Flüchtlingskrise:Diese Frau gibt Europa seine Würde zurück

Flüchtlingskrise: Die Forensikerin Cristina Cattaneo bei der Arbeit auf der Nato-Militärbasis im sizilianischen Melilli (Archivbild von 2015).

Die Forensikerin Cristina Cattaneo bei der Arbeit auf der Nato-Militärbasis im sizilianischen Melilli (Archivbild von 2015).

(Foto: AFP)

"Das sind wir den Angehörigen schuldig": Die Forensikerin Cristina Cattaneo obduziert auf Sizilien tote Flüchtlinge, mitunter auf eigene Kosten.

Von Oliver Meiler

Die Opferzahlen der Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer sind erschütternd hoch, seit Jahren schon. Und in vielen Fällen bleiben die Opfer Zahlen. Namenlos, ohne Identität. Es ist eine Tragödie in der Tragödie. Doch niemanden scheint das übermäßig zu bekümmern. Nie hört man mal einen Politiker sagen: "Schon unerhört, die vielen Opfer. Wir müssen unbedingt versuchen, die Toten zu identifizieren, das sind wir den Angehörigen schuldig."

Nun, in Mailand gibt es eine engagierte Gerichtsmedizinerin und Forscherin, die sich mit ihrem Universitätslabor, dem Labanof, genau dieser Mission verschrieben hat. Cristina Cattaneo und ihre acht Mitarbeiter sammeln Daten, obduzieren, suchen nach Familienmitgliedern. Nebenbei revolutionieren sie die Forschung auf diesem Gebiet.

Um Cattaneo zu treffen, brauchte es hartnäckiges Nachhaken. Sie schob den Termin wochenlang immer wieder auf, weil sie, wie sie sagte, nie wisse, wann sie nach Sizilien reisen müsse. Das Aufgebot könne jede Minute kommen, und dann sei sie weg. Am Tag des provisorischen Interviews war noch immer nicht klar, ob es klappen würde.

Cattaneos Leitmotiv: Menschenwürde

Bis zuletzt. "Können Sie in einer Stunde da sein?", schrieb sie dann in einer Kurznachricht aufs Handy. Es war gerade genug Zeit, um durch den strömenden Regen vom Hotel ins Labor zu kommen, im Universitätsviertel von Mailand.

Es ist ein Ort der Hoffnung, auch wenn er nach Tod riecht. Cattaneo redet oft von der Würde der Opfer, wenn sie die Motivation für ihre Arbeit beschreibt. Es ist ihr Leitmotiv. Und Menschen wie sie sorgen dafür, dass Europa seine Würde im Umgang mit den Flüchtlingen nicht verliert.

Vieles geschieht in der Freizeit, ihre Reisen bezahlt Cattaneo auch mal aus der eigenen Tasche. Aber natürlich hofft sie, dass ihr Pilotprojekt Europas Politiker überzeugen kann, Fonds einzurichten für die Identifizierung namenloser Toter. "Es ist nicht teuer", sagt sie.

Gerade in diesen Tagen, wo die See ruhiger und das Wetter besser wird, nehmen die Überfahrten auf heillos überladenen Schlauchbooten und Schaluppen von Libyen nach Lampedusa und Sizilien wieder zu. Und die tragischen Unglücke.

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