Süddeutsche Zeitung

Flugzeugabstürze in Russland:Alkohol und angezogene Handbremse?

Präsident Medwedjew schimpfte auf die Technik, als innerhalb weniger Monate zwei Flugzeuge in Russland abstürzten. Über die Piloten sprach er nicht. Jetzt stellt sich heraus, dass menschliches Versagen schuld am Tod von fast 100 Menschen ist. Auch Alkohol soll im Spiel gewesen sein.

Frank Nienhuysen

Sie sind alt, und Präsident Dmitrij Medwedjew will sie nicht mehr sehen. Als im Juni bei Petrosawodsk eine Tupoljew-134 abstürzte und 47 Menschen starben, sagte der Kremlchef, diese Maschinen müssten aus dem Verkehr gezogen werden. Als vor zwei Wochen in Jaroslawl eine Jak-42 nach dem Start auseinanderbrach und eine Eishockey-Mannschaft getötet wurde, schimpfte Medwedjew wieder. "Falls russische Firmen keine sicheren Flugzeuge bauen können, müssen sie diese eben im Ausland kaufen", sagte er. Über die Piloten sprach er nicht.

Ein russisches Luftfahrtkomitee gab am Montag im Fall der verunglückten Tupoljew bekannt, dass im Blut des Navigationsoffiziers Alkohol gefunden worden sei. Er habe den Flug "im Zustand einer leichten Stufe von Trunkenheit absolviert". Dies sei zwar nicht der alleinige, aber doch "einer der Faktoren gewesen, die zur Katastrophe geführt haben". Russische Medien berichteten von 0,8 bis 1,0 Promille.

In älteren russischen Flugzeugen ist der Navigator bei Starts und Landungen für die Flugkorridore zuständig und dem Piloten weisungsbefugt. Beim Landeanflug auf den Flughafen von Petrosawodsk in Karelien war es so neblig gewesen, dass die Besatzung angewiesen wurde, erst noch einmal eine Schleife zu fliegen. Dies aber lehnte die Crew ab. Der Navigationsoffizier wird in dem Untersuchungsbericht als "überaktiv" beschrieben, während der zweite Pilot als "faktisch nicht anwesend" galt.

Russische Medien berichteten, dass der Navigator nach der Scheidung zu trinken angefangen hatte, angeblich aber beteuerte, vor Flügen auf Alkohol zu verzichten. Der menschliche Makel als Ursache für die Katastrophen in der russischen Luftfahrt? Schon nach dem Absturz einer Passagiermaschine auf dem Weg von Moskau nach Perm 2008 wurden Spuren von Alkohol im Blut des Piloten gefunden. Checklisten wurden missachtet, einander widersprechende Kommandos gegeben.

Und nun scheint sich auch im Fall des vor zwei Wochen in Jaroslawl abgestürzten Flugzeugs der Verdacht auf Pilotenfehler zu erhärten. Die Jak-42 mit dem Eishockey-Team von Lokomotive Jaroslawl an Bord schaffte beim Start nur eine Höhe von wenigen Metern, streifte dann einen Antennenmast, stürzte ab und zerbrach. Das russische Luftfahrtkomitee sprach am Montag von "einer zusätzlichen Bremskraft", die das Flugzeug daran gehindert habe, an Höhe zu gewinnen.

Nun kursiert das Gerücht, dass die Piloten die Handbremse nicht gelöst haben könnten, obwohl es dann Warnsignale gegeben haben müsste. Dass tatsächlich Dilettanten im Cockpit saßen, wie Luftfahrtexperte Wiktor Timoschkin nahelegte, war zunächst offen. Aber menschliche Fehler spielen bei Abstürzen immer wieder eine große Rolle. "Es geht um eine bessere Ausbildung der Piloten, um Unterstützung dafür, dass sie sich erholen können, ein anständiges Gehalt bekommen", zitierte Interfax den Direktor des Zentralinstituts für Aerodynamik, Sergej Tschernyschew - "all das kann man verbessern."

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SZ vom 20.09.2011/sebi
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