Süddeutsche Zeitung

Fotograf Günter Zint:Der Voyeur von St. Pauli

Die Kiez-Originale sterben aus, was bleibt sind die Bilder aus den großen Tagen zwischen Reeperbahn und Herbertstraße: Günter Zint hat Erinnerungen an Domenica und das erloschene Hamburger Rotlichtmilieu veröffentlicht.

Jens Schneider, Hamburg

"Kannst ja mal durchgehen, da ist nichts mehr los", sagt Günter Zint, "geht keiner mehr hin, nur noch Touris." Und die zählen hier nicht richtig. "Die Herbertstraße lebt von ihrem alten Ruf. Die wirklichen Freier gehen da nicht mehr hin." Zint ist Fotograf, über Jahrzehnte hat er auf St. Pauli Menschen aufgenommen. Nun sitzt er in einem alten Sessel im St. Pauli-Museum, das er eingerichtet hat, nicht weit von der Reeperbahn. Er erzählt von der vergangenen Zeit, die auch nicht besser war als heute, in der er sich aber wohl fühlte. Damals hatte Domenica Niehoff ihr Studio in der Herbertstraße, die in Hamburg zwischen der Reeperbahn und den Landungsbrücken am Hafen liegt. Zint hat es ihr damals vermittelt.

Die Frau mit der mächtigen Oberweite und dem eindringlichen Blick war damals, in den achtziger Jahren, zunächst eine von vielen Huren in der Straße. Dann wurde sie für ein paar Jahre ein Medien-Star, eine Art Heidi Kabel der Hamburger Nacht. Promis besuchten sie im Studio und schmiegten sich in Talkshows bei ihr an. Sie wurde benutzt, und sie ließ sich benutzen. "Sie wusste", sagt Zint, "mit was für Rüpeln sie sich einließ. Es war ein Geben und Nehmen. Sie wusste, dass sie Schmuckwerk war." Domenica nutzte ihre Prominenz und war eine der Ersten, die dafür kämpften, dass auch Prostituierte Rechte bekamen. Als sie auftrat, wurde plötzlich über das Leben von Huren gesprochen. Einige Jahre lang betreute sie nach ihrem Ausstieg aus der Herbertstraße noch als Sozialarbeiterin junge Huren.

"Ich war nicht schön, ich war schlimmer"

Nun hat Zint eine eindrucksvolle Foto-Biographie über sie gemacht, die heißt nach einer Selbstbeschreibung: "Ich war nicht schön, ich war schlimmer." Erzählt wird das Leben einer öffentlichen Frau, die im Februar 2009 starb, an den Folgen einer Bronchitis. Und von einem verschwundenen St. Pauli: Wenn Domenica durch das Viertel ging, habe sie ständig Leuten zugehört, als seien sie ihre nächsten Menschen. "Hunderte hatten das Gefühl, dass sie Freunde waren, weil sie sich auf jeden eingelassen hat." Über den Fotografen Zint schrieb sie in ihr Tagebuch, er verdiene "als Voyeur auf St. Pauli beim Spazierengehen sein Geld". Heute fände er schwer Motive im Quartier. Auch die Herbertstraße, sagt Zint, sei nur noch ein Museum, auch wenn noch immer Huren auf Freier warten.

Er ist weggezogen von St. Pauli, aufs Land, auf die andere Seite der Elbe. Auf der Reeperbahn mag auch er nicht mehr sein, wenn am Wochenende die Jugendlichen aus Pinneberg und anderen Hamburger Vororten durch die längst nicht mehr verruchten Straßen ziehen, oft schon betrunken, bevor sie aus der S-Bahn aussteigen. Er redet über Originale des Viertels wie Domenica, von denen es immer weniger gibt. "Die sterben weg", sagt er, "die gibt es nicht neu."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1328196
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.04.2012/goro
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.