Mittelmeer:Flüchtlinge retten und abschrecken zugleich

Mittelmeer: Überlebende des Unglücks vor Libyen finden auf einem kleinen Rettungsboot Platz.

Überlebende des Unglücks vor Libyen finden auf einem kleinen Rettungsboot Platz.

(Foto: AP)

Niemand soll im Mittelmeer sterben. Aber Flüchtlinge sollen auch nicht motiviert werden, nach Europa aufzubrechen. Die Helfer stecken im Dilemma.

Von Stefan Ulrich

Vieles haben die Retter richtig gemacht, die Aktion hätte beispielhaft werden können. Sie warteten nicht ab, ob der Seelenverkäufer vor Italien ankommen würde. Sie handelten sofort. Das Schiff mit Hunderten Flüchtlingen hatte vor der libyschen Küste einen Notruf abgesetzt, die italienische Küstenwache alarmierte mehrere Boote in der Gefahrenzone. Ein irisches Schiff war rasch zur Stelle, die Aufnahme der Flüchtlinge konnte beginnen. Plötzlich sank der Kutter und viele Menschen ertranken. Besonders makaber: Ausgerechnet der Anblick der Retter veranlasste die verängstigten Menschen offenbar, auf eine Seite ihres Bootes zu laufen und es zum Kentern zu bringen.

Schätzungsweise zweitausend Menschen sind dieses Jahr bei der Fahrt über das Mittelmeer gestorben, nun sind es womöglich Hunderte mehr. Und wieder ertönen die ebenso verständlichen wie hilflos wirkenden Kommentare, die Dramen auf See seien unerträglich, Europa müsse mehr tun, wenn es nicht seine Würde verlieren wolle. Doch was soll Europa tun?

Vorschläge gibt es genug, viele sind vernünftig. Ja, die EU-Staaten sollten sich auf eine faire Verteilung der Flüchtlinge einigen; und ein Staat wie Großbritannien darf sich nicht der Solidarität mit südeuropäischen Ländern verweigern und zugleich um Hilfe schreien, wenn er am Ärmelkanal selbst mit Flüchtlingen konfrontiert wird. Eine moderne Einwanderungspolitik kann mehr legale, gefahrlose Möglichkeiten schaffen, nach Europa zu kommen. Die Überwachung des Mittelmeers muss weiter verbessert werden.

Europa muss helfen, ohne einen Exodus auszulösen

Nur: All dies wird nicht verhindern, dass auch künftig Zehntausende auf untauglichen Booten in See stechen und viele dort ihr Leben verlieren. Die Krisengebiete des Nahen Ostens und Afrikas bringen mehr Elend hervor, als es Europa mit noch so großzügigen Quoten aufnehmen kann. Bürgerkriege wie in Syrien und Unrechtsregime wie in Eritrea machen immer mehr Menschen zu Flüchtlingen. Daran würde sich nur etwas ändern, wenn sich die Lage in den Problemstaaten erheblich bessert. Das ist nicht absehbar, im Gegenteil.

Was also tun, um den Tod auf dem Meer zu stoppen? Manche plädieren, im ehrlichen Entsetzen über das Flüchtlingsleid, für radikale Lösungen. So wird gefordert, die Boote der Schlepper zu zerstören, bevor sie in See stechen. Dies würde einige Tragödien verhindern, auch wenn es ohne UN-Mandat völkerrechtswidrig wäre. Allerdings könnten solche Militärschläge die westlichen Staaten in den libyschen Bürgerkrieg hineinziehen. Der Beschuss von Booten könnte zivile Opfer fordern. Vor allem aber: Die Schlepper sind clever genug, neue Wege zu finden, etwa mit rasch aufblasbaren Gummibooten.

Eine ganz andere Lösung lautet: Europa muss einen sicheren Korridor über das Meer schaffen, eine Fährverbindung für Flüchtlinge etwa. Das klingt verblüffend einfach. Die EU-Staaten fürchten aber, eine solche Passage würde viele weitere Menschen ermutigen, nach Europa zu reisen. Schon jetzt fällt es schwer, alle Ankömmlinge würdig aufzunehmen. Schon jetzt steigt die Gefahr, dass sich viele Bürger überfordert fühlen und extremistische Parteien wählen, die sogar an die Macht kommen könnten. Es ist legitim, wenn die EU-Staaten auch das berücksichtigten.

Vor allem aber spricht gegen die Korridor-Lösung ein Argument: Sie würde noch viel mehr Afrikaner dazu bringen, sich auf den gefährlichen Weg zur Küste zu machen. Etliche von ihnen würden dann zwar nicht auf dem Meer, aber schon vorher auf dem Weg durch die Wüste sterben.

Die befriedigende Lösung der Flüchtlingsfrage gibt es nicht. Europa muss mit dem Widerspruch leben, dass es Menschen retten, aber nicht noch mehr Menschen zur Flucht motivieren will.

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