Flüchtlinge auf der Berlinale:Integration geht durch den Magen

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Nicht die drei von der Tankstelle, sondern die fünf vom Flüchtlingstruck: Moder Sheek, Adriano Zucca, Roberto Petza, Andrea Chessa und Enrico Carta (v. l.) kochen für die Berlinale-Besucher. (Foto: Markthalle Neun)

Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten? Auf der Berlinale schon.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Von außen sieht man dem Wagen nicht an, was in ihm steckt. Der Flüchtlingstruck sieht aus wie einer dieser hippen Streetfood-Trucks, die derzeit so beliebt sind. Anderswo werden darin besonders schicke Burger oder aufgepeppte Hausmannskost zu stolzen Preisen verkauft. Hier ist es ein Integrationsprojekt.

Solche Trucks stehen auf dem Filmfestival neben dem Berlinale-Palast, um hektische Besucher mit Nervennnahrung zu versorgen. Kleine Häppchen, warme Süppchen und starken Kaffee brauchen die Festivalbesucher zwischen Weltpremieren, Pressekonferenzen und aufreibendem Gedrängel am roten Teppich des weltgrößten Publikumsfestivals dringend.

Italienisch-syrisches Fusion-Food

In Kooperation mit dem Kulinarischen Kino auf der Berlinale, dem Projekt Slow Food Berlin und der Markthalle Neun ist diesmal ein neues Projekt mit an Bord: der Flüchtlingstruck. In der Joseph-von-Eichendorff-Gasse kochen und servieren hier Geflüchtete aus Syrien das Essen.

Zusammen mit dem italienischen Sternekoch Roberto Petza haben sie einen Mix aus italienischer und syrischer Küche entwickelt - und bieten nun Rigatoni mit Bohnencreme, vegane Kirchererbsensuppe, Favabohnen-Rolle mit sardischem Brot oder pochierte Eier auf Kartoffelcreme mit Trüffel an, für um die sechs Euro pro Gericht.

Moder Sheek, 30, seit anderthalb Jahren in Berlin, kocht dreimal im Monat mit der Flüchtlingsinitiative "Über den Tellerrand kochen". Da nicht nur Liebe über den Magen geht, sondern auch Interesse und Sympathie, will das Projekt Menschen bei einem guten Essen einander näherbringen. Sheek erzählt: "Wir tauschen unsere Kulturen aus. Ich zeige den Deutschen, wie wir kochen, zum Beispiel gefüllte Zuchini mit Reis, Fleisch und Knoblauch. Und wir lernen auch, wie die Deutschen essen. Besonders gerne mag ich Kartoffeln mit Rotkohl."

In sechs Monaten Deutsch gelernt

In dem Integrationsprojekt sollen Freundschaften entstehen, die Geflüchteten sollen aus ihrem Land erzählen und die Deutschen von sich und ihren Vorstellungen. Hier, am Truck, bleibt dafür wenig Zeit. Die wenigsten Besucher wissen, dass Sheek aus Syrien geflüchtet ist, sie wollen nur schnell ein warmes Essen. Aber wenn jemand fragt, dann erzählt er auch von sich und dem Projekt.

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Dass der Syrer überhaupt hier arbeiten und Geld verdienen kann, verdankt er der Aufenthaltserlaubnis, die er seit einem halben Jahr hat. Davor durfte er weder arbeiten, noch an unterstützten Deutschkursen teilnehmen. Innerhalb von nur sechs Monaten hat er so gut Deutsch gelernt, dass die Sprache kein größeres Problem mehr ist. Zugute kam ihm dabei wohl, dass er in seiner Heimat auch schon viel mit Sprache zu tun hatte - als Arabischlehrer.

Er hofft nun, auch in Deutschland bald wieder seiner Profession nachgehen zu können, hat aber hier eine neue Leidenschaft entdeckt: die Gastronomie. Und eine neue Liebe: Berlin. "Das ist eine tolle Stadt", sagt er und seine hellgrauen Augen leuchten, "Es gibt viele junge Leute hier und alle sind freundlich, man kommt leicht in Kontakt." Schlechte Erfahrungen habe er noch überhaupt nicht gemacht. Unterschiede in der Mentalität könne er auch nicht ausmachen. Nur das Wetter, das sei ein bisschen anders als in seiner Heimat Aleppo, lächelt er nachsichtig. Dabei weht ihm Schnee ins Gesicht. Zur Berlinale ist es traditionell besonders eisig in der Hauptstadt.

"Wir kommen nicht hierher, nur um Geld zu bekommen"

Ob Deutschland noch viele Flüchtlinge aufnehmen könne? "Es gibt noch Platz, aber es muss mehr Integrationsarbeit geleistet werden", findet er. Merkel mache ihre Sache gut, aber die Bevölkerung müsse mehr in das Projekt Flüchtlingskrise involviert werden. "Wir haben Krieg, wir brauchen Sicherheit", sagt er, und dass seine Landsleute fleißig seien und gerne arbeiten würden. "Wir kommen nicht hierher, nur um Geld zu bekommen." Viele Syrer würden ihn ständig danach fragen, ob er einen Job für sie hätte. "Die lernen jetzt Deutsch und wollen dann arbeiten." Es müsse mehr Flüchtlingsprojekte wie dieses geben, um Deutschen die Vorbehalte zu nehmen und Syrern die Gelegenheit zu geben, sich vorzustellen.

Sheek und seine Kollegen vom Truck sind nicht die einzigen Flüchtlinge auf der Berlinale. Schulklassen mit syrischen Kindern kommen hier hin, aber auch Ordner und Platzanweiser werden eingesetzt vom Berliner Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge (BBZ) - als Hospitanten. Sie dürfen nur für ein paar Stunden am Tag jobben und können auch oft noch nicht richtig Deutsch. Dennoch soll die Intitiative bei der Integration helfen. 19 Hospitanten im Alter von 18 bis 35 sollen bei dem Großereignis lernen, wie man im Team arbeitet. Berlinale-Besucher können außerdem mit Geflüchteten ins Kino - über das Projekt "Patenschaften für Kinobesuche".

Lob aus Hollywood

Erstmals in seiner Geschichte bittet außerdem die Leitung des Festivals Besucher um Spenden. Unterstützt werden soll damit das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin, das sich um traumatisierte Menschen aus Kriegsgebieten kümmert.​

Den Hollywood-Gästen gefällt das. Nicht nur George Clooney lobte Merkel und die Deutschen auf der Berlinale, sondern jüngst auch Regisseur Michael Moore, der zu seinem Film "Where to invade next" am Mittwochabend wegen einer Lungenentzündung nur per Video und im Bademantel zugeschaltet werden konnte: "Eure Großzügigkeit und Güte gegenüber Flüchtlingen haben mich und Millionen Amerikaner bewegt", sagte er. Er wisse, dass es auch Probleme gebe. Aber der Instinkt vieler sei es, zu helfen - "weitaus mehr, als wir es tun würden". Die USA hätten das Problem größtenteils geschaffen. Viele seien auf der Flucht, weil die USA in diese Gegenden der Welt einmarschiert seien, sie zerstört und verlassen hätten. "Ich möchte sagen als Amerikaner: Das tut mir sehr leid."

Wenn Sheek nach einem Zwölf-Stunden-Tag im Truck abends nach Hause geht, ist er zu geschafft, um sich noch einen Film auf der Berlinale anzusehen. Ein bisschen Glanz und Glamour kriegt er aber trotzdem ab: Wenn er aus dem Truck guckt, vorne links um die Ecke, dann sieht er, wie schwere Limousinen vorfahren, Fans kreischen und Sicherheitskräfte immer wieder für Ordnung sorgen müssen. An genau dieser Ecke betreten die Hollywoodstars die Berlinale.

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