Freiburg:Sechs Jahre und zwei Monate Haft für Alessios Vater

  • Sechs Jahre und zwei Monate Haft für einen Kindermörder.
  • Norbert T. habe nicht das Bewusstsein gehabt, jemanden zu töten, als er auf seinen dreijährigen Stiefsohn einprügelte, so die Staatsanwaltschaft in Freiburg.
  • Jugendamts-Mitarbeiter könnten auch noch angeklagt werden.

Von Josef Kelnberger, Freiburg

Der Angeklagte Norbert T. ist ein drahtiger, schüchtern wirkender Mann. Den Blick gesenkt, die Hände unter dem Tisch verschränkt, so verfolgte er die Urteilsbegründung. Der 33-Jährige hob auch nicht den Blick, als sich Richterin Eva Kleine-Cosack persönlich an ihn wandte. "Sie werden noch ein junger Mann sein, wenn Sie aus der Haft entlassen werden", sagte sie und wünschte ihm, er möge verarbeiten, "was Ihnen auferlegt wurde, und was Sie sich selbst auferlegt haben". Er möge einen Weg in ein neues Leben finden. So viel Mitgefühl war zu viel für einige der Zuhörer im Gerichtssaal. Manche grummelten, andere lachten höhnisch. Auf T-Shirts die Aufschrift: "Keine Gnade für Kindermörder". Schon das Urteil hatten sie mit Empörung quittiert. Sechs Jahre und zwei Monate Haft für einen Mann, der seinen dreijährigen Stiefsohn zu Tode geprügelt hatte. Ist das Gerechtigkeit?

Es ist das letzte Wort der Justiz im Fall Alessio. Das monströse Bild des Angeklagten, gezeichnet von der Anklage, hatte sich im Laufe der Verhandlung am Landgericht Freiburg relativiert. In seinem Plädoyer wich der Staatsanwalt vom Vorwurf des Totschlags ab. Das Bewusstsein, jemanden zu töten, hatte Norbert T. nicht, als er am Nachmittag des 12. Januar 2015 dem Kind dreimal die Faust in den Leib rammte. Verurteilt wurde er am Mittwoch wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung Schutzbefohlener.

Möglicherweise werden Jugendamts-Mitarbeiter angeklagt

Die Vorgeschichte dieses Falls trage "schicksalhafte Züge", sagte Richterin Kleine-Cosack. Es wird aber zu klären sein, ob neben der Schuld des Angeklagten auch ein Versagen des Staates vorliegt. Denn das Jugendamt hatte ein Auge auf diese Tragödie auf einem historischen Bauernhof im Schwarzwald. Die Staatsanwaltschaft wird möglicherweise Anklage gegen Mitarbeiter des Amts wegen Verletzung der Fürsorgepflicht erheben.

Norbert T. war als Kind von seiner Mutter schwer misshandelt worden, einmal ging sie mit einem Messer auf ihn los. Er wuchs danach bei den Großeltern auf, die ihn wohlwollend, aber nach dem Motto erzogen: "Ein Klaps hat noch keinem geschadet." Die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit musste er in einer Therapie abarbeiten; er galt als akut suizidgefährdet. Seine Erfüllung fand er in der Landwirtschaft. Er verwirklichte sich seinen Lebenstraum, als er den Zipfelhof in Lenzkirch-Kappel kaufte. 140 Kühe, 100 Hektar Grünfläche. So begann der Albtraum seines Lebens.

Im April 2013 zog eine junge Frau mit ihrem eineinhalbjährigen Kind, Alessio, zu ihm. Erst zur Miete, aber schnell kamen sich die beiden näher. Alessio nannte Norbert T. "Papa". Schon bald war eine kleine Schwester unterwegs. Was Norbert T. nicht wusste: Seine Lebensgefährtin war in ihrer Jugend vom Vater missbraucht worden, sie trug schwere psychische Störungen davon.

Dass die Mutter in die Psychatrie muss, interpretiert das Jugendamt als Chance

Zwei labile Menschen hatten zueinandergefunden. Sie versuchten, einen Hof zu führen, auf dem riesige Schulden lasteten und zwei Kinder großzuziehen; die junge Frau war von diesen Aufgaben wohl gänzlich überfordert. Im Sommer 2013 und im Sommer 2014 schöpften Kinderärzte den Verdacht, Alessio werde misshandelt. Die Kinderklinik Freiburg erstattete Anzeige. Die Ermittlungen verliefen im Sande, doch warnte die Staatsanwaltschaft das Jugendamt: Alessio sei dringend schutzbedürftig. Das Amt startete ein Schutzprogramm.

Die Mutter zog für einige Zeit mit den Kindern zu Norbert T. s Großmutter, es begann eine Familientherapie, angeblich vielversprechend. Mutter und Kinder durften zurückkehren auf den Hof, und die Kinder durften dort auch bleiben, als die Mutter nach einem Zusammenbruch in die Psychiatrie eingeliefert werden musste. Das Jugendamt interpretierte dies als Chance, dass Norbert T. und die Kinder zueinanderfinden könnten. Tatsächlich wurde alles schlimmer. Norbert T. war in schwere finanzielle Nöte geraten. Er erfuhr von den Ärzten, seine Lebensgefährtin werde niemals ein normales Leben führen können. Und er schöpfte den Verdacht, sie habe eine Beziehung zu einem anderen Mann begonnen. Die Situation eskalierte am Nachmittag des 12. Januar 2015.

Norbert T. versorgte gerade die Tochter, als er Alessio weinen hörte. Er fand ihn nackt auf den Holzdielen am Fuß der Treppe, die er hinuntergestürzt war. Offenbar hatte er sich in die Hose gemacht und sich umziehen wollen. Norbert T. fürchtete, die Verletzungen Alessios würden ihm wieder als Misshandlung ausgelegt. Und rastete aus. Seine drei Schläge fügten Alessio schwerste innere Verletzung zu. Der Junge starb um 17.10 Uhr in einer Kinderarztpraxis, in die ihn Norbert T. gebracht hatte.

Norbert T. habe in einer "gefühllosen und gleichgültigen Gesinnung" gehandelt, sagte die Richterin. "Sie haben Ihre Emotionen am Kind, dem absolut schwächsten Glied in der Kette, abreagiert." Von den schweren Misshandlungen Alessios, die Norbert T. vorgeworfen wurden, ließen sich nur vier belegen. Drei Ohrfeigen, ein Schlag auf den Mund.

Der Zipfelhof steht mittlerweile zum Verkauf, Alessios kleine Schwester lebt bei Pflegeeltern. Norbert T. warf sich eine Jacke über den Kopf, zum Schutz vor Fotografen, als er den Gerichtssaal verließ. Der Weg in ein neues Leben ist unendlich weit.

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