Fluterschen: Missbrauchsprozess:Ende der Tyrannei

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen: Detlef S., der Täter von Fluterschen und deutsche Fritzl, wird zu 14 Jahren Haft - und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Marc Widmann, Koblenz

Als das Martyrium vorbei ist, als ihre Tränen getrocknet sind, tritt Natascha S. zu einer der Anwältinnen, die ihr halfen, umarmt sie und hebt sie hoch. Die Sonne scheint in den Gerichtssaal, die Anwältin strampelt kurz mit den Füßen, dann lacht sie. Zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten lacht jemand im großen Saal des Koblenzer Landgerichts. Es ist eine Befreiung. Für Natascha S. beginnt in diesem Moment ihr Leben in Freiheit. Für ihren Vater Detlef S. endet endgültig seine Zeit als Tyrann.

Defendant Detlef S. stands with his lawyer Dueber before the pronouncement of judgement at the district court in Koblenz

Urteil in Koblenz: Detlef S., der Missbrauchstäter von Fluterschen, wird zu 14 Jahren Haft und Sicherungsverwahrung verurteilt

(Foto: REUTERS)

Zu 14 Jahren, sechs Monaten und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt das Gericht am Mittwoch Detlef S. aus Fluterschen im Westerwald, unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen. Es geht um insgesamt 162 Fälle. "Er ist ein grenzenloser Egoist", sagt der Richter, "er betrachtete seine Familienmitglieder quasi als persönlichen Besitz, mit dem er umging, wie es ihm beliebte." Beim Wort "Sicherungsverwahrung" klatschten einige im Publikum. Es bedeutet, dass Detlef S. wohl nie mehr in Freiheit kommt. Noch kann der 48-Jährige jedoch in Revision gehen. Sein Anwalt spricht von einem "sehr harten Urteil".

Am letzten Tag tat Detlef S., was er meistens tat im Prozess: Er saß regungslos da in seinem weinroten Sakko und stierte vor sich auf den Tisch. Ein winziger Mann mit kindlichem Gesichtsausdruck. Ein Männlein. Wie er seine Kinder seit 1987 terrorisieren, verprügeln, misshandeln konnte, erklärt sich das Gericht so: "Er errichtete ein Gebäude der Angst, das keinen Widerspruch zuließ." Dazu gehörten Prügel mit der selbst gebauten Lederpeitsche, massive Bedrohung und sexueller Missbrauch. Mit seiner Stieftochter Natascha zeugte Detlef S. acht Kinder. Er sagte, er sei der Papa, er dürfe das.

Manche nennen ihn den deutschen Fritzl, aber Detlef S. brauchte kein Gefängnis im Keller. "Er hatte seine Familie so sehr im Griff, dass er niemanden einsperren musste", befindet der Richter. Detlef S. verging sich an seiner Stieftochter, seinem Stiefsohn und seiner leiblichen Tochter zu Hause in Fluterschen. Und im nahen Wald, in seinem Toyota Corolla. Als sie gerade zwölf Jahre alt war, brachte er Natascha zu zwei Bekannten, die sie ebenfalls vergewaltigten, immer wieder, für 30 Euro. Er behandelte seine Kinder "wie Prostituierte", sagte der Richter. Dabei knipste er Polaroidfotos, mit denen er die Töchter erpresste.

Für all diese Taten ist Detlef S. "voll verantwortlich", heißt es im Urteil, "er ist kein psychisch Kranker, er ist ein Straftäter." Ein psychiatrischer Gutachter bescheinigte ihm, er sei uneingeschränkt schuldfähig - und bleibe auch in Zukunft gefährlich. So sieht es auch das Gericht. Käme Detlef S. wieder in Freiheit, sei die Gefahr groß, dass er sich "ein neues Machtgefüge schafft", dass er seine eingeschliffenen Verhaltensmuster wieder auslebe, kurzum: Dass er sich wieder an Kindern vergreift. Deshalb die Sicherungsverwahrung.

Das strenge Urteil hat der 48-jährige Arbeitslose auch seinem Verhalten im Prozess zu verdanken. Sein geduldiger Anwalt Thomas Düber musste ihn lange bearbeiten, bis Detlef S. einen Teil der Taten einräumte - nur um wenig später vor dem Psychiater alles wieder zurückzunehmen. Er fabulierte zwischendurch gar von einer einvernehmlichen "Liebesbeziehung" mit seiner Stieftochter. Von ehrlicher Einsicht war nichts zu sehen. Die schmerzhafte Aussage vor Gericht ersparte er seinen Opfern nicht.

Im Gefängnis steht Detlef S. nun eine harte Zeit bevor. Er habe bereits Morddrohungen erhalten, sagt sein Verteidiger, deshalb werde er von anderen Häftlingen isoliert. Zum ersten Mal erfahre Detlef S. nun selbst, was es bedeute, Opfer zu sein. Diese Erfahrung habe auch bewirkt, dass Detlef S. am vorletzten Prozesstag endlich ein Geständnis ablegte - viel zu spät für eine mildere Strafe.

Draußen vor dem Gericht steht sein Stiefsohn Björn mit verweinten Augen. Auch dessen Albtraum ist nun vorbei. "Wir werden sehen, wie wir weiterleben", sagt er. Björn hat sich 1998 und 2002 an das Jugendamt in Altenkirchen gewandt und von den Übergriffen in seiner Familie erzählt, bis heute begreift er nicht, warum die Behörde das Martyrium nicht beendete. Das Amt schaltete die Polizei ein, doch die Ermittlungen scheiterten auch am Schweigen der Opfer. Was in der Familie wirklich passierte, bekam im Jugendamt niemand mit. Der Richter nahm die Beamten in Schutz, juristisch sei ihnen nichts vorzuwerfen, befindet er. Doch so leicht werden die Opfer es dem Amt nicht machen. Sie wollen Schadenersatz fordern.

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