Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Gescheiterte Rettung eines Belugawals

Fast eine Woche lang schwimmt ein Wal in der Seine und wird dabei immer schwächer. Obwohl die Franzosen großen Anteil an seinem Schicksal nehmen, kann ihm am Ende niemand helfen.

Von Thomas Kirchner

Am Ende hat es nicht gereicht, die Rettungsaktion Richtung Atlantik ist gescheitert, das Tier ist tot. Der Einsatz von Dutzenden Helfern, die Mühen der Tierärztinnen, das Mitfiebern von Millionen Menschen und die vielen Spenden, all das war vergeblich. Eine Woche, nachdem ein verirrter Belugawal erstmals in der Seine gesichtet worden war, musste er am Mittwoch eingeschläfert werden. Das gab eine Tierärztin am Mittag bekannt, in tiefster Trauer, die auch die Hilfsorganisation Sea Shepherd bekundete, die sich besonders um das Tier gekümmert hatte.

Der Zustand des etwa 800 Kilogramm schweren Wals habe sich immer weiter verschlechtert, sagte die Ärztin, er habe an Sauerstoffmangel gelitten und kaum noch geatmet. "Weil das Tier offensichtlich litt, haben wir entschieden, dass es nicht sinnvoll war, das Tier freizulassen, und dass es eingeschläfert werden sollte."

Kran hievte den Wal aus der Seine

Am Mittwochmorgen gegen vier Uhr war der vier Meter lange Wal mithilfe eines Krans aus der Schleuse in Saint-Pierre-la-Garenne gehievt worden, aus der er sich seit Freitag nicht mehr hatte befreien können. Sechs Stunden hatte es gedauert, bis es den 20 beteiligten Tauchern gelang, das Tier in ein Netz zu bugsieren. Von dort kam es auf eine Trage und erhielt eine Infusion. Der Wal sollte bei Ouistreham in der Nähe von Caen in einem Meereswasserbecken aufgepäppelt und drei Tage später freigelassen werden. Der Stress des Transports im gekühlten Laster an die Küste gab dem geschwächten Tier, das sich laut den Ärzten in einem "alarmierenden Zustand" befand, aber offenbar den Rest.

Die Ärzte hatten sich zuvor schon pessimistisch zu seinen Überlebenschancen geäußert. Es hatte seit Tagen nichts mehr gefressen, sein Verdauungstrakt hatte aufgehört zu arbeiten. Der Grund ist unbekannt. Die Ärzte vermuteten eine Krankheit, am Bauch des Wals waren vorübergehend dunkle Flecken beobachtet worden. Zu der Rettungsaktion habe es trotz des großen Risikos keine Alternative gegeben, sagte eine Sea-Shepherd-Mitarbeiterin, das Tier habe nicht in der Seine bleiben können.

Die Schleuse liegt rund 70 Kilometer vor Paris und 130 Kilometer von der Seine-Mündung entfernt. Das Wasser dort ist zu warm und zu wenig salzhaltig für die Tierart, die normalerweise in arktischen Gewässern vor der Küste Kanadas, Russlands oder Alaskas lebt. Helfer hatten mehrmals versucht, das abgemagerte Tier mit Leckerbissen zum Fressen zu bringen. Als kleine Erfolgsmeldung galt schon, dass es die Nahrung überhaupt kurz zur Kenntnis zu nehmen schien.

Warum sich Wale verirren, ist unklar

Das Schicksal des Wals hatte die französische Öffentlichkeit eine Woche lang intensiv beschäftigt. Sea Shepherd berichtete von einer enormen Hilfsbereitschaft und großem Zuspruch seitens der Bevölkerung, die glücklicherweise der Versuchung widerstand, dem Meeressäuger einen Kosenamen zu verleihen. Erst einmal hatte sich bisher ein Belugawal in einem französischen Fluss verirrt, 1948 fand ihn ein Fischer in der Loire. Im April war ein Schwertwal ebenfalls die Seine hochgeschwommen, auch er konnte nicht gerettet werden. Im vergangenen Jahr musste ein Wal in der Themse ebenfalls eingeschläfert werden.

Warum sich die Wale verirren, ist unklar. Es könnte mit der Verschmutzung der Meere und dem Klimawandel zusammenhängen, der sie schwächt, oder auch mit lauten Geräuschen unter Wasser, die ihre Orientierung trüben. Gelegentlich verheddern sie sich in Netzen. Für die Tiere sind sowohl die Verirrung als auch die folgenden Rettungsaktionen außerordentlich belastend.

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