Forschung:Der Verknall-Effekt

Ein Sozialpsychologe weiß, warum wir uns verlieben. Im Interview erklärt er, welche Rolle Busse und die Uhrzeit dabei spielen.

Interview: christoph-koch.jetzt.de

Professor Manfred Hassebrauck forscht an der Universität Wuppertal an spannenden Themen: Wie verlieben wir uns? Wie wichtig sind innere Werte? Warum sind wir nicht treu? Er ist Autor des Buches "Warum wir aufeinander fliegen", seine neueste Veröffentlichung ist das Kapitel "Erste Liebe, zweite Liebe" im Buch "Body Talk" , das im November bei dtv erscheint.

Verlieben

jetzt.de: Professor Hassebrauck, wie mache ich jemanden in mich verliebt?

Manfred Hassebrauck: Strategisch und systematisch können wir das Verlieben nicht angehen. Denn zusätzlich zur Sympathie kommt beim Verlieben ja noch körperliche Erregung dazu, die können wir nicht steuern.

jetzt.de: Wie wichtig ist denn beim Verlieben das Aussehen?

Manfred Hassebrauck: Das ist ja die erste Informationsquelle überhaupt, die wir bekommen, und sie ist insofern wichtig, als dass wir attraktiven Menschen sofort positive Charaktereigenschaften zuschreiben. Wir halten sie für intelligenter, humorvoller, netter und so weiter. Das geht sogar so weit, dass Lehrer unbewusst die Arbeiten attraktiver Schüler besser bewerten.

jetzt.de: Aber es wollen sich ja nicht nur Supermodels verlieben . . .

Manfred Hassebrauck: Erfreulicherweise spielt der persönliche Geschmack eine sehr große Rolle, zumindest für die Leute, die optisch im Mittelbereich liegen.

jetzt.de: Hat Oma also Recht mit ihrem Spruch ¸¸Jeder Topf findet sein Deckelchen"?

Manfred Hassebrauck: Ja, denn während wir bei Supermodels und extrem hässlichen Personen alle noch stark übereinstimmen, gehen unsere Bewertungen, wie attraktiv eine Person ist, bei ¸¸normalen" Menschen ziemlich stark auseinander.

jetzt.de: Dann sind Schönheitsoperationen, wie sie gerade ständig im Fernsehen gezeigt werden, demnach völlig überflüssig?

Manfred Hassebrauck: Wichtig ist die subjektive Zufriedenheit nach der Operation. Wenn man vorher wirklich unter seinem Äußeren gelitten hat und dadurch unsicher war, kann eine Operation das Leben verbessern. Aber viele Menschen stecken in einem Kreislauf und finden, sobald sie ein Körperteil haben operieren lassen, wieder etwas Neues, das sie ändern wollen.

jetzt.de: Ganz andere Frage: Warum finde ich die Mädchen kurz bevor der Club schließt plötzlich hübscher als am Anfang des Abends - liegt das nur am Alkohol?

Manfred Hassebrauck: Das geht fast allen so und ist wissenschaftlich gut bestätigt. Je näher das Ende des Abends rückte, desto attraktiver fanden die Befragten eine Testperson anderen Geschlechts, die sich in der Nähe befand. Mit Alkohol hat das nichts zu tun, denn als den Leuten Fotos gezeigt wurden, bewerteten sie diese mit zunehmendem Alkoholpegel immer negativer.

Es handelt sich bei dem Phänomen um eine Art Torschlusspanik: Man hat das Gefühl, das sei jetzt die letzte Gelegenheit. Beim Einkaufen ist es doch ähnlich: Wenn wir irgendwo noch ein einziges Paar Jeans sehen, fällt es uns schwerer, die zurückzuhängen, als wenn da noch 50 weitere liegen.

jetzt.de: Nutzt es so gesehen, mich rar zu machen?

Manfred Hassebrauck: Auch das habe ich erforscht. Sich einfach nur abweisend zu geben und zu tun, als sei man schwer zu kriegen, nützt fast nie etwas. Was gut funktioniert: Wenn man der Person, an der man Interesse hat, den Eindruck gibt, man sei insgesamt sehr begehrt und unverfügbar, aber für diese eine Person sei man erreichbar.

jetzt.de: Was begünstigt das Verlieben noch?

Manfred Hassebrauck: Manchmal sind es ganz triviale Faktoren, die mit Verliebtheit gar nicht zu tun haben. Wir verlieben uns leichter bei angenehmer Musik, als bei nervenden, unrhythmischen Klängen. Wir verlieben uns leichter, wenn wir gemeinsam in einer Situation sind, in der unser Erregungsniveau erhöht ist: eine gemeinsame Prüfungssituation, eine Bergtour oder generell etwas, das man gemeinsam zum ersten Mal erlebt. Dieses Aufgeregtsein führen wir oft unbewusst auf die andere Person zurück - und kommen zu der Schlussfolgerung ¸¸ich bin verliebt". Dabei kommt die Erregung von einer ganz anderen Quelle.

jetzt.de: Sollte ich also ein Mädchen, das gerade noch den Bus erwischt hat und völlig außer Atem ist, sofort ansprechen - weil in dem Moment meine Chancen höher sind?

Manfred Hassebrauck: So etwas abzupassen stelle ich mir recht aufwändig vor, schließlich muss die Person Ihnen ja auch gefallen. Theoretisch ist der Plan aber richtig, denn solche Personen sind auf einem erhöhten Erregungs-Level und deshalb tatsächlich anfälliger dafür, jemanden attraktiv zu finden und sich zu verlieben. Aber ich muss Sie warnen: Wenn Sie ihr nicht gefallen, fällt aber auch die Abneigung stärker aus.

Der Verknall-Effekt

Lieben

jetzt.de:Wie kann ich schon früh feststellen, ob meine Beziehung halten wird?

Ich kenne da keine Prognosemöglichkeit. Es gibt einen amerikanischen Forscher, der Paare 20 Minuten über ein Konfliktthema reden lässt und dabei körperliche Reaktionen misst. Er behauptet, daraus schließen zu können, ob die Beziehung noch fünf Jahre hält oder nicht. Ich halte das für problematisch, denn innerhalb von fünf Jahren gibt es ja auch viele Faktoren, die sich ändern. Einer der Partner zieht vielleicht zum Studium nach Hamburg, einer nach München.

jetzt.de: Anzunehmen, dass ein Umzug die eine, die große Liebe ins Wanken bringt, ist aber ganz schön unromantisch, oder?

Manfred Hassebrauck: Aber leider wahr. Denn für Romantik sind Beziehungen letztlich doch zu ökonomisch. Man investiert etwas und bekommt dafür etwas zurück. Und eine große Entfernung ist ein hoher Kostenfaktor in dieser Rechnung, weil sie mehr Aufwand erfordert.

jetzt.de: Was ist besser: gleich und gleich oder Gegensätze, die sich anziehen?

Manfred Hassebrauck: Ganz eindeutig und voller Überzeugung - gleich und gleich funktioniert besser. Für die These mit den Gegensätzen gibt es in der Forschung keinerlei Unterstützung. Tests haben auch gezeigt, dass wir Menschen, die uns von der Art und den Interessen her ähnlich sind, als attraktiver empfinden als andere.

jetzt.de: Angenommen, im Bett klappt's nicht so gut, aber sonst läuft alles super - hat die Beziehung eine Chance?

Manfred Hassebrauck: Eine gute Beziehung steht auf vier Säulen: Gemeinsamkeit, Nähe, Unabhängigkeit - die vierte Säule ist Sex. Das ist eine wesentliche Komponente, da dürfen wir uns nichts vormachen. In manchen Beziehungen geht es vielleicht ohne. Aber das ist dann eine Frage der subjektiven Wichtigkeit, und die Wahrscheinlichkeit, dass Sex beiden Partnern unwichtig ist, ist sehr gering.

Der Verknall-Effekt

Entlieben

jetzt.de: Warum verschwindet nach einer Weile oft die große flammende Leidenschaft?

Manfred Hassebrauck: Ist das so schlimm? Wir würden es doch gar nicht aushalten, immer so zu leben wie am Anfang einer Beziehung. Wir setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um jemanden zu bekommen, schlafen viel zu wenig, vergessen alles um uns herum, wir sind in einem totalen Taumel. Ein Denkfehler, den viele machen: Wenn es nicht mehr prickelt, ist etwas mit der Beziehung nicht mehr in Ordnung.

jetzt.de: Warum gehen viele in solchen Situationen fremd?

Manfred Hassebrauck: Eine Ursache ist sicherlich die Suche nach dem Prickeln, es gehen aber auch Leute fremd, die mit ihrer Beziehung zufrieden sind - es kann zum Beispiel die Gelegenheit Schuld sein. Man muss aus einem solchen Fehltritt auch nicht immer ein großes Drama machen, denn so etwas passiert eigentlich fast immer einmal. Verletzend ist es natürlich trotzdem, aber ob es für die Beziehung gravierend ist, liegt daran, ob es dem Betrügenden "etwas bedeutet hat".

jetzt.de: Bringt es etwas, eifersüchtig zu sein?

Manfred Hassebrauck: Eifersucht hat einen ganz schlechten Ruf, weil sie oft an Besitzansprüche gekoppelt wird. Dabei ist Eifersucht an sich ein ganz normales Gefühl, eine Schutzemotion, die die Beziehung stabilisieren soll. Denn Eifersucht kann ja auch dazu führen, dass ich mir wieder mehr Mühe gebe, dem anderen mehr Aufmerksamkeit schenke, mir mehr Zeit nehme.

jetzt.de: Was ist der größte Irrglaube, den wir in Bezug auf die Liebe haben?

Manfred Hassebrauck: Zwei Sachen: Zum einen, dass Männer und Frauen gleich sind. Es ist ja sehr unmodern, das zu sagen. Aber sie sind nun einmal grundverschieden. Der zweite große Irrtum: Zu denken, ¸¸die Zeit wird es schon richten", wenn etwas in der Beziehung nicht läuft - das wird die Zeit eben nicht. Wenn man erkennt, dass etwas nicht klappt: sofort darüber reden. Und wenn man erkennt, dass man mit der anderen Person vielleicht doch nicht zusammenpasst, ist es besser, früher die Notbremse zu ziehen als später.

jetzt.de:Ein Plädoyer fürs Schlussmachen?

Manfred Hassebrauck: Dadurch ist die Trennung weniger schmerzhaft als wenn man sie langsam ausschleift. Und man vergeudet keine Zeit, die man mit der richtigen Person verbringen sollte.

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