Süddeutsche Zeitung

Frauenmorde sind häufig Beziehungstaten:Tödliche Zweisamkeit

Sie sterben durch die Hand des Ehemanns, Freundes oder Ex-Partners. Bei fast jedem zweiten Frauenmord steht ein dem Opfer nahestehender Mann im Verdacht. Das geht aus bisher nicht veröffentlichten Zahlen des BKA hervor, die der SZ vorliegen. In anderen Ländern gibt es ähnliche Statistiken - Italiens Frauen machen nun mobil gegen den "Feminizid".

Jan Bielicki

Das Verhör dauerte zehn Stunden. Dann gestand der 34-jährige Francesco Lo Presti, seine 14 Jahre jüngere Freundin erwürgt und ihre Leiche von einer Brücke hinabgestoßen zu haben. Vanessa Scialfa war bereits die 54. Frau, die allein in diesem Jahr in Italien umgebracht wurde. Doch der Tod der jungen Frau aus dem sizilianischen Enna blieb nicht nur Polizeimeldung auf den hinteren Seiten der Zeitungen.

Italiens Frauen empörten sich. Eine Frauenorganisation verfasste eine Protestpetition gegen den vielfachen Feminizid und gegen die Gleichgültigkeit, mit der Politik und Gesellschaft Frauenmorden begegnen. Stars wie Gianna Nannini und Laura Pausini, aber auch Politikerinnen wie Innenministerin Anna Maria Cancellieri gehören zu den mehr als 40.000 Unterzeichnern des Aufrufs "Nie mehr Komplizen".

Über die Alpen reichte die Empörung bisher nicht. Dabei gibt es in Deutschland nicht weniger tödliche Gewalt gegen Frauen als in Mittelmeerländern, denen das Klischee besonders eifersüchtige Männer zuschreibt. 2011 fielen hierzulande 313 Frauen Mord und Totschlag zum Opfer. Bei 154 von ihnen, also fast jeder zweiten getöteten Frau, hatte die Polizei Ehemann, Freund oder Ex-Partner in dringendem Tatverdacht. Das geht aus bisher nicht veröffentlichten Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen.

Frauen erleben Gewalt vor allem in der eigenen Familie

Es ist das erste Mal, dass die BKA-Statistiker ihre Zahlen danach aufschlüsseln, in welcher partnerschaftlichen Beziehung Opfer und ermittelte Tatverdächtige standen. Danach galt den Kripobeamten im Jahr 2011 in 100 dieser Tötungsfälle der jeweilige Ehemann als mutmaßlicher Täter, in 27 Fällen war es der nichteheliche Lebenspartner, weitere 27 Male war es der Ex-Partner.

Umgekehrt ist es selten, dass Frauen ihre Partner töten: 2011 fielen zwar insgesamt 349 Männer Mord und Totschlag zum Opfer. Aber in nur 24 dieser Fälle heftete sich der polizeiliche Tatverdacht an Partnerin oder Partner des Getöteten: 16-mal hielt die Polizei die Ehefrau für die Täterin, siebenmal Freundin oder Freund. In einem einzigen Fall war der mutmaßliche Mörder dem männlichen Opfer in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft verbunden.

Diese Zahlen des BKA sind ein weiterer Beleg für einen Sachverhalt, auf den Gewaltforscher immer wieder hinweisen: Frauen erleben Gewalt vor allem in der eigenen Familie, und der Täter ist zumeist der männliche Beziehungspartner.

In einer umfangreichen Studie des Bundesfrauenministeriums gab jede vierte der fast 10.000 darin befragten Frauen an, schon einmal mit körperlichen Übergriffen ihres Mannes, Freundes oder Ex-Partners konfrontiert gewesen zu sein. Immerhin in jeder 17. Paarbeziehung kommt es zu schwerer körperlicher wie psychischer Gewalt.

Mord und Totschlag "sind nur die Spitze des Eisbergs", sagt die Frauenforscherin Monika Schröttle, die Projektleiterin der Studie war und derzeit an der Universität Gießen lehrt. Passieren kann es allen Frauen. Gerade schwerste Formen häuslicher Gewalt kämen in allen Gesellschaftsschichten vor, sagt Schröttle: "Das ist kein Problem, das nur Randgruppen betrifft."

Zur tödlichen Eskalation unter Paaren kommt es oft dann, wenn eine Trennung im Raum steht. Erst am späten Montagabend wurde eine 28-Jährige in München niedergestochen und starb. Die Polizei musste nicht lange fahnden. Der Ehemann, vor Kurzem von seiner Frau getrennt, räumte die Tat ein.

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SZ vom 24.05.2012/jobr
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