Er betrachtet sich als "Avantgarde der Republik", der Grand Orient de France, die älteste und wichtigste Großloge Kontinentaleuropas. 1150 Logen mit 50.000 Freimaurern gehören ihr an. Sie sind auf die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eingeschworen - wie die Republik. In Sachen Gleichheit aber waren die Brüder bislang kein Vorbild: Sie ließen keine Schwestern zu. Noch im vergangenen Jahr entschied ein Konvent, im Unterschied zu anderen Großlogen keine Frauen aufzunehmen. Jetzt folgt die Kehrtwende: Bei seiner Versammlung in Vichy öffnete sich der Grand Orient am Donnerstag dem weiblichen Geschlecht. "Das ist ein historischer Moment", staunt ein früherer Großmeister.
In England gibt es schon lange Freimaurer-Logen nur für Frauen, hier im Bild Dr. Iris Monica Oktabcova Großmeisterin des "Order of Women Freemasons" in London. Ihre französischen Brüder wollten bisher unter sich bleiben. Jetzt aber hat sich die Pariser Loge radikale égalité verschrieben - und ihre Loge auch für Frauen geöffnet.
(Foto: Getty Images)Die Frauenfrage hat den Grand Orient lange umgetrieben und die Brüderlichkeit unter den Freimaurern beeinträchtigt. Pierre Lambicchi, der scheidende Großmeister, schlug schließlich vor, männliche, weibliche und gemischte Logen zu bilden. Doch die mehr als tausend Delegierten entschieden sich für die radikalere Lösung. Vive l'égalité.
Auch sonst verlief die Versammlung denkwürdig. Sie spiegelte die Orientierungsprobleme wider, mit denen die Freimaurerei zu kämpfen hat. Die Delegierten wiesen den Rechenschaftsbericht Lambicchis zurück, ein unerhörter Affront. Die Kritiker warfen dem Großmeister vor, sich nicht genug auf die Sozialarbeit der Großloge konzentriert zu haben. Auch wurde ihm zu große Nähe zum rechten Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy angelastet. Traditionell ist der 1773 gegründete Grand Orient - im Gegensatz zu anderen Großlogen - links eingestellt.
Die Kirche der Republik
Prompt wurde nun ein linker Großmeister gewählt. Der Arzt und Sozialist Guy Arcizet kündigte an, die Ordensarbeit sozialer auszurichten. Lambicchi indes kann für sich in Anspruch nehmen, die Mauern, hinter denen die Freimaurer agieren, durchlässiger gemacht zu haben. So wurde dieses Jahr am Sitz des Grand Orient in Paris ein Freimaurer-Museum eröffnet. Das kann helfen, verzerrte Vorstellungen in der Öffentlichkeit abzubauen. Noch immer schlägt den Freimaurern mit ihren Symbolen und Riten eine Mischung aus Faszination und Argwohn entgegen, die von Autoren wie Dan Brown scharf gewürzt wird.
Als geheime Elite, Schatten-Netzwerk oder Weltverschwörung werden die Freimaurer gern angesehen. Tatsächlich kennt die Bewegung Auswüchse wie die Loge "P2", die in den siebziger Jahren Italien unterwanderte. In Frankreich gibt es Logen, die sich mehr dem Geschäftemachen widmen als den hehren Zielen der Freimaurerei, der ständigen Arbeit an sich selbst und der Schaffung einer toleranten, von humanistischen Werten durchdrungenen Gesellschaft. Die Freimaurer verwahren sich jedoch dagegen, wegen solcher Entgleisungen die ganze Bewegung zu diskreditieren.
In Frankreich hat die Freimaurerei jedenfalls die Republik mitgeprägt. Während der Aufklärung entstanden - Montesquieu war Freimaurer -, förderten die Logen die Umwälzungen von 1789 und die republikanischen Werte sowie die Trennung von Staat und Kirche. Da mag es paradox klingen, wenn sie sich "Kirche der Republik" nennen. Heute haben die französischen Freimaurer zwar nicht mehr so viel Einfluss wie einst, doch noch immer zählen sie mächtige Männer wie den Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë oder den Chef der regierenden UMP-Partei, Xavier Bertrand, zu ihren Brüdern. Nun darf der Grand Orient hoffen, dass bald ein paar wichtige Schwestern dazustoßen.