Frankreich und der Weltuntergang:Die Invasion der Esoteriker

Der geheimnisvolle Planet Nibiru rast auf die Erde zu und nur das südfranzösische Bugarach bleibt verschont. Das glauben zumindest Apokalyptiker - und haben das 200-Seelen-Dorf zu ihrem Wallfahrtsort erkoren. Die Folgen: Splitternackte Pilger und steigende Grundstückspreise.

Stefan Ulrich, Paris

Manchmal kommt aber auch alles zusammen. Der geheimnisvolle Planet Nibiru rast in die Erde. Die Magnetpole vertauschen sich. Ozeane schwappen über, Vulkane brechen aus, die Welt verwandelt sich in ein Flammenmeer. Dies alles geschieht am 21. Dezember 2012. Apokalyptiker vieler Länder haben - gestützt auf den Maya-Kalender - errechnet, dass an diesem Tag die Welt untergeht.

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Will notfalls die Armee zur Hilfe rufen: Jean-Pierre Delord. Im Hintergrund: Der angeblich von Aliens bewohnte Berg von Bugarach.

(Foto: Getty Images)

Das ist nicht weiter beunruhigend, denn Ähnliches wurde seit Ende des Römischen Reiches bereits 183 Mal prophezeit. Für einen Weiler im Süden Frankreichs aber könnte das globale Raunen fatale Folgen haben. Untergangsgläubige haben Bugarach am Rand der Pyrenäen als einzigen Ort ausgemacht, der dem Inferno widersteht.

Das 200-Seelen-Dorf westlich von Perpignan befürchtet daher eine Esoteriker-Invasion. Die staatliche französische Sekten-Kommission Miviludes reiste kürzlich in den Ort und lässt ihn überwachen. Ein Bericht der Kommission, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, geht ausführlich auf die Apokalyptiker und auf Bugarach ein. Längst sind die Zeichen nicht mehr zu übersehen. Die abgelegene Sommerfrische wird zur Heilstatt der Katastrophen-Gläubigen.

Verschwörungstheoretiker und Erweckungspriester pilgern nach Bugarach und zum gleichnamigen Berg, der die Gemeinde überragt. Sie bringen Wundersteine und Amulette mit, errichten Jurten und Tipis, treffen sich zu Ritualen, prozessieren in weißen Gewändern durch den Ort oder beten splitternackt an den Hängen des Pic de Bugarach. Andere lauschen an dessen Kalkwänden.

Schließlich soll es der 1230 Meter hohe Berg in sich haben. Manche behaupten, er beherberge eine geheime Militäranlage. Andere glauben, Außerirdische werkelten hier in einer Art Weltraumgarage. Ein Raumschiff stehe darin bereit, um die Auserwählten zu retten. Auch der Heilige Gral soll in dem Berg verborgen sein, für den sich selbstredend die Nazis und der Mossad interessierten.

"Das Internet ist zu allen Verrücktheiten fähig"

Unsinn, der sich im Internet breit macht, kann erstaunliche Folgen haben. Bürger aus Bugarach klagen, früher seien 40 Autos am Tag durchs Dorf gefahren, heute seien es tausend. Der Bürgermeister, Jean-Pierre Delord, berichtet, die Grundstückspreise hätten sich in den vergangenen Jahren vervierfacht. Zudem gingen in seiner Gemeinde viele Anfragen nach einem Quartier für Dezember 2012 ein, besonders aus Amerika. Dort würden Rettungsreisen nach Bugarach angeboten. "Das Internet ist zu allen Verrücktheiten fähig - und wir 200 Einwohner werden dem nicht widerstehen können", sagt Delord.

Der Bürgermeister betrachtet den Heils-Hype mit gemischten Gefühlen. Einerseits könnten die Menschen im Dorf daran verdienen. Mancher Ufo-Freund entdeckt vielleicht die Schönheiten der Natur, die Bäche, die Orchideen, und kommt nach dem Weltuntergang als Tourist wieder. Delord hat bereits eine Postkarte kreiert, auf der ein Ufo über den Pic de Bugarach fliegt. "Die Karte verkauft sich gut."

Allerdings muss der Bürgermeister auch fürchten, dass Ekstatiker, die im Dezember 2012 vor der Apokalypse fliehen, Bugarach niedertrampeln. Und wie werden sie sich im Bann des Berges verhalten? Vor zwei Jahren versuchte ein Jugendlicher, sich hier mit einem Samurai-Schwert umzubringen.

"Das Ende der Welt hat ihn etwas früher ereilt"

Auch der Bericht der Miviludes-Kommission nährt solche Sorgen. Demnach verdichten sich weltweit apokalyptische Szenarien auf den Dezember 2012. Weltuntergangs-Gruppen erlebten "in zahlreichen Ländern einen beispiellosen Aufschwung", warnt Miviludes. Sie seien manipulatorischer, fanatischer und hysterischer als andere sektenartige Vereinigungen. Die Gurus schürten ein Klima der Angst und zögen den Furchtsamen mit ihren Errettungslehren das Geld aus der Tasche.

"Wer erinnert sich nicht an die Tragödie des Ordens der Sonnentempler?", fragt Georges Fenech, der Präsident von Miviludes. In den neunziger Jahren begingen in der Schweiz, Kanada und Frankreich 74 Anhänger der Sekte Selbstmord oder wurden umgebracht, um der vermeintlichen Apokalypse zu entfliehen und im System des Sirius eine neue Menschheit zu begründen.

Die sich im Internet ausbreitende Furcht vor dem 21. Dezember 2012 lasse das Risiko neuer kollektiver Selbstmorde steigen, warnt Miviludes. Die Kommission rät, das Netz entsprechend zu überwachen und international stärker zu kooperieren.

Das derzeitige Klima lässt den Wahn besonders gut wuchern. Nach dem Untergang der großen politischen Ideologien seien viele Menschen orientierungslos, heißt es bei Miviludes. Die Wirtschaftskrise und Naturkatastrophen wie der Tsunami von Japan würden als Vorboten größeren Unheils gedeutet. Das Internet verschaffe den Katastrophen-Propheten zudem einen gewaltigen Resonanzkörper. Dies unterscheide die aktuelle Weltuntergangsbewegung von ähnlichen Phänomenen in früherer Zeit.

Die Menschen im französischen Bugarach wissen um die Gefahr. Bürgermeister Delord stellt sich auf Tausende Fanatiker ein. Und er warnt: Falls seine Gemeinde überrannt werde, rufe er die Armee. Einstweilen flüchtet er sich in Sarkasmus. Wie er dem Figaro erzählte, erlag vor zwei Wochen ein Weltuntergängler nach dem Besteigen des Pic de Bugarach einem Herzinfarkt: "Das Ende der Welt hat ihn etwas früher ereilt."

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