Süddeutsche Zeitung

Flugzeugunglück in Südfrankreich:Was wir über den Absturz wissen - und was nicht

Um 10:53 Uhr verschwindet die Germanwings-Maschine vom Radar, wenige Minuten später zerschellt sie an einer Felswand in den französischen Alpen. 150 Menschen sterben. Vieles an dem Unglück bleibt auch am Tag danach rätselhaft.

Von Paul Munzinger

Was wissen wir über Flug 4U9525?

Flug 4U9525 hat Barcelona um 10:01 Uhr verlassen. Um 11:55 Uhr sollte die Maschine in Düsseldorf landen. Um 10:45 Uhr erreichte das Flugzeug Germanwings-Chef Thomas Winkelmann zufolge die reguläre Reiseflughöhe von 38 000 Fuß, etwa 11,5 Kilometer. Nach einer Minute habe es diese Höhe verlassen und zu einem Sinkflug angesetzt. "Dieser Sinkflug hat acht Minuten gedauert. Der Kontakt des Flugzeuges zum französischen Radar und den Lotsen ist um 10:53 Uhr auf einer Höhe von etwa 6000 Fuß abgebrochen. Das Flugzeug ist dann verunglückt", so Winkelmann weiter. Eine Genehmigung für einen Sinkflug bei den zuständigen Fluglotsen sei nicht eingeholt worden.

Andere Daten liefern Flugverkehr-Tracker wie Flightradar 24 oder FlightAware. Diesen zufolge erreichte die Maschine ihre Reiseflughöhe bereits um 10:26 Uhr, also fast zwanzig Minuten früher, ehe sie sechs Minuten später (statt nach einer Minute) rapide an Höhe verlor. Wie diese unterschiedlichen Daten zu erklären sind, ist noch nicht klar.

Zunächst hieß es, aus dem Flugzeug sei kurz vor dem Absturz ein Notruf abgesetzt worden. Nach Angaben von Verkehrsstaatssekretär Alain Vidalies waren es jedoch Fluglotsen in Aix-en-Provence, die um 10.47 Uhr ein Alarmsignal sendeten, da sich die Maschine "in einer unnormalen Situation" befunden habe, im Sinkflug. Um 11:15 wurde Figaro zufolge von einem französischen Polizeihubschrauber aus eine Rauchsäule in der Region nahe Digne-les-Bains im Département Alpes-de-Haute-Provence gesichtet.

Was ist über die Maschine bekannt?

Bei der Maschine handelt es sich um einen 24 Jahre alten Airbus vom Typ A320, der am 6. Februar 1991 an die Lufthansa ausgeliefert wurde. Einen Tag vor ihrem Absturz stand die Germanwings-Maschine wegen technischer Probleme in Düsseldorf längere Zeit am Boden. Es habe ein Problem an der "Nose Landing Door" gegeben, bestätigte die Lufthansa Spiegel Online. Die "Nose Landing Door" ist die Klappe an der Unterseite des Flugzeugs, die sich für das Ausfahren des Bugrades öffnet. "Das ist kein sicherheitsrelevantes Thema, sondern ein Geräuschthema. Das Problem wurde routinemäßig behoben", hieß es von der Fluggesellschaft.

Zwischenzeitlich war der Jet mit 147 Sitzplätzen und der Kennung D-AIPX unter dem Städtenamen "Mannheim" unterwegs. Seinen Jungfernflug hatte er am 29. November 1990. Er war eines der ältesten noch betriebenen Flugzeuge dieser Airbus-Serie, die als zuverlässig gilt. Bei Checks werden aber immer wieder Teile erneuert, sodass nur noch wenige ursprüngliche Teile verbaut gewesen sein dürften.

Was ist bisher über die Absturzursache bekannt?

Sicher ist bislang nur, dass das Flugzeug auf 1500 Metern Höhe unter dem Massiv von Estrop im Tal von Blanche zerschellte. Die Trümmer der Maschine wurden in der Region zwischen Digne und Barcelonnette in den südwestlichen Alpen entdeckt.

Als Ursache auszuschließen ist lediglich das Wetter. Zum Zeitpunkt des Absturzes war es ruhig, berichtet ein französischer Dienst. Frankreichs Premier Valls sagte im französischen Parlament, dass "zum jetzigen Zeitpunkt keine Hypothese" über die Unglücksursache ausgeschlossen werden könne.

Am Dienstagabend wurde bekannt, dass Einsatzkräfte eine Blackbox des Airbus gefunden haben. Von der Auswertung des Flugschreibers erwarten sich die Ermittlungsbehörden Erkenntnisse über die Absturzursache. Der beschädigte Stimmenrekorder ist am Mittwochmorgen in Paris eingetroffen und wird ausgewertet.

Möglicherweise gibt es dann auch Aufschluss darüber, ob zwischen dem Absturz in Südfrankreich und einem Zwischenfall im vergangenen November ein Zusammenhang besteht. Wie der Spiegel berichtet hatte, hatten vereiste Sensoren einen Airbus A321 der Lufthansa damals in einen steilen Sinkflug gezwungen. Nur durch ein Abschalten der Bordcomputer konnte ein Absturz der Maschine, die auf dem Weg von Bilbao nach München war, verhindert werden.

Wer war an Bord?

An Bord der abgestürzten Maschine befanden sich 150 Personen, wie Germanwings mitteilt: 144 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder. Nach bisherigen Erkenntnissen sind 72 Deutsche unter den Opfern. Darunter 16 Schüler und zwei Lehrerinnen aus der westfälischen Stadt Haltern. Die Zehntklässler waren mit ihren Lehrerinnen auf dem Rückflug von einem Schüleraustausch in der Nähe von Barcelona.

Der Regierung in Madrid zufolge sind auch Spanier unter den Opfern. Auf der Passagierliste sollen 35 spanische Namen stehen. Außerdem Opfer aus mehr als 15 anderen Ländern.

Welche Fragen sich außerdem stellen:

  • Zwei Piloten befanden sich an Bord der Maschine. Wieso meldete keiner von ihnen eine etwaige Notsituation an Bord, obwohl dafür ein kurzer Handgriff am Transponder genügt hätte?
  • Warum verließ das Flugzeug die reguläre Flughöhe von 38 000 Fuß bereits nach kurzer Zeit wieder, obwohl es sich dabei - wegen möglicher Luftfahrzeuge auf Gegenkurs - um ein sehr gefährliches Manöver handelt?
  • Warum flog die Maschine anschließend weiter auf dem Kurs nach Düsseldorf, obwohl den Piloten klar sein musste, dass sie auf einer Flughöhe von 6000 Fuß nicht über die Berge kommen konnten?
  • Falls es einen Druckabfall in der Kabine gab, hätten die Piloten etwa vier Minuten Zeit gehabt, ihre Sauerstoffmasken anzulegen und auf einer Höhe von 10 000 Fuß über die Berge zu fliegen. Es bleibt also ein Rätsel, wer oder was den Autopiloten angewiesen hat, einen steilen Sinkflug einzuleiten.

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