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Flutkatastrophe im Ahrtal:Staatsanwaltschaft Koblenz prüft Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung

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Möglicherweise sei die Bevölkerung zu spät gewarnt und in Sicherheit gebracht worden. Die Vorermittlungen richten sich nicht gegen eine konkrete Person.

138 Menschen haben ihr Leben verloren bei dem Hochwasser im Ahrtal, am Montag stieg die Zahl noch einmal um drei Personen. Fast drei Wochen ist es jetzt her, dass extremer Starkregen eine Katastrophe ausgelöste, deren Ausmaß sich dort in der Region niemand hat vorstellen können. Noch immer sind nicht alle Toten identifiziert, geschweige denn die Aufräum- und Bergungsarbeiten in der schwer getroffenen Region beendet.

Haben die zuständigen Behörden, konkret der rheinland-pfälzische Landkreis Ahrweiler, zu spät vor den drohenden, aber absehbaren Überschwemmungen gewarnt und sind dadurch Menschen zu Schaden und zu Tode gekommen?

Diesem Verdacht geht die zuständige Staatsanwaltschaft Koblenz nach, wie sie am Montagnachmittag mitteilte. Man prüfe "die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung". Möglicherweise habe unterlassene Hilfeleistung vorgelegen oder die Bevölkerung sei zu spät gewarnt oder in Sicherheit gebracht worden.

Gegenstand der Ermittlungen ist die verhängnisvolle Nacht vom 14. auf den 15. Juli. Stundenlanger Regen hatte den Pegel der Ahr auf bis zu sieben Meter anschwellen lassen. Zum Vergleich: 3,70 Meter waren im Jahr 2016 verzeichnet worden, bei einem Hochwasser, das man seinerzeit als Jahrhunderthochwasser eingestuft hatte.

Der Landkreis Ahrweiler war in die Kritik geraten, weil er trotz präziser Warnungen in jener Nacht erst gegen 23 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen hatte. Einem FAZ -Bericht zufolge hatte die Kreisverwaltung vom Landesamt für Umwelt am 14. Juli mehrere automatisierte E-Mails erhalten. Aus diesen Mails sei auch der prognostizierte enorme Pegelstand hervorgegangen.

In die Prüfung der Staatsanwaltschaft sollen, wie es in der Mitteilung heißt, neben der "umfangreichen Presseberichterstattung" auch Feststellungen aus Todesermittlungsverfahren sowie allgemeine polizeiliche Hinweise aus der Katastrophennacht vom 14./15. Juli einbezogen werden.

Die Prüfung eines Anfangsverdachtes, so erläuterte der Leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse, richte sich nicht gegen eine konkrete Person. Sie werde einige Tage in Anspruch nehmen. Betrachtet werde auch der Fall einer Einrichtung für behinderte Menschen in Sinzig. Allein dort waren infolge des Hochwassers zwölf Menschen ums Leben gekommen.

Seit der Hochwasserkatastrophe wird bundesweit über eine Reform des Katastrophenschutzes diskutiert. "Das Ganze kommt auf den Prüfstand", sagte etwa der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD). Dies reiche von Warn- und Alarmierungssystemen bis hin zur technischen Ausstattung mit sicheren Funksystemen etwa für den Fall, dass - wie an der Ahr geschehen - Erdkabel von Fluten weggerissen wurden. Außerdem wird erwogen, die nach dem Ende des Kalten Krieges vielerorts abgebauten Sirenen wieder für den Ernstfall anzuschaffen.

Bisher ist die Koordination bei Unwettern und Großlagen in erster Linie Sache des jeweiligen Landkreises. Der ist zum Beispiel für die Ausrufung des Katastrophenfalles zuständig, der Alarmketten in Gang setzt und die Mobilisierung von Rettungskräften erleichtert. Kritiker mahnen vor allem einen besseren Katastrophenschutz für Unwetter an, deren Ausmaß die Fähigkeiten eines Landkreises übersteigt.

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