Afghanistan:"Die Menschen haben alles verloren"

Afghanistan: Bei schweren Überschwemmungen im Bezirk Khushi in der Provinz Lugar südlich von Kabul wurden die Häuser vieler Menschen zerstört.

Bei schweren Überschwemmungen im Bezirk Khushi in der Provinz Lugar südlich von Kabul wurden die Häuser vieler Menschen zerstört.

(Foto: Shafiullah Zwak/picture alliance/dpa/AP)

Die saisonale Flut in Afghanistan ist dieses Jahr besonders hart. Fast 200 Menschen sind schon ums Leben gekommen. Und den regierenden Taliban mangelt es nicht nur an Geld, um den betroffenen Regionen zu helfen.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

"Diesmal ist es viel, viel schlimmer als bei der letzten Flut. Besonders hoch oben in den Bergdörfern ist die Lage extrem gefährlich", sagt Salahuddin Zahid. "Mindestens sieben Menschen sind in den weit abgelegenen Distrikten bereits umgekommen."

Zahid lebt in der Provinz Laghman, der junge Taliban-Kämpfer arbeitet für den örtlichen Gouverneur. Er kennt Laghman, die fruchtbaren Ebenen, die steilen Täler, die weit abgelegenen, mit dem Auto kaum zu erreichenden Bergdörfer an den Hängen der bis zu 4000 Meter hohen Berge. Die Kabuler Regierung habe einen Helikopter in die Provinzhauptstadt Mihtarlam geschickt, die UN hätten weitere versprochen. Zahid ahnt, was geschehen wird, wenn der Regen nicht bald endet, wenn die Flut nicht zurückgeht.

Doch der Talib sagt am Telefon auch, was die Wettervorhersagen verkünden: "Sie gehen von einem weiteren Monat Monsun aus."

Ruinierte Ernten und zerstörte Häuser

Die seit Wochen andauernden Fluten haben in Afghanistan schon zahlreiche Todesopfer gefordert. Nach Angaben der Taliban-Regierung in Kabul sind in den vergangenen Wochen bereits mindestens 178 Menschen ums Leben gekommen. Ein Sprecher des "Islamischen Emirats Afghanistan" sagte der dpa, Tausende Häuser sowie Tausende Hektar Land seien bereits zerstört, Ernten ruiniert worden: "Die Menschen haben alles verloren."

Afghanistan: Ganze Landstriche wurden von den Wassermassen plattgemacht.

Ganze Landstriche wurden von den Wassermassen plattgemacht.

(Foto: Stringer/Reuters)

Es ist eine landesweite Katastrophe. 13 der 34 Provinzen sind bisher betroffen, vor allem im gebirgigen Osten des riesigen Landes. Nach dem jüngsten Erdbeben im Juni ist die Flutkatastrophe die nächste Belastungsprobe für die Islamisten-Regierung. Schon nach dem Beben mit seinen mehr als 1100 Toten hatten sie keine gute Figur gemacht, war die Kabuler Hilfe nur schleppend gekommen. Das Erdbeben war eines der tödlichsten seit Jahrzehnten - und jetzt eine Hochwasserkatastrophe, die wegen des Monsuns Wochen anhalten kann.

Die Taliban sind dabei weitgehend auf sich selbst gestellt: Ihre Regierung wird international nicht anerkannt. Die UN sind zwar noch im Land, können mit Helikoptern, Zelten und Decken helfen. Auch Nothilfe kann geleistet werden. Doch nach der Machtübernahme der Islamisten im August 2021 haben nicht nur die Amerikaner, die Deutschen und die anderen ausländischen Truppen das Land verlassen. Auch sehr viele der zahllosen internationalen Hilfsorganisationen haben sich zurückgezogen oder arbeiten mit der Islamisten-Regierung nur auf einem Mindestmaß zusammen.

Das Regieren müssen die Taliban erst lernen

Die humanitäre Infrastruktur ist daher stark ausgedünnt. Das macht Katastrophenhilfe weitaus schwieriger als unter den alten, gewählten Regierungen. Deren Haushalt wurde von den USA und dem halben Rest der Welt finanziert. Die Kassen der Taliban hingegen sind vorerst weitgehend leer. Sie mögen sich nach 20 Jahren Krieg aufs Kämpfen verstehen, aber beim Regieren und Verwalten eines Landes von fast 40 Millionen Einwohnern sind die Koran-Krieger bestenfalls am Lernen.

Sie haben nach eigenen Angaben bereits Nothilfe in die betroffenen Gebiete gebracht, Menschen mit den Rettungshubschraubern der früheren Armee aus den Dörfern gerettet. Medien vor Ort kritisierten jedoch, dass bevorzugt den Unterstützern des Regimes geholfen werde. Diese Vetternwirtschaft wäre typisch für die Taliban. Sie teilen die Menschen stets in Freund und Feind ein, auch die Bürger ihres "Islamischen Emirates".

Afghanistan: Nicht alle Menschen in Afghanistan bekommen schnell Hilfe - dieser Van immerhin wird aus dem Schlamm gezogen.

Nicht alle Menschen in Afghanistan bekommen schnell Hilfe - dieser Van immerhin wird aus dem Schlamm gezogen.

(Foto: Stringer/Reuters)

Saisonale Fluten gibt es in Afghanistan jedes Jahr. Aber dieses Jahr sind sie besonders heftig. Da es in dem Land keine Frühwarnsysteme gibt, treffen die Fluten die häufig in sehr weit abgelegenen Dörfern und Weilern lebenden Bewohner meist überraschend. Die Provinz Laghman etwa ist nur knapp 100 Kilometer von Kabul entfernt. Die überaus fruchtbare Provinz, berühmt für ihr Obst und Gemüse, ist extrem wasserreich. Der Kabul-River, ein Nebenfluss des Indus, der aus der Hauptstadt durch eine spektakuläre Schlucht nach Osten strömt, fließt dann auch an Laghman vorbei, hat Zuflüsse aus den bis zu 4000 Meter hohen Bergen, die Laghmans Ebenen und die grünen Täler flankieren.

Salahuddin Zahid, der Mitarbeiter des Gouverneurs, hatte der Süddeutschen Zeitung vor vier Wochen voller Stolz die neue Brücke über den Alischang-Fluss in Laghman gezeigt. Die alte war bei der Flut im Vorjahr weggerissen worden, Autos, Mopeds und die als Taxi dienenden Dreirad-Rikschas mussten monatelang durch das weitgehend ausgetrocknete Flussbett fahren. Der Wiederaufbau der Alischang-Brücke war in den Augen des Taliban-Kämpfers Zahid der beste Beleg dafür, dass die neue Regierung des "Islamischen Emirats Afghanistan" ihren Job anständig mache, etwas für die Menschen tue.

Jetzt aber sagt er am Telefon: "Auch unsere neue Brücke ist in großer Gefahr. Wenn die Flut anhält, könnte sie schnell wieder zusammenbrechen."

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