Süddeutsche Zeitung

Flugzeugabsturz in Frankreich:Was wir über Germanwings-Flug 4U9525 wissen - und was nicht

Zwei Tage nach dem Absturz des Airbus A320 werden erste Opfer geborgen. Die Behörden werten die Blackbox der Germanwings-Maschine aus. Doch die Absturzursache bleibt rätselhaft.

Von Paul Munzinger

Was wissen wir über Flug 4U9525?

Der Germanwings-Flieger hat Barcelona um 10:01 Uhr verlassen. Um 11:55 Uhr sollte die Maschine in Düsseldorf landen. Was danach passiert, schilderte die französische Umwelt- und Transportministerin Ségolène Royal am Mittwochmorgen im französischen Fernsehen. Demnach bestätigt Flug Germanwings 4U9525 um exakt 10:30 Uhr zum letzten Mal eine Anweisung der französischen Flugsicherung. Eine Minute später begibt sich die Maschine ohne Freigabe der Flugsicherung in einen Sinkflug. Sie verliert pro Minute mehr als 1000 Meter Höhe und reagiert nicht mehr auf Funksignale.

Um 10:36 Uhr versucht die Flugsicherung zum letzten Mal, Kontakt zum Airbus aufzunehmen. Auch dieser Funkspruch bleibt unbeantwortet. Zu diesem Zeitpunkt haben die Behörden bereits die Notstufe DETRESFA Distress Phase erklärt und den Such- und Rettungsdienst informiert. Um 10:40 Uhr verschwindet Flug 4U9525 vom Radar. Seine letzte angezeigte Flughöhe beträgt etwa 1890 Meter.

Um 10:49 Uhr steigen zwei Militärhubschrauber des französischen Such- und Rettungsdienstes auf und machen sich auf die Suche nach der Maschine. Um 11:10 Uhr entdecken sie das Wrack. (Ein aktuelles Video von der Absturzstelle finden Sie hier.)

Die Zeitangaben in diesem Protokoll decken sich mit den Angaben von Luftverkehr-Trackern wie Flightradar 24 oder FlightAware.

Die Angaben unterscheiden sich allerdings von den Daten, die die Airline am Dienstag vorlegte. Germanwings-Chef Thomas Winkelmann hatte mitgeteilt, dass die Maschine um 10:45 Uhr ihre Reiseflughöhe von 38 000 Fuß, etwa 11,5 Kilometern erreicht habe. Eine Minute später habe sie diese Höhe verlassen und zu einem achtminütigen Sinkflug angesetzt.

Wie diese unterschiedlichen Daten zu erklären sind, hat Germanwings noch nicht beantwortet.

Was wissen wir bisher über die Absturzursache?

Erste Erkenntnisse über die Ursache des Unglücks erhoffen sich die Behörden von der Auswertung der Blackbox, die am Dienstagabend gefunden wurde. Es handelt sich um einen Stimmenrekorder, der Gespräche im Cockpit aufzeichnet. Es sei gelungen, eine Audio-Datei zu extrahieren, teilte Rémi Jouty, Chef der französischen Fluguntersuchungsbehörde BEA, auf einer Pressekonferenz mit. Genauere Angaben, beispielsweise über die Länge der Aufzeichnung oder darüber, wessen Stimmen zu hören seien, könne er aber noch nicht machen. Eine Auswertung der Datei stehe noch aus.

Einem Bericht der New York Times zufolge ergeben erste Analysen, dass einer der beiden Piloten das Cockpit verlassen habe. Später soll er versucht haben wieder hineinzugelangen, sein Klopfen sei aber unbeantwortet geblieben. Er habe dann vergeblich versucht, die Türe mit Gewalt zu öffnen. Die Zeitung beruft sich auf einen nicht genannten Ermittler. Bisher sind diese Angaben nicht bestätigt.

Ein zweiter Flugschreiber ist noch nicht gefunden worden. Das sagte Frankreichs Präsident François Hollande in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel in Seyne-les-Alpes. Ein Behälter sei gefunden worden, nicht aber das Gerät selbst, teilte Hollande mit. BEA-Chef Jouty bestätigte diese Information allerdings nicht.

Die Größe und die Verteilung der Wrackteile weisen nach Einschätzung der BEA darauf hin, dass das Flugzeug am Boden zerschellt und nicht bereits in der Luft explodiert sei.

Als mögliche Ursache gilt unter anderem ein plötzlicher Druckabfall in der Kabine, wie verschiedene Medien berichten. Demnach hätten die Piloten noch den automatischen Sinkflug einleiten können, bevor sie bewusstlos wurden. Dieses Szenario könne erklären, warum die Crew während des Sinkflugs keine Gegenmaßnahmen einleitete.

Spekuliert wird auch weiterhin, ob vereiste Sensoren als Unglücksursache in Frage kommen. Im vergangenen November hatte das einen Airbus A321 der Lufthansa in einen steilen Sinkflug gezwungen, wie der Spiegel berichtet hatte. Nur durch ein Abschalten der Bordcomputer konnte ein Absturz der Maschine, die auf dem Weg von Bilbao nach München war, verhindert werden. Informationen von Le Monde zufolge tauchte das Problem im Jahr 2014 bei mehreren Airbussen auf.

Was ist über die Maschine bekannt?

Bei der Maschine handelt es sich um einen 24 Jahre alten Airbus vom Typ A320, der am 6. Februar 1991 an die Lufthansa ausgeliefert wurde. Einen Tag vor ihrem Absturz stand die Germanwings-Maschine wegen technischer Probleme in Düsseldorf längere Zeit am Boden. Es habe ein Problem an der "Nose Landing Door" gegeben, bestätigte Lufthansa Spiegel Online. Die "Nose Landing Door" ist die Klappe an der Unterseite des Flugzeugs, die sich für das Ausfahren des Bugrades öffnet. "Das ist kein sicherheitsrelevantes Thema, sondern ein Geräuschthema. Das Problem wurde routinemäßig behoben", hieß es von der Fluggesellschaft. Den letzten Routinecheck habe die Maschine am Montag in Düsseldorf durchlaufen.

Seinen Jungfernflug hatte der Jet mit 147 Sitzplätzen am 29. November 1990. Er war eines der ältesten noch betriebenen Flugzeuge dieser Airbus-Serie, die als zuverlässig gilt. Bei Checks werden immer wieder Teile erneuert, so dass nur noch wenige ursprüngliche Teile verbaut gewesen sein dürften.

Gibt es Hinweise auf einen Anschlag?

Nein, Indizien für einen Anschlag liegen bisher nicht vor. "Es gibt keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Ursache für den Absturz absichtlich durch Dritte gesetzt wurde", sagt Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch in Berlin. Es werde "in alle Richtungen mit Hochdruck ermittelt", sagte de Maizière, doch Spekulationen und Mutmaßungen zu möglichen Unfallursachen müssten mit Rücksicht auf die Angehörigen unterbleiben. Auch Bundesverkehrsminister Dobrindt, der das Absturzgebiet im Hubschrauber überflogen hatte, warnte vor Spekulationen.

Die französische Regierung geht ebenfalls nicht von einem Angriff aus. Zwar werde in alle Richtungen ermittelt, sagt Innenminister Bernard Cazeneuve dem Hörfunksender RTL. Ein Anschlag sei jedoch nicht die wahrscheinlichste These.

Warum wurde kein Notruf abgesetzt?

Am Dienstag hieß es noch, dass um 10:47 ein Notruf aus der Maschine erfolgt sei. Diese Information ist falsch. Der Alarm wurde von den Fluglotsen in Aix-en-Provence ausgelöst, weil sich die Maschine "in einer unnormalen Situation" befunden habe: im Sinkflug. Aus dem Flugzeug selbst wurde kein Notruf abgesetzt, weder von den Piloten noch von den Fluggästen. Warum, ist noch völlig unklar. Zwei Piloten befanden sich an Bord der Maschine, mit einem einfachen Handgriff hätten sie eine Notsituation anzeigen können.

Wer war an Bord?

Am Mittwoch verlas Germanwings-Chef Thomas Winkelmann die Herkunftsländer der Passagiere, die sich an Bord des Airbus befunden hatten. Demnach sind unter den Opfern 72 Deutsche, mehr als 50 von ihnen offenbar aus Nordrhein-Westfalen. Unterschiedliche Angaben gibt es über die Zahl spanischer Opfer. Germanwings spricht von 35 Spaniern an Bord, die spanische Regierung von 51.

Jeweils zwei verunglückte Passagiere stammten der Airline zufolge aus Australien, Argentinien, Iran, Venezuela, Kolumbien und den USA. Auch je ein Brite, Holländer, Mexikaner, Japaner, Däne, Belgier und Israeli hatten eingecheckt. Doch auch diese Zahlen sind nur vorläufig. Wie die spanische gehen unter anderem auch die US-amerikanische und die britische Regierung von anderen Opferzahlen aus als die Airline.

In verschiedenen lokalen Medien wurden die Namen der Toten veröffentlicht. Unter den spanischen Opfern befand sich Ariadna Falguera, die Ehefrau des prominenten katalanischen Politikers Lluís Juncà, der mit seiner Partei Esquerra Republicana für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien kämpft. So wie viele andere der Spanier an Bord war auch Falguera aus beruflichen Gründen auf dem Weg nach Deutschland. Die Zeitung La Vanguardia berichtete, dass eine Gruppe Passagiere zu einer Messe nach Köln reisen wollte. Auch eine Mutter und ihr neun Monate alter Sohn waren unter den spanischen Opfern.

Australiens Außenministerin Julie Bishop bestätigte, dass die zwei australischen Opfer, eine 68-jährige Frau und ihr 29-jähriger Sohn, in Europa Urlaub gemacht hatten. Die kolumbianische Regierung betrauerte den Tod eines 36-jährigen Architekten und einer 33-jährigen Wissenschaftlerin.

Die zwei bekanntesten Opfer des Unglücks sind die Opernsänger Oleg Bryjak und Maria Radner. Beide hatten am Gran Teatre del Liceu in Barcelona in einer Inszenierung von Wagners "Siegfried" gesungen. Und beide sollten im Sommer bei den Bayreuther Festspielen auftreten. Der gebürtige Kasache Bryjak hatte im vergangenen Jahr sein Debüt in Bayreuth gegeben, für Radner sollte es diesen Sommer so weit sein. Der Bassbariton Bryjak war Mitglied im Ensemble der Düsseldorfer Oper. Die Altistin Radner feierte 2012 internationale Erfolge in Wagners "Götterdämmerung" an der Metropolitan Opera in New York. Radner war auf dem Flug in Begleitung ihres Mannes und ihres Babys.

Eine schwedische Fußballmannschaft hatte hingegen Glück. Die Spieler der dritten Liga waren für die Maschine gebucht gewesen, entschieden sich jedoch am Flughafen, einen späteren Flug zu nehmen.

Erste Absturz-Opfer geborgen

Inzwischen haben Rettungskräfte erste Opfer geborgen. Ihre sterblichen Überreste seien am späten Mittwochnachmittag von der Unglücksstelle weggebracht worden, bestätigte ein Sprecher der Polizei in Digne der Deutschen Presse-Agentur. Die Suche war am Abend mit Einbruch der Dunkelheit eingestellt worden und soll am Donnerstag fortgesetzt werden.

Klar ist, dass niemand den Absturz überlebt hat. Am Dienstag hatte es noch Gerüchte über einen möglichen Überlebenden gegeben. Doch der Mann, der im Umfeld der Absturzstelle gesichtet worden sein soll, war offenbar ein Journalist, wie Le Monde berichtet. Seit Dienstagabend wird der Unglücksort von Polizisten abgesperrt.

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