Freispruch für Amanda Knox:Leichtes Spiel für die Verteidiger

Im Fall Knox ist aus einer hohen Haftstrafe ein Freispruch geworden, aus einer Mörderin ein Opfer der Justiz: Mitverantwortlich für die Entscheidung des Gerichts sind Pfusch und Schluderei bei der italienischen Polizei - und womöglich die kruden Theorien des Hauptanklägers. Warum Amanda Knox freigesprochen wurde.

Lena Jakat

Wie kann sich ein Vierteljahrhundert Gefängnis in einen makellosen Freispruch verwandeln? Wie wird aus der kaltblütigen Mörderin mit den Eisaugen ein unschuldiges Mädchen? Wie sind innerhalb eines Justizsystems zwei so gegensätzliche Entscheidungen möglich? Fragen, die nach der Entscheidung des Gerichts in Perugia nicht nur die Hinterbliebenen von Meredith Kercher stellen - "Wir verstehen nicht, wie es möglich ist, das erste Urteil so komplett umzudrehen", erklärte die Familie des Opfers unmittelbar nach der Urteilsverkündung. Eine Antwort auf ihre Frage muss lauten: Möglich gemacht haben den Freispruch für Amanda Knox eine Verkettung von unglücklichen Zufällen, eine Reihe von Schlampereien bei den Ermittlungen - und möglicherweise auch eine schillernde Figur der Anklage.

Polizia statt Carabinieri

Die ersten Beamten, die am Vormittag des 2. November 2007 in einem Häuschen über Perugia eintreffen, sind nicht die Ermittler der Carabinieri, die die amerikanische Austauschstudentin und ihr italienischer Freund Raffaele Sollecito nach eigener Aussage herbeigerufen haben, als sie Spuren eines Einbruchs entdeckten, sondern Beamte der Polizia di Stato. Rein zufällig und in einer anderen Sache klingeln sie in diesem Moment an der Haustür. Sie lassen sich von Knox und Sollecito durch das Haus führen, wenig später kommen noch Knox' Mitbewohnerin Filomena Romanelli und drei Freunde hinzu.

In dieser Zeit, bevor die Beamten in Meredith Kerchers abgeschlossenem Schlafzimmer die Leiche der jungen Engländerin entdecken, könnten die Polizisten am Tatort erste wertvolle Spuren zerstört oder verfremdet haben. Selbst Chefankläger Giuliano Mignini gab zu, er hätte die in Mordermittlungen zuständigen Carabinieri lieber als Erste am Tatort gesehen. Dieser unglückliche Zufall könnte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die wichtigsten Beweise im zweiten Prozess so wirkungslos wurden.

Die Anklage um Mignini hielt stets daran fest, dass Knox und Sollecito die Carabinieri erst später anriefen - als die Polizei bereits im Haus war. Allerdings war die Analyse der Telefonanrufe an jenem Tag alles andere als exakt: So behauptete die Anklage zunächst auch, Knox habe versucht, vor der Polizei ihre Mutter in Seattle anzurufen. Wie sich allerdings später zeigte, wählte Knox keine amerikanische, sondern eine englische Vorwahl - die des Handys von Meredith Kercher. Und so wurde aus dem Indiz der Anklage eines der Verteidigung: Denn warum sollte eine Mörderin Stunden nach der Tat die Nummer ihres Opfers wählen?

Spuren von Spuren

Es waren die wichtigsten Beweise gegen Knox und Sollecito: ein Küchenmesser und die Schließe eines BHs. DNS-Spuren von Knox und Kercher machten das Messer aus Sollecitos Küche zur potentiellen Tatwaffe. Davon abgesehen, dass bis zuletzt unklar blieb, warum die Ermittler ausgerechnet dieses Messer unter mehreren in Sollecitos Küche als Beweisstück sicherten, dass die Klinge offenbar nicht zu den Schnittverletzungen am Hals des Opfers passte und davon, dass daran kein Blut gefunden wurde, waren die übrigen Spuren Kerchers an der Klinge äußerst gering. Zu gering, um eine Mordanklage darauf zu bauen, mahnten die Verteidiger schon im ersten Prozess. Die Bitte nach erneuter Prüfung der DNS-Spuren blieb den Anwälten von Knox und Sollecito damals versagt - trotz eifriger Schützenhilfe: Neun US-Forensiker hatten in einem offenen Brief die Unzulänglichkeit der Beweise angeprangert.

Im Berufungsprozess wurden diese Beweise nun erneut geprüft, mit dem erwarteten Ergebnis: die Spuren seien zu gering, als dass sich eine eindeutige Aussage treffen ließe, gaben zwei Forensiker aus Rom zu Protokoll. Gleiches gelte für DNS-Spuren an Kerchers BH-Clip. Diese, im ersten Prozess als zentrales Beweisstück angeführte, Schließe wurde vom Boden des Tatorts aufgelesen. Sie trug Spuren von Sollecitos DNS. Ein Sexualverbrechen lässt sich daraus jedoch nicht - wie im ersten Prozess geschehen - zwingend schließen. Denn der Clip lag 46 Tage lang am Tatort, bevor er den Weg in die Asservatenkammer fand. Ausreichend Zeit und Gelegenheit für eine Verunreinigung, argumentierte die Verteidigung im Revisionsprozess erfolgreich.

War die Entscheidung vom Montag für Amanda Knox Grund zu grenzenloser Freude - für die italienischen Ermittlungsbehörden ist sie hochnotpeinlich. Denn das Urteil macht die vielen Schlampereien, über die bereits berichtet wurde, offiziell. Die Ermittler haben die Anklage selbst verpfuscht.

Ein blutiger Fußabdruck und satanische Verse

Auch ein drittes Indiz der Anklage konnte in zweiter Instanz mühelos ausgehebelt werden: Ein blutiger Fußabdruck auf dem Badezimmerteppich wurde im ersten Prozess - angeblich eindeutig - Sollecito zugeordnet. Im Revisionsverfahren jedoch war es für einen Experten der Verteidigung ein Leichtes, den Zusammenhang zu widerlegen - weist doch Sollecitos Fuß eine Deformation auf, so dass der zweite Zeh nicht einmal den Boden berührt.

Amanda Knox

Amanda Knox (von hinten) umarmt ihren Anwalt Luciano Ghirga: Auf die Zweifel an den Beweisen und an der Strategie der Staatsanwälte folgte der Freispruch.

(Foto: AP)

Für die Verteidigung fällt damit der Beweis, dass sich Sollecito überhaupt am Tatort aufgehalten hat. Und dem Freispruch ist kaum noch etwas entgegenzuhalten.

Die satanischen Verse des Guliano Mignini

Ungleich bessere Aussicht auf Erfolg hätte die Anklage in Perugia womöglich auch gehabt, hätte sie nicht Giuliano Mignini zu ihrem Hauptvertreter gehabt. Der Chefankläger besitzt ein offenbar ausgeprägtes Faible für satanische Verschwörungstheorien: Im Zusammenhang mit einem noch immer ungelösten Mordserie erhob er 2001 Anklage gegen 20 mutmaßliche Mitglieder eines satanischen Kultes - sie alle wurden freigesprochen.

Einer allerdings wurde für schuldig befunden: Mignini selbst, wegen Amtsanmaßung. Er ließ in diesem Fall offenbar unrechtmäßig Telefone von Journalisten und Polizisten abhören - und wurde im Januar 2010 zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt. Mignini hat das Urteil angefochten und darf vorerst weiter als Staatsanwalt tätig sein.

Auch im Fall Knox war Mignini schnell damit, einen "satanischen Ritus" als Hintergrundgeschichte für Kerchers Tod zu skizzieren. Zu Beginn des ersten Verfahrens sprach er auch von "dämonischen Motiven" Knox' - einen Aspekt, den der Richter wohlweislich jedoch bald fallen ließ.

Der schillernde Verschwörungstheoretiker Mignini lieferte Gründe, um die Glaubwürdigkeit und Professionalität der Ermittlungen anzuzweifeln. Und die Familie Knox nützte diese - ebenso wie die dürftige Beweislage - in einer PR-Kampagne, die einen Millionenbeitrag gekostet haben, aus. Die Tochter wurde so ins rechte Licht gerückt - und schließlich freigesprochen.

Mignini konnte das Urteil kaum glauben und schwor umgehend, es in höchster Instanz anzufechten. "Lassen Sie uns abwarten und sehen, wer recht hat: das erste Gericht oder das Berufungsgericht", sagte der Staatsanwalt.

Auch in der Familie des Opfers Meredith Kercher herrschte nach dem Urteil Schock und Ratlosigkeit: Doch einen Tag nach dem Prozess gaben sich die Angehörigen bei einer Pressekonferenz kämpferisch: Man akzeptiere die Entscheidung, respektiere die italienische Justiz. Aber die Familie wundere sich, sagte Lyle Kercher, Bruder der Getöteten, "wie ein Urteil, dass vor zwei Jahren so sicher wirkte nun mit solchem Nachdruck außer Kraft gesetzt wird".

Anmerkung der Redaktion: In einer älteren Version dieses Textes war davon die Rede, dass dass die Klinge des Küchenmesser "offenbar nicht zu den Schnittverletzungen" passte - genauer muss es allerdings heißen: zu den Verletzungen am "Hals des Opfers". Andere Verletzungen Kerchers könnten durchaus von diesem Messer stammen.

Wir haben den Sachverhalt korrigiert und bedanken uns bei unserem aufmerksamen Leser - der uns auch auf den Link zum PR-Partner der Familie Knox hingewiesen hat.

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