Frankreich:Die Bikini-Affäre

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Zur Sonne, zur Freiheit: Zwei Französinnen trotzen der Julihitze in Saint-Clouds bei Paris. (Foto: Miguel Medina/AFP)

In Reims attackieren fünf Frauen eine Sonnenbadende. Die heftigen Reaktionen zeigen, unter welchen Spannungen die französische Gesellschaft steht.

Von Stefan Ulrich

Als Louis Réard 1946 die zweiteilige Badebekleidung für Frauen neu erschuf - Vorläufer gab es in der Antike -, suchte er nach einem zündenden Namen. Hatten nicht gerade die USA auf dem Bikini-Atoll Kernwaffen getestet? Und sollte das neue Kleidungsstück nicht einschlagen wie eine Bombe? Der Maschinenbauingenieur wurde durch die Tests bizarrerweise angeregt, sein damals skandalöses Kleidungsstück nach dem Atoll zu benennen. Seitdem verursacht der Bikini Wirbel, in diesen Tagen etwa in Frankreich, dem Land des Erfinders. Dort eskalierte eine Bikini-Affäre, die zeigt, wie schnell im Sommerloch ein Sturm im Wasserglas entsteht.

Auslöser war ein Artikel in der Samstagsausgabe der in Reims erscheinenden Zeitung L' Union. Darin wird von einer Rauferei im öffentlichen Park Léo Lagrange berichtet. Eine junge Frau sonnte sich dort in Shorts und Bikinioberteil, eine andere rügte sie, warum auch immer, es kam zu einem Wortgefecht und zu einer Rangelei, bei der schließlich fünf Frauen auf die Sonnenbadende eindroschen. Der Fall wäre schnell vergessen worden, wenn L'Union den Artikel nicht mit Interpretationen gewürzt hätte. Die erste Angreiferin habe sich durch die Bikini-Frau im Park in ihren Moralvorstellungen herausgefordert gefühlt, mutmaßte das Blatt. Der Vorfall habe "einen Beigeschmack von Religionspolizei".

Bikini, Moral, Religionspolizei - das reichte, um in der nachrichtenarmen Zeit den Sturm auszulösen. Erst griffen die sozialen Medien die "Affäre" auf, dann meldeten sich Politiker, Feministinnen und Anti-Rassismus-Kämpfer zu Wort, was schließlich die nationalen Medien dazu brachte, sich des Falls anzunehmen.

Die Rechtsradikalen spannen das Thema auf ihre Art gefährlich weiter

Beispiele? Arnaud Robinet, der konservative Bürgermeister von Reims, bezeichnete die Attacke als "in unserem Land nicht hinnehmbar" und forderte, an den Täterinnen ein Exempel zu statuieren. Sein Parteifreund, der Abgeordnete Éric Ciotti, klagte: " Man will uns einen Lebensstil aufzwingen, der nicht der unsere ist." Damit war die Spur gelegt. Rechtsradikale Politiker griffen das Reizthema "Der Islam erobert Frankreich" begierig auf. Die Frau im Bikini sei "gelyncht worden, weil sie auf französische Art und Weise leben wollte", twitterte Florian Philippot, der Vize-Präsident des Front National. Die ebenfalls rechtsradikale Partei "Souveränität, Unabhängigkeit, Freiheiten" sprach von einem "Laboratorium der Scharia".

Feministinnen werteten den Bikini-Fall dagegen als Angriff auf die Frauenrechte und als Anzeichen für einen neuen Puritanismus der Franzosen. Auch die Organisation SOS Racisme wurde aktiv. Sie richtete auf Twitter das Hashtag #JePorteMonMaillotAuParcLeo (Ich trage meinen Badeanzug im Park Leo) ein. Außerdem rief sie die Bürger zu einer Demonstration in Badeklamotten in dem Park von Reims auf, zu der allerdings mehr Journalisten und Kameramänner als Demonstranten kamen. Dafür luden viele Internet-Nutzer Fotos hoch, auf denen sie im Badezeug in Städten posieren, um der attackierten Bikini-Trägerin Solidarität zu erweisen.

Der Lärm um fast nichts kann als Indiz dafür dienen, unter welchen Spannungen die französische Gesellschaft steht. Kleidungsfragen in Verbindung mit der Religion, etwa das Burka-Verbot, lösen hitzige Debatten aus. Im Bikini-Fall sorgte schließlich eine Erklärung der Staatsanwaltschaft für Abkühlung: Bei der Streiterei im Park hätten weder Glaubens- noch Moralfragen eine Rolle gespielt. Daraufhin schrieb die Zeitung L'Union am Dienstag, ihr erster Artikel zu dem Gerangel im Park sei zwar ungeschickt formuliert gewesen; der Fall sei aber nur deshalb so hochgekocht, weil sich sonst außer Waldbränden und der Tour de France nichts ereignet habe in Frankreich.

Das Landgericht Reims wird sein Urteil über die Bikini-Rauferei dann im Herbst sprechen.

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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