Flugzeugabsturz:"Wir landen gleich in Kolumbien"

Wreckage from a plane that crashed into Colombian jungle with Brazilian soccer team Chapecoense is seen near Medellin

Das Flugzeugwrack am Unglücksort nahe der kolumbianischen Stadt Medellín.

(Foto: REUTERS)

Kurz vor dem Flugzeugabsturz meldet sich Fußballer Alan Ruschel per Handy-Video. Er ist einer der Überlebenden. Sein Schicksal erinnert an ein Unglück, das sich vor 58 Jahren in München ereignete.

Von Kerstin Lottritz

Das Video ist nur zehn Sekunden lang, ein breit grinsender Mann, der in einem Flugzeug sitzt und schmatzend auf einem Kaugummi kaut, neben ihm sein Kumpel, der die Finger zum Victory-Zeichen spreizt. Die beiden brasilianischen Fußballer Alan Ruschel und Danilo freuen sich auf ein wichtiges Fußballspiel, vielleicht das bisher wichtigste Match ihrer Karriere.

Noch schnell aus dem Flugzeug heraus einen Gruß an die Fans. Alan Ruschel postet viel auf Instagram. "Wir landen gleich in Kolumbien", sagt er grinsend. Im Hintergrund sind die anderen Passagiere an Bord zu sehen. Einer liest Zeitung, einige schlafen, man hört das Rauschen der Triebwerke.

Das Video ist vermutlich die letzte Aufnahme aus dem Inneren der Maschine. Die Avro RJ85 kam aus Santa Cruz in Bolivien, dort hatte der Pilot einen Zwischenstopp zum Tanken eingelegt. Etwa 30 Kilometer vor dem Ziel in Medellín stürzte das Flugzeug ab. An Bord ist die Mannschaft des brasilianischen Erstligisten Chapecoense - insgesamt sind es 77 Passagiere. Nur sechs haben offenbar das Unglück überlebt - einer von ihnen ist Alan Ruschel.

Schon einmal ist ein Flugzeug mit einer kompletten Fußballmannschaft abgestürzt. Das ist fast 60 Jahre her. Nach einem erfolgreichen Europapokal-Spiel stieg am 6. Februar 1958 die Mannschaft von Manchester United in eine Airspeed AS 57, die sie von Belgrad zurück nach Manchester bringen sollte. Einem Zufall verdankt es Bobby Charlton, dass er diese Reise überleben wird. In München gibt es einen Zwischenstopp zum Tanken. Es schneit heftig. Die Propellermaschine hat Probleme. Zwei Mal muss der Pilot den Start abbrechen. Da wird Tommy Taylor, einer der Fußballer, nervös. Sein Teamkollege Bobby Charlton bietet ihm seinen Sitzplatz im vermeintlich sichereren hinteren Teil der Maschine an. Der Flieger schafft es nicht, von der schneebedeckten Startbahn abzuheben, kracht in ein Haus und geht in Flammen auf.

Bei der "Katastrophe von München" sterben 23 der 44 Insassen, auch Tommy Taylor. Bobby Charlton zieht sich lediglich ein paar Schnittwunden zu und erleidet einen schweren Schock. Doch dieses Erlebnis zu vergessen, das schafft er nie. "Der Absturz wird immer Teil unseres Lebens sein", sagte er erst im vergangenen Jahr. Der Flugzeugabsturz hat die aufstrebende Mannschaft von Manchester United schwer getroffen. Sieben Spieler verloren ihr Leben. Ein Team aus Ersatz- und Jugendspielern brachte die Saison zu Ende. Die Mannschaft rutschte in der Tabelle von Platz drei auf Platz neun. Danach stellte Trainer Matt Busby, der ebenfalls den Flugzeugabsturz überlebt hat, eine neue Mannschaft zusammen. Zur ihr gehörte auch Bobby Charlton, der bis 1973 bei Manchester United spielte und 1966 sogar mit der Nationalmannschaft die Weltmeisterschaft im eigenen Land gewann.

Die Fußballer des brasilianischen Vereins Chapecoense haben ebenfalls eine besonders erfolgreiche Saison hinter sich. Den größten Triumph ihrer Vereinsgeschichte wollten sie am Mittwoch in Medellín feiern: Erstmals erreichte die Mannschaft das Finale des Copa Sudamericana. Das ist der zweitwichtigste Wettbewerb in Südamerika, vergleichbar mit der Europa League. Doch der Flugzeugabsturz hat nun alles verändert, die Fußballwelt ist Brasilien ist geschockt.

Im Internet kursiert einige Stunden nach dem Absturz ein Foto. Es zeigt einen schwer verletzten Mann, der auf einer Trage ins Krankenhaus eingeliefert wird. Es ist Alan Ruschel, der kurz vorher noch das Handy-Video aufgenommen hat.

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