Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Leber und Leber lassen

Zu Frankreichs vorweihnachtlichen Traditionen gehört es, politischen Gegnern vorzuwerfen, sie würden den anderen das Fest vermiesen. In diesem Jahr lautet die Konfliktfrage: Foie gras - ja oder nein?

Von Nadia Pantel, Paris

Wer Lust hat, sich zu streiten, findet Weihnachten immer eine Gelegenheit. Die Tradition der Weihnachtsfehde pflegen nicht nur Familien, in Frankreich ist der Streit zum Fest eine nationale Angelegenheit. In diesem Jahr war es die Präsidentschaftskandidatin der rechts-bürgerlichen Républicains, Valérie Pécresse, die die Saison eröffnete. In einem halbfertigen Satz sagte Pécresse in einem Fernsehinterview vergangenen Sonntag: "Also, ich sage Ihnen, wenn Französisch sein bedeutet, keinen Weihnachtsbaum mehr zu haben, kein Foie gras mehr zu essen..." Und: "Frankreich ist Frankreich - und Frankreich, das ist Foie gras."

Bevor es um die politischen Aspekte dieses Angriffs geht, hier zunächst einmal die kulinarischen: Bei Foie gras handelt es sich um eine französische Spezialität, die übersetzt "fette Leber" heißt. Wenn man Enten (manche nehmen auch Gänse) mehrmals täglich zwangsernährt, verfettet ihre Leber und das Organ wächst auf das zehnfache seiner eigentlichen Größe heran. Begonnen haben mit dieser Entenmast die alten Ägypter, die Franzosen haben sie 2006 zum "nationalen Kulturerbe" erklärt. Dadurch lassen sich europäische Tierschutzgesetze umgehen, die das Produzieren von Stopfleber verbieten. Foie gras hängt insofern mit Weihnachten zusammen, als dass zum Feiertagsmenü in den meisten Familien eben die verfettete Leber gehört. 75 Prozent der französischen Foie-gras-Produkte werden jährlich im Dezember verkauft.

Zurück zur Politik. In den grün regierten Rathäusern von Grenoble, Straßburg und Lyon wird nun auf Empfängen kein Foie gras mehr serviert. Das haben Frankreichs Grüne (Europe Écologie les Verts, EELV) im September 2020 beschlossen. Zu großer Aufregung führte diese Entscheidung erst in diesem Herbst, nachdem die Tierschutzorganisation PETA die Grünen für ihre geflügelschonende Politik lobte. Die konservative Kandidatin Pécresse legte den Fokus nun weniger auf die Ente, denn auf den weihnachtlichen Menschen. Feiertage ohne Foie gras? Das Ende der französischen Kultur.

Weihnachtsbaum, Stopfleber, Misswahlen, Tour de France - französischer geht's nicht

Zu Pécresse' Vorstellung von französischer Lebensart gehören vier Dinge: Weihnachtsbaum, Stopfleber, die Miss-France-Wahlen und die Tour de France. So fasste sie es wenigstens im Interview mit France 3 zusammen. Es erinnerte ein wenig an ein Interview, das der damalige polnische Außenminister Witold Waszczykowski 2016 der Bild-Zeitung gegeben hatte. Er erklärte, dass es seiner rechts-konservativen Regierung darum gehe, Polen davor zu bewahren, ein Land der "Radfahrer und Vegetarier" zu werden, "die nur erneuerbare Energien nutzen und alle Zeichen der Religion bekämpfen".

Die Vierfach-Verteidigung von Pécresse sollte man dabei weniger als Liebeserklärung an Fettleber und Radsport verstehen, denn als Angriff auf die Grünen. Denn wer wollte den Weihnachtsbaum abschaffen? Der grüne Bürgermeister von Bordeaux, der 2020 sagte, er wolle "keinen toten Baum" vors Rathaus stellen. Wer kritisiert die Tour de France? Unter anderem der grüne Bürgermeister von Grenoble, der sagte, das Radrennen produziere zu viel Plastikmüll. Und auch unter den feministischen Kritikerinnen und Kritikern der Miss-France-Wahlen finden sich zahlreiche Grüne.

Um nun nicht im Dezember als Weihnachtshasser zu gelten, üben sich die Grünen in Beschwichtigung. Vor dem Rathaus in Bordeaux ließ der EELV-Bürgermeister einen elf Meter hohen Weihnachtsbaum aufstellen. Nicht mit Nadeln, sondern aus recyceltem Glas. Denjenigen, die das hässlich finden, rechnet der Bürgermeister vor, dass das wiederverwendbare Baumkunstwerk (130 000 Euro) billiger sei als die jährliche Investition in eine Tanne (60 000 Euro).

Und in Lyon betont die grüne Stadtregierung, dass es sich bei ihrer Foie-gras-Entscheidung "weder um einen Aufruf, noch um einen Boykott, noch um ein Verbot" handele. Sondern allein um ein Umdenken bei städtisch finanzierten Häppchen.

Ohnehin brauchen die Franzosen keinen grünen Politiker, um sich über Weihnachtsfragen zu streiten. Rechts-konservative Politiker pflegen jeden Dezember das Hobby, sich mit strengen Wächtern des Laizismus anzulegen. Beispielhaft sei hier der Fall des Ex-Républicains-Chefs Laurent Wauquiez genannt. Seit Wauquiez 2016 Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes wurde, stellt er dort jedes Jahr in den Verwaltungsgebäuden eine Weihnachtskrippe auf, um sich als Hüter christlicher Traditionen zu zeigen. Die französische Liga zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte zeigte Wauquiez an, weil sie die Krippen als Missachtung der vorgeschriebenen Trennung von Kirche und Staat wertet. Das entsprechende Gesetz von 1905 sagt, dass Personen in öffentlichen Ämtern, keine Präferenz für eine bestimmte Religion zeigen dürfen. Wauquiez gewann den Rechtsstreit, indem er die Zahl der von ihm aufgestellten Weihnachtskrippen drastisch erhöhte. Nun handelt es sich nach Ansicht der Richter nicht mehr um ein religiöses Symbol, sondern um eine Ausstellung zur Krippenkultur.

Enten im Lockdown

Während die Politiker darüber streiten, welche Partei die weihnachtlichste ist, haben die französischen Geflügelbauern andere Sorgen: Bei der Stopfleber-Produktion läuft es gerade nicht rund. Auch wenn sie in Lyon auf Rathausempfängen nicht mehr serviert wird, geben 91 Prozent der Franzosen an, Foie gras zu essen, 75 Prozent sagen, dass sie Teil ihres Weihnachtsmenüs sein wird. Das geht aus der jährlichen Umfrage des "Berufsübergreifenden Komitees für Schwimmvögel mit Stopfleber" hervor. Foie-gras-Konsumenten gibt es also genug, doch eine Vogelgrippe-Pandemie macht den Bauern Probleme. Aus Angst vor Ansteckung wurden bereits im vergangenen Jahr Massenschlachtungen von Enten angeordnet. In diesem Winter müssen die Tiere in einer Art Lockdown leben. Sie dürfen ihre Ställe nicht mehr verlassen. Gerade Bauern, die mit Bio- oder Freiluft-Aufzucht werben, kommen so in die Situation, ihre Versprechen nicht mehr halten zu können. Doch um solche konkreten Probleme geht es im weihnachtlichen Kulturkampf nicht.

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