Flug von Mathias Rust zum Roten Platz:Husarenstück eines Teenagers

"Ich zieh' das hier durch!": Vor 25 Jahren überwindet Mathias Rust den "Eisernen Vorhang" mit einer Cessna - und landet im Herzen Moskaus. Mit dem spektakulären Flug will der 18-Jährige für "Frieden und Verständigung" zwischen Ost und West sorgen. Kremlchef Gorbatschow nützt der Coup: Er stellt hunderte Gegner seiner Reformpolitik kalt.

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Vor 25 Jahren überwindet Mathias Rust den "Eisernen Vorhang" mit einer Cessna - und landet im Herzen Moskaus. Mit dem spektakulären Flug will der 18-Jährige für "Frieden und Verständigung" zwischen Ost und West sorgen. Es ist der 28. Mai 1987, als über der sowjetischen Hauptstadt Moskau ein kleines Sportflugzeug auftaucht. Vor fünf Stunden war Mathias Rust in Helsinki gestartet, nun lenkt er seine Cessna zum Roten Platz - dem symbolträchtigen Zentrum der Sowjetmacht. Die Kleinmaschine fliegt tief, zieht mehrere Schleifen über dem Roten Platz. Passanten starren ungläubig in die Luft. Um genau 18.43 Uhr landet der junge Mann aus Wedel bei Hamburg seine Maschine in der Nähe des Roten Platzes auf einer mehrspurigen Brücke und rollt dann bis vor die Basilika. Das Husarenstück eines Teenagers ist vollbracht.

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Sofort wird der Pilot von Schaulustigen umringt, gibt Autogramme wie ein Filmstar. Erst nach etwa zwei Stunden löst die Staatssicherheit die Versammlung auf - und bringt Rust ins Polizeipräsidium. Noch Stunden später steht die inzwischen verwaiste Cessna auf dem Roten Platz. Rust befindet sich da längst in Polizeigewahrsam und wird verhört. Später wird er erzählen: Er habe noch überlegt, ob er "nicht gleich wieder starten und abhauen" sollte. "Doch dann dachte ich: Ich zieh' das hier durch!"

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Rusts Landung löst eine Krise in der Supermacht Sowjetunion aus, die manchem nützlich ist. Für Michail Gorbatschow kommt die Aktion Rusts wie bestellt: Der damalige Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei kann seine konservativen Gegenspieler entmachten, um seine Reformpolitik abzusichern. Wenig später müssen der Verteidigungsminister und weitere Mitglieder der sowjetischen Regierung abtreten. Insgesamt verlieren mehr als 300 Generäle ihren Posten.

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Rust bekommt zunächst die volle Härte einer gefoppten Supermacht zu spüren: Monatelang sitzt er in Moskau in Gefangenschaft, bis ihm am 30. November 1987 der Prozess gemacht wird. Das Oberste Gericht klagt ihn an, illegal die Grenze übertreten, die internationalen Flugvorschriften verletzt und sich des Rowdytums schuldig gemacht zu haben. Rust gesteht in Bezug auf die ersten beiden Anklagepunkten seine Schuld ein, den dritten weist er zurück. Die Strafe: Er wird zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt, sitzt die Haft aber im Moskauer Lefortowo-Gefängnis ab.

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Nach 14 Monaten wird Rust überraschend begnadigt und des Landes verwiesen. Noch am selben Abend fliegt er zurück nach Deutschland - in einer Linienmaschine. Später sagt er über die Aktion: "Damals, mit meinem Elan und meiner politischen Überzeugung, war es für mich das einzig Richtige." Dem Stern sagt er: "Ich würde es sicherlich nicht mehr tun und meine Pläne nicht mehr für realistisch halten." Rust wollte mit dem Flug ein Zeichen setzen, beteuert er: Er sei "auf der Suche nach einer Quelle des Friedens" gewesen.

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Zurück in Deutschland sorgt der Norddeutsche bald wieder für Schlagzeilen: Als Zivildienstleistender sticht er 1989 mit einem Messer auf eine Schwesternschülerin in einem Hamburger Krankenhaus ein. Die Gründe seines Handelns sind nicht eindeutig geklärt. Medien berichten, er habe so gehandelt, weil die junge Frau ihn nicht küssen wollte. Rust erhält 20 Monate Haft, nach 15 Monaten kann er vorzeitig das Gefängnis verlassen. Doch er kommt erneut mit dem Gesetz in Konflikt: 2001 folgt eine Geldstrafe wegen Diebstahls, 2006 wird er wegen Scheckbetrugs verurteilt. 2009 erzählt er der Presse, er habe 750.000 Euro beim Pokern gewonnen und ausgesorgt. Ob das stimmt, weiß wohl nur er selbst.

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Was aus der berühmten Cessna geworden ist, bleibt lange unklar. Das Deutsche Technikmuseum macht sich auf Suche und entdeckt sie in Japan. Im Jahr 2008 kehrt sie zurück nach Deutschland. Heute hängt das Sportflugzeug, das für eine Volte der Geschichte gesorgt hat, in Berlin im Deutschen Technikmuseum. Sie ist Herzstück der Sonderausstellung 'Himmelfahrt zum Roten Platz - Über alle Grenzen, gegen alle Regeln'.

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Heute lebt der 44-jährige Rust in Hamburg, wo er für eine Zürcher Investmentfirma auf Provisionsbasis arbeiten soll. Dort lässt er sich auch zum Yogalehrer ausbilden. Bei der Pressekonferenz zur TV-Dokumentation "Der Kreml-Flieger", die am 21. Mai bei ARD zu sehen war, fehlt Rust. Stattdessen vertritt ihn der  russischstämmige Schriftsteller Wladimir Kaminer - mit einer Papiermaske von Rust. Auch er ist indirekt in die Geschichte verstrickt: Kaminer leistet 1987 in einer Raketenstellung vor Moskau seinen Wehrdienst ab und soll die Möglichkeit gehabt haben, Rust mit seinem Flugzeug abzuschießen.

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