Ganze 25 Minuten dauert es, bis alle Angeklagten in den Schwurgerichtssaal IV des Freiburger Landgerichts hereingeführt sind und auf ihren Plätzen sitzen. Elf Männer zwischen 18 und 30 Jahren, acht von ihnen syrische Staatsangehörige, ein Iraker, ein Algerier und ein Deutscher. Einige verdecken ihr Gesicht, ein Mann schimpft laut auf Arabisch, als er mit Hand- und Fußfesseln hereingeführt wird. Die Männer sollen im Oktober 2018 nahe einer Freiburger Diskothek eine 18-jährige Frau vergewaltigt haben, und zwar einer nach dem anderen. Es ist der Beginn des größten Prozesses, den das Landgericht Freiburg je gesehen hat.
Der Fall hatte Freiburg im Herbst aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Studentenstadt sieht sich selbst als weltoffen und liberal. Doch einige schreckliche Verbrechen rüttelten in den vergangenen Jahren an diesem Selbstbild: der Mord an der Studentin Maria L., der im Oktober 2016 von einem afghanischen Flüchtling begangen wurde; sie wurde tot in der Dreisam gefunden, dem Fluss der Stadt, wo die Menschen sonst joggen, Volleyball spielen. Nur einen Monat später wurde 30 Kilometer entfernt, in einem Wald bei Endigen, eine tote Joggerin gefunden. Die Stadt war erschüttert. Nach Bekanntwerden der Gruppenvergewaltigung und des Vorwurfs, dass mehrheitlich Asylbewerber dieses Verbrechen begangen haben sollen, organisierte die AfD einen Protestmarsch. Mehr als 2000 Bewohner stellten sich dem entgegen.

Baden-Württemberg:Freiburg: Die verunsicherte Stadt
Vor zwei Jahren wurde in Freiburg eine Studentin ermordet, jetzt haben mindestens acht Männer eine Frau vergewaltigt. Dort fragt man sich nun: Was läuft schief?
Nachts ist es dort dunkel und einsam
Die Anklageschrift, die der Staatsanwalt vorliest, ergibt ein erschütterndes Bild jenes Abends im Herbst: Der Tatort war das Hans-Bunte-Areal in einem nördlichen Außenbezirk Freiburgs, ein Gewerbegebiet nahe einer Schnellstraße. Nachts ist es dort dunkel und einsam, im Oktober hatte hier in einer Kellerdisco eine Technoparty stattgefunden.
Laut Staatsanwalt verkaufte der mutmaßliche Haupttäter Majd H. zusammen mit einem anderen Angeklagten der damals 18-jährigen Frau und ihrer Freundin zwei Ecstasy-Pillen. Zudem soll er der 18-Jährigen auf der Tanzfläche ein Wodka-Mixgetränk überreicht haben, in dem sich ein "nicht bekanntes Betäubungsmittel" befunden habe. Wenig später habe er die Frau unter dem Vorwand, ihr ein Tattoo am Oberschenkel zeigen zu wollen, nach draußen gelockt. Nachdem sie etwa 50 Meter gegangen seien, habe sie in die Disco zurückkehren wollen. Da habe er sie von hinten gepackt, ihren Rock, die Strumpfhose und Unterhose heruntergerissen und sie vergewaltigt.
Eine Anwältin warnt vor einer Vorverurteilung
Durch den Konsum von Drogen und Alkohol sei die Frau zunehmend hilf- und wehrlos gewesen, der 22-Jährige habe sie im Gebüsch liegen lassen und sei zurück in die Disco gegangen. Dort habe er seinen Bekannten erzählt, dass draußen eine Frau liege, mit der sie Sex haben könnten. Den zehn weiteren Angeklagten wird vorgeworfen, die Frau während der folgenden zwei bis drei Stunden sexuell missbraucht zu haben. Die 18-Jährige habe sich in ihrem Drogenrausch zwar schwach mit ihren Fingernägeln und mithilfe kleiner, im Gebüsch ergriffener Stöckchen gewehrt, die Männer hätten sie allerdings überwältigt.
Nach der Verhandlung betonen mehrere Verteidiger im Gespräch, dass die Schuld der Angeklagten aus ihrer Sicht keineswegs gesichert sei. Der Anwalt des Hauptangeklagten Majd H. sagt, für seinen Mandanten sei der Geschlechtsverkehr einvernehmlich gewesen und von der Frau gar gefordert worden.
Eine weitere Anwältin warnt vor einer Vorverurteilung. Aufgabe des Gerichts sei es, "die Emotionen unter Kontrolle zu halten", sagt sie und beklagt eine "Sensationsberichterstattung", die dazu geführt habe, dass ihr Mandant dreimal die Flüchtlingsunterkunft habe wechseln müssen, weil er verprügelt worden sei. Zudem seien Verteidiger bedroht worden. Die Schöffen bittet sie, kühl zu bleiben, sich nicht "von Rachegelüsten" leiten zu lassen. Auch sie gibt am Rande der Verhandlung an, dass es Zweifel gebe am Tathergang. Es könne zu Verhaltensweisen gekommen sein, die Männer aus einem anderen Kulturkreis als Einverständnis zu sexuellen Handlungen interpretieren könnten, die Anwältin nennt hier den Umstand, dass man seine Hose ausziehen müsse, um ein Tattoo zu zeigen, als Beispiel. Da sich die Geschädigte aufgrund eines Alkohol- und Drogenrausches kaum mehr erinnern könne, sei die Beweisführung schwierig.
Einige Verteidiger erklärten nach dem ersten Prozesstag, dass es für die angebliche Substanz im Getränk keinerlei Beweise gebe. Warum die Frau derart weggetreten gewesen sei, wisse man nicht. Die Frau konnte nicht alle Männer identifizieren, ebenso fanden die Ermittler nicht von allen DNA-Spuren. Die junge Frau war zum Prozessauftakt selbst nicht im Saal.
Um diesen Prozess bewerkstelligen zu können, musste das Landgericht umbauen. Der halbe Teich im Hof wurde trockengelegt und so überbaut, dass genügend Polizeiwagen parken können. Im Schwurgerichtssaal IV haben Handwerker Stuhlreihen herausgesägt, obwohl der Raum unter Denkmalschutz steht. Es sind 47 Zeugen geladen, fünf Sachverständige, dazu Dolmetscher, Anwälte und die Geschädigte als Nebenklägerin. Die Angeklagten mussten aus Haftanstalten aus ganz Baden-Württemberg angefahren werden, für jeden ist eine Extrazelle reserviert. Das Gericht hat 26 weitere Verhandlungstage angesetzt, das Urteil soll am 19. Dezember fallen.