Flüchtlinge in Schleswig-Holstein:Bürgermeister rebellieren gegen Erstaufnahmestelle

  • Schleswig-Holstein wollte auf dem Gelände der Großraumdiskothek "Ziegelei" eine Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge errichten.
  • Doch die anliegenden Gemeinden kauften dem Besitzer kurzerhand die Fläche ab. Sie wollen dort nun selbst Flüchtlinge unterbringen.
  • Kommunen in ganz Deutschland fühlen sich in der Flüchtlingskrise überfordert und übergangen.

Von Hannah Beitzer

Hier bestimmen wir: Diese Botschaft senden elf Dörfer aus Schleswig-Holstein in diesen Tagen ziemlich deutlich an das Innenministerium ihres Landes. Die Gemeinden im Landkreis Herzogtum Lauenburg durchkreuzten in einer gewieften Aktion die Pläne des Landes, auf dem Gelände der Großraumdiskothek "Ziegelei" in Rondeshagen eine Erstaufnahmestelle für 1500 Flüchtlinge zu errichten.

Der Fall zeigt, dass in der Flüchtlingskrise zwischen Kommunen und einer um rasche Lösungen bemühten Regierung eine Menge schiefgehen kann - und dass Lokalpolitiker inzwischen bereit sind, drastische Mittel zu ergreifen, wenn sie sich überrumpelt fühlen.

Die Bürgermeister fühlten sich übergangen

Das zuständige Amt Berkenthin kaufte Disco-Besitzer Sigurd Sierig das Gelände, auf dem ein Containerdorf entstehen sollte, kurzerhand für eine Million Euro ab. Die Dörfer wollen dort nun selbst Flüchtlinge unterbringen. "Verkäufer und Käufer waren sich einig, dass die elf Gemeinden des Amtes Berkenthin ein gutes Konzept, insbesondere zur Betreuung und Integration von Flüchtlingen, haben", teilt Amtsvorsteher Karl Bartels in einer Erklärung mit. Das Amt möchte nun auf dem Gelände der Diskothek Mehrfamilienhäuser bauen. Berkenthin und die Umlandgemeinden müssen in diesem Jahr 128 und im kommenden Jahr 158 Flüchtlinge versorgen.

Das sind weit weniger, als das Land Schleswig-Holstein dort unterbringen wollte. 1500 Flüchtlinge sollten in dem Containerdorf leben. Die Pläne des Innenministeriums waren vergangene Woche öffentlich geworden und auf großen Widerstand gestoßen. Die Bürgermeister der anliegenden Gemeinden fühlten sich zu spät informiert und vor allem nicht ausreichend konsultiert. Sie bemängelten zum Beispiel die Trinkwasserversorgung auf dem Gelände.

"Für uns ist das ein schwieriger Spagat. Ich sehe mich nicht in der Lage, über noch nicht konkretisierte Vorhaben zu informieren. Das würde Unruhe schaffen und dazu führen, dass wir zu keinem Ergebnis kommen", begründete Innenstaatssekretärin Manuela Söller-Winkler (SPD) vergangene Woche, warum die Gemeinden nicht früher informiert wurden.

Ein "Desaster" für die Landesregierung

Dass ihr das Amt Berkenthin nun das Gelände für die geplante Flüchtlingsunterkunft vor der Nase weggeschnappt hat, dürfte sie in dieser Einschätzung bestätigen. Die Opposition in Kiel spricht von einem "Desaster". Hinter der Geschichte aus Schleswig-Holstein steckt ein Konflikt, der an immer mehr Orten in Deutschland ausbricht. Auch der Brief von 215 Bürgermeistern aus Nordrhein-Westfalen an Kanzlerin Angela Merkel zeigt, wie überfordert sich manche Kommunen fühlen.

Häufig werden Klagen laut, die Lokalpolitiker dürften überhaupt nicht mitreden, wie Flüchtlinge untergebracht würden. Dabei seien sie es, die mit der Situation vor Ort klarkommen müssten, hieß es zuletzt zum Beispiel in Erding. Für die Landesregierungen und den Bund ist die Situation aber auch nicht leicht. Denn große Erstaufnahmelager wie das, das Schleswig-Holstein auf dem Gelände der "Ziegelei" plante, stoßen vor Ort nur selten auf Begeisterung. Noch dazu muss es angesichts steigender Flüchtlingszahlen manchmal schneller gehen, als sich das Bürgermeister und Anwohner wünschen.

Die Kommunen davon zu überzeugen, trotzdem ein paar Tausend Flüchtlinge aufzunehmen, ist da nicht leicht. Das kann auch mal schiefgehen - wie der Fall des verhinderten Containerdorfs auf dem Disco-Gelände zeigt. Die Innenstaatssekretärin muss sich nun auf die Suche nach anderen Standorten machen. Denn die Flüchtlinge kommen ja trotzdem nach Schleswig-Holstein. Mit mehr als 60 000 Flüchtlingen bis Jahresende rechnet das Innenministerium für 2015. 2014 waren es gerade einmal 7600. Wenn das Beispiel "Ziegelei" Schule macht, dann hat nicht nur Schleswig-Holstein ein Problem.

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