtigen Verlagsreichs: Der unaufhaltsame Aufstieg der Friede Springer. Von Michael Jürgs

Es liest sich wie eine Geschichte aus der Bild-Zeitung: Mächtiger Verleger verliebt sich auf den ersten Blick in das neue Kindermädchen. Scheint aber wahr zu sein.

Friede Springer

Unter Mächtigen: Friede Springer mit Helmut Kohl und Gerhard Schröder

(Foto: Foto: dpa)

Als magischen Moment beschrieb Axel Cäsar Springer viel später, wie er im Sommer 1965 das blonde Mädchen sah. Es saß in der Halle seiner Hamburger Elbvilla neben seiner vierten Ehefrau Helga, die sich - wie bereits ihre Vorgängerin - seinetwegen vom Nachbarn Alsen hatte scheiden lassen.

Springer kam die Treppe herunter, Friede Riewerts erhob sich aus dem Sessel und gab ihm die Hand. Auch sie speicherte jeden Augenblick. Wie er auftrat. Wie gut ihm der beigefarbene Anzug stand. Wie er sie anschaute. Dies vor allem.

From the horses' mouth

Friede Springer, geborene Riewerts, die sich damals im Verlegerhaushalt vorstellte, hat es Inge Kloepfer so erzählt. Die Redakteurin der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ist die erste, der die Witwe des Verlegers ihre Träume offenbarte.

Ihr Leben vor Axel Springer. Ihr Leben mit Axel Springer. Ihr Leben nach Axel Springer, in dem sie nicht immer allein blieb. Allein das spart Kloepfer in Friede Springer - die Biografie weitgehend aus.

Alle Zitate sind autorisiert, außerdem überließ die mächtigste Frau Deutschlands der Autorin viele persönliche Notizen aus Tagebüchern. In England und in den USA werden solche Biografien als Stoff from the horses' mouth bezeichnet.

Kloepfers Biografie entspricht diesem Genre - und doch macht sie aus Friede Springer keine Lichtgestalt, die nach dem Tod ihres Mannes selbstlos den Gral verteidigte gegen selbst ernannte Gralsritter.

Sie diente ihm bedingungslos

Sie beschreibt auch, warum FS - einst für viele Jahre die heimliche Geliebte - von vielen als langweilige Frau im Schatten betrachtet wurde. "Sie lebte Springers Leben. Ein eigenes hatte sie nicht mehr. Sie war genauso geworden, wie er sie hatte haben wollen. Das war es, was er brauchte...Sie diente ihm bedingungslos...In ihrer dienenden Funktion war sie für ihn das Höchste..."

Der Mensch hinter dem zur Schau getragenen Gesicht gewinnt in diesem Buch Konturen. Inzwischen steht Friede Springer als Mehrheitsaktionärin der Axel Springer AG souverän im Lampenlicht, obwohl sie nach wie vor lieber in der achten als in der ersten Reihe des Theaters sitzt.

Längst lebt sie ein eigenes Leben, hat eigene Freunde - Angela Merkel, Sabine Christiansen, das Ehepaar Rau oder Horst Köhler, den sie im Namen der CDU, der sie gewogen ist, in der Bundesversammlung mitgewählt hat.

Sparsam statt verschwenderisch

Geblieben ist ihre Sehnsucht nach Harmonie. Als öffentliche Person ist sie unnahbar freundlich, vermeidet politische Gefühlsausbrüche, hat nichts gemein mit Lebensgefährtinnen großer Verstorbener, bei deren Auftritten Sympathien für das indische Ritual der Witwenverbrennungen aufkommen könnten.

Die auf der Insel Föhr geborene Friesin ist sparsam statt verschwenderisch, bodenständig statt abgehoben. Ihre Geschichte, die irgendeine war, bevor sie 1967 die Geliebte des 30 Jahre älteren Tycoons wurde, hat Inge Kloepfer bis auf Ausnahmen - "Die Tränen liefen weiter bis zum Kinn und fielen als kalte Tropfen in ihren Kragen" - kühl, nicht courthsmahlerisch, notiert. Das Urteil überlässt sie den Lesern.

"Das Recht, Frauen regelmäßig austauschen"

Axel Springer, der sich 1957 monatelang für den wiedergeborenen Erlöser hielt, bevor ihn seine dritte Ehefrau Rosemarie auf ihre Art von diesem religiösen Wahn erlöste, duldete zeitlebens keine Götter neben sich und Göttinnen erst recht nicht.

"Ich nehme mir das Recht heraus, Frauen regelmäßig auszutauschen", schrieb er einem Freund. Die devote Liebe seiner Mutter Ottilie prägte früh sein Bild von Frauen, er liebte in allen sich selbst.

Der langjährige Vorstandschef Peter Tamm sah das eigentliche Geheimnis von Springers Erfolg sogar darin, dass der Mann, dem die Frauen nicht widerstehen wollten, Mann und Frau in seinem Wesen vereinigte.

Der ungeduldige, oft cholerische Menschenfänger mit Hang zur Selbstinszenierung, was Friede in Liebe duldend ertrug, scheute mit seiner Kampfpresse keinen Konflikt, war selbst jedoch konfliktscheu. Scheinbar spontane Wutausbrüche hatte er vor dem Spiegel geübt.

"Onkel Axel wünschte keine Nähe"

Der Erfinder von Bild, ein sentimentaler Patriot, besaß ein sicheres Gespür für die Träume des Volkes, die er bediente, aber hielt sich das Volk vom Leib. "Onkel Axel wünschte keine Nähe", erkannte früh sein Neffe Andreas Millies.

Das galt auch für die eigenen Kinder aus verschiedenen Ehen. Als sich sein ältester Sohn Axel, berühmt als Fotograf unter dem Pseudonym Sven Simon, am 3. Januar 1980 auf einer Parkbank erschoss, trauerte er tagelang im verdunkelten Zimmer.

Das stille Fräulein Riewerts

Der von seinen Getreuen geliebte, von seinen Gegnern gehasste König aller Blattmacher glaubte an die Einheit der Nation, die er nicht mehr erlebte, an die allmächtige Güte Gottes, dem sterbend er sich anvertraute, aber auch an Horoskope.

Friede Springer, Reuters

Herrscherin im Reich des toten Königs

(Foto: Foto: Reuters)

Er war kein Intellektueller wie Todfreund Rudolf Augstein, doch er besaß einen untrüglichen Instinkt für die richtigen Themen zur richtigen Zeit. Dieses Talent machte ihn reich. Das bei Wilhelm Raabe entlehnte Motto "Blick auf zu den Sternen, hab Acht auf die Gassen" prägte den Verleger, der Journalisten schätzte und vor seinen Kaufleuten schützte.

Allzu oft aber waren es die Gossen, in die seine Plattmacher und Kampfschreiber hinab stiegen, um Auflage zu machen und ihm zu gefallen. Ebenso groß wie seine Lust, Kampagnen loszutreten gegen die Linken, die Sozialliberalen, die Studenten von 1968, war seine stete Bereitschaft, anderen zu helfen.

Unteilbar nur seine Liebe zu Israel, seinem zweiten Vaterland, das er suchte, wenn er sich vom ersten missverstanden glaubte und wo er sich kurz vor seinem Tod mit einem ganz anderen deutschen Patrioten versöhnte: Willy Brandt.

Wer die Schuld der Deutschen relativierte durch die angebliche Gnade einer späten Geburt, dem schrieb der Mann, der die Nazis verabscheute wie die Kommunisten, deutliche Sätze ins Stammbuch: Egal nun, ob der Gemeinte — Bundeskanzler Helmut Kohl — ihm politisch so nahe stand wie sein Duz-Freund Franz Josef Strauß.

Aus seinem Verlag hat der Ästhet im Laufe des ihm selbstverständlichen prunkvollen Lebens, das am 22. September 1985 im Berliner Martin-Luther-Krankenhaus endete, mehr als 1,5 Milliarden Mark für sich abgezweigt.

Gast am Hofe des Königs

In den Schlössern, Häusern, Gütern, Wohnungen fühlte sich seine letzte Frau nie zuhause, eher wie ein Gast am Hofe des Königs. Solange der lebte, rissen sich die Höflinge darum, die letzte Frau Springer Friede nennen zu dürfen und drehten Pirouetten.

Nach seinem Tod glaubten sie, leichtes Spiel mit ihr zu haben und dieses Spiel kannte keine Regeln außer "dem Recht der Skrupellosen" (Kloepfer). Dass dieses stille Fräulein Riewerts, die Meer umschlungene Gärtnertochter, vom Männerbund Springers nicht ernst genommen wurde, belegt Inge Kloepfer mit vielen Beispielen.

Sie schildert parallel das langsame Erwachen der Witwe, die sich nicht verbrennen ließ nach dem Tode des Herrn, obwohl dessen Herrenreiter den Scheiterhaufen schon errichtet hatten.

"Auf welcher Seite stehst du?"

Und erzählt, wie sich Friede Springer mehr und mehr von der Bevormundung mächtiger und mächtig eitler Männer befreite - auch vom Hausjuristen und langjährigen Aufsichtsrats-Chef Bernhard Servatius ("Serva"), einem meisterhaften Sowohl-als-auch-Interpret laufender Ereignisse: "Bernhard, ich will ein Ja oder Nein. Auf welcher Seite stehst du?"

Immer dann, wenn sie an sich zweifelte und merkte, dass ihre antrainierte Selbstbeherrschung als Gefühlskälte verstanden wurde, suchte sie, so ihre Biografin, Trost bei Gott, an den sie glaubt wie einst ihr abgöttisch geliebter Axel. "Du wirst das schon machen, Friede", hatte er ihr kurz vor seinem Tod versichert.

In seinem Sinne machte sie sich auf - und handelte, statt sich behandeln zu lassen. Denn sie kannte ihn am besten, war schließlich fast 20 Jahre lang Springers alter ego.

Friede Springer fügte sich klaglos seinem Alleinvertretungsanspruch, obwohl sie darunter litt. Er erlaubte ihr nicht, so sehr sie es wünschte, Kinder zu kriegen: "Dann musst du Herrn Müller oder Herrn Meier heiraten."

Er verlangte für sich ungeteilte Liebe. Jedes Kind hätte einen Teil dieser Liebe ihm entzogen. Wenn sie mit ihren Eltern telefonieren wollte, die zu ihrer Hochzeit 1977 nicht eingeladen wurden, ging sie in die Waschküche, damit er nicht bemerkte, dass es außer ihm andere gab.

Ihr still dienendes Verhalten aber galt nur ihm, wie nach seinem Tod bald alle merkten.

Selbst Haifisch Leo Kirch sollte sich in der Friesin täuschen, wie man inzwischen weiß. Dialog zwischen ihr und dem Filmhändler aus München, den ihr Mann für einen Kriminellen hielt und vor dem ihn Freund Strauß stets warnte: "Ach, liebe Frau Springer, geben Sie mir doch ein paar Prozentchen ab. Ich zahle Ihnen dafür ein Vermögen." - "Ach, lieber Herr Kirch, was soll ich denn mit dem ganzen Geld, das Sie ja überhaupt nicht haben?"

Friede Springer höchstpersönlich, begleitet nur von ihrem Anwalt, hat vor ein paar Jahren sogar versucht, dem da schon ins Wanken geratenen missliebigen Filmhändler sein Aktienpaket am Hause Springer abzukaufen, er war sogar bereit dazu, weil er dringend Geld brauchte.

Doch die Hypo-Vereinsbank habe der nach München gereisten Verlegerin den nötigen Kredit verweigert, weil "nicht genügend Sicherheiten" vorhanden seien - auch dieses Gespräch mit den Bankern hat sie wörtlich eingetragen in ihr Tagebuch.

"Friede, Blut ist stärker als Himbeersaft"

Eine der vielen spannenden Passagen des Buches ist jene Szene, die beschreibt, wie Friede Springer am 10. März 1994, Spickzettel griffbereit, in ihrem VW Golf nach Quickborn ins Haus von Verlegerenkelin Ariane Springer fährt und mit den Erben, den Kindern und Kindeskindern ihrer Lebensliebe, über die Zukunft verhandelt.

Sie allein gegen fast alle: "Friede, Blut ist stärker als Himbeersaft", griff einer sie an.

Immerhin wird in der Sitzung einstimmig beschlossen, sich von allem zu trennen, was zum teuren Lebensstil des Königs Axel gehört hatte: Gut Schierensee, einst für acht Millionen gekauft und für 80 Millionen restauriert, die Villa auf Schwanenwerder, das Haus in London, das Haus in Hamburg, die Wohnung in Jerusalem, das Haus auf Patmos etc.

Sie war Haupterbin und Testamentsvollstreckerin zugleich - und diese Zwitterrolle wollte sie loswerden. Den Miterben schlug sie deshalb vor, die Testamentsvollstreckung zehn Jahre nach dem Tod von AS zu beenden.

Auch dies bestätigten alle mit ihrer Unterschrift auf dem Spickzettel. Sie teilt es noch am selben Abend den beiden anderen Testamentsvollstreckern mit, Ernst Cramer und Bernhard Servatius. Als sich "Serva" sträubte, verlor sie ein einziges Mal die Nerven.

Das stille Fräulein Riewerts

Schrie und weinte und drohte: "Bernhard, entweder hilfst du mir oder ihr macht ohne mich weiter." Einen solchen Skandal hätte der Verlag nicht überstanden.

Springer-Tochter Barbara wurde ausbezahlt mit 50 Millionen Mark, Springer-Sohn Nicolaus, zu dessen Betreuung Friede einst angestellt wurde, mit 70 Millionen Mark; die Enkel Ariane und Axel Sven behielten ihre Anteile.

Der Jüngste zog Jahre später gegen seine Stiefgroßmutter vor Gericht und focht das zweite Testament an, doch inzwischen scheint auch da eine friedliche Einigung möglich, in Zahlen: 75 Millionen Euro aufs Konto Axel Sven, verteilt über mehrere Jahre, für seinen Fünf-Prozent-Anteil.

Dieses zweite Testament, bestimmt von Axel Springer am 2. September 1985 im Grand Hotel Dolder in Zürich, wenige Tage später diktiert von Servatius, hatte Springer zu Lebzeiten nicht mehr unterschreiben können.

Bei einem Treffen in Tranquilitati auf Schwanenwerder einigten sich die Erben wenige Tage nach seinem Tod in Gegenwart von Servatius darauf, den letzten Willen von "Daddy" und "Granddaddy" trotz fehlender Signatur zu akzeptieren: Friede Springer bekam 70 Prozent, Barbara und Nicolaus je zehn, Axel und Ariane je fünf.

Keiner lästert mehr

Medienbranchentypisch wurde über die Witwe im 19. Stock gelästert, als sie nach teuren Fehlgriffen, an denen sie nie unbeteiligt war, den unerfahrenen Mathias Döpfner zum Vorstandschef bestellte, in dem viele das Ebenbild des Verlagsgründers zu erkennen glaubten und Friede Springers Wahl deshalb als Marotte einer immer noch Liebenden belächelten - groß, schlaksiger Gang, gute Umgangsformen.

Heute lästert keiner mehr. Es wird wieder Geld verdient und das ist nötig, denn Kredite müssen bedient werden, und überhaupt: Die Welt ist teuer.

Selbst der skrupellose Taktierer Kirch war sprachlos, als ihn Döpfner am 29. Januar 2002 nach langen Verhandlungen in München anrief: "Herr Kirch, ich wollte Ihnen jetzt noch einmal mitteilen, dass wir, wie mehrfach angekündigt, die Option ausgeübt haben."

Was übersetzt nichts anderes bedeutete, als den Anfang vom Ende des Kirch-Spiels. Kirch konnte 767 Millionen Euro für jene elf Prozent Anteil an der ProSiebenSat1 Media AG nicht aufbringen, die Springer hielt und jetzt laut Vertrag einlösen durfte. Antwort Leo Kirch: "Mathias, das hätte ich dir nicht zugetraut."

Normalerweie siezten sie sich, auch wenn Kirch 1998 bei der Bestellung Döpfners zum Welt-Chefredakteur mitgeredet hatte - wie bei allen solchen Personalien im Hause Springer.

Kirch ging in die Insolvenz, und die Deutsche Bank übernahm in einer Auktion dessen Anteil; Stunden später erwarb Friede Springer davon zehn Prozent.

Nun war sie mit insgesamt 55,4 Prozent der Aktien - und als Allein-Geschäftsführerin der Holding - endgültig Herrscherin im Reich des toten Königs. Unabhängig von allen anderen, auch und vor allem von seinen sie nicht liebenden Kindeskindern.

Ihr Weg von jenem Sommernachmittag 1965 an der Elbe hat Spuren hinterlassen. Wer in der 62-jährigen Verlegerin noch jene 23-jährige Friede entdecken will, in deren Lebenslust sich Axel Springer augenblicklich verliebte, weil sie ihn an seinen Schwarm Julie Christie erinnerte, muss deshalb den richtigen Moment erwischen.

Zum Beispiel, wenn sie mit dem evangelischen Bischof Wolfgang Huber bei passender Gelegenheit und entsprechender Musik abschüttelt, was sie zu tragen hat. Tanzen kann sie wie einst als junges Mädchen. Das hat sie nie verlernt.

Jürgs, 58, ehemaliger Stern-Chefredakteur, hat viele Bestseller geschrieben, darunter: Der Fall Axel Springer (1995).

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