Frankreich:Nebenwirkung: Hirntod

Lesezeit: 2 min

Bei einer klinischen Studie für ein neues Medikament stirbt ein Patient, fünf werden krank. Wer trägt dafür Schuld?

Von Christina Berndt, München

Ein Mann starb, fünf weitere kamen mit Hirnschäden in die Klinik - und doch war alles regelkonform. Zu diesem Schluss kommt die französische Generalinspektion für Soziale Angelegenheiten (Igas) in ihrem Abschlussbericht zu dem tragischen Medikamententest, der sich im Januar in Rennes ereignete. Die Standards für klinische Studien seien eingehalten worden, betonte Gesundheitsministerin Marisol Touraine: "Der Abschlussbericht bestätigt, dass die Bedingungen, unter denen die Studie zugelassen wurde, nicht gegen bestehendes Recht verstießen."

Damit entlastet Touraine nicht nur die Firma Biotrial, die den tödlichen Test im Auftrag des portugiesischen Pharmaherstellers Bial durchführte, sondern auch die französische Arzneimittelbehörde ANSM. Fachleute üben Kritik an dem Studienprotokoll. Denn die sechs Männer, die als Letzte den neuartigen Wirkstoff in besonders hoher Dosis erhielten und dadurch schwer erkrankten, bekamen die noch weithin unerforschte Substanz gleichzeitig. Wären sie nacheinander behandelt worden, wäre manches Elend wohl verhindert worden.

So aber erhielten fünf Probanden die Testarznei sogar noch, als es dem 49-jährigen Guillaume Molinet schon schlecht erging. Wie die anderen Probanden hatte der Sänger, Maler und Dichter sich der Forschung vor allem wegen der 1900 Euro zur Verfügung gestellt, die er dafür bekam. Dass die Arznei namens BIA 10-2474 gegen neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson helfen sollte, war für ihn ebenso wie für seine Mitprobanden belanglos. Alle waren gesund. An ihnen wollte man testen, wie viel BIA 10-2474 Menschen vertragen.

Weniger als gedacht, wie sich bald herausstellte: Drei Tage nach Studienbeginn, am 10. Januar, erlitt Molinet Seh- und Sprachstörungen, in seinem Gehirn kam es zu Blutungen. Dennoch verabreichten die Ärzte den fünf anderen Probanden am nächsten Tag erneut die Substanz - unter ihnen auch dem 42-jährigen Stéphane Schubhan, Vater von fünf Kindern. Als dieser über Sehstörungen und Kopfschmerzen klagte, hätten die Ärzte im Studienzentrum ihm nur geraten, er solle Paracetamol nehmen, sagte Schubhan später. "Sie wollten mich abwimmeln." Bis heute sehe er doppelt, leide unter Schwindel und Unwohlsein. Molinet starb am 17. Januar.

Trotz der Klagen der Probanden unternahm die Firma Biotrial tagelang nichts. Erst am 14. Januar, als schon fünf der sechs Männer unter neurologischen Ausfällen litten, informierte sie die Aufsichtsbehörde. Das sei zu spät gewesen, kritisierte Ministerin Touraine. Auch rügte sie die Herstellerfirma Bial, weil diese nicht auf besondere Risiken hinwies. Aber gegen die Gesetze hätten beide damit nicht verstoßen, da diese einen gewissen Spielraum lassen.

Immerhin, so viel stellt die Ministerin doch fest: Wenn bei diesem fatalen Medikamententest alles regelkonform war, dann müssen die Regeln wohl verschärft werden. Künftig sollen Gesundheitsämter regelmäßig die Studienzentren kontrollieren und monatlich Berichte über Nebenwirkungen abfragen. Zudem soll die Unabhängigkeit der Ethikkommissionen, die Arzneistudien an Menschen zulassen, gestärkt werden. Pharmafirmen dürfen darin nicht mehr vertreten sein. Tatsächlich saß in der zuständigen Kommission in Brest ein Biotrial-Mann.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: