Süddeutsche Zeitung

"Flat Earth Theory":Der Mann, der beweisen will, dass die Erde eine Scheibe ist

Die Erde ist rund? Sehen die Anhänger der "Flat Earth Theory" anders. Der Amerikaner Mike Hughes will zeigen, dass sie recht haben: mit einer Rakete.

Von Titus Arnu

Es ist ein kleiner Sprung für Mike Hughes, aber ein großer Rückschritt für die Menschheit. Jedenfalls gedanklich. Der 61-jährige Kalifornier hüpft aufgebracht vor der Kamera herum, im Hintergrund schimmern rot lackierte Metallteile, die aussehen wie eine Kulisse für einen drittklassigen Science-Fiction-Film. Hughes hat wirre weiße Haare auf dem Kopf, seine Augen rollen aufgeregt hin und her, als wolle er einen irren Wissenschaftler spielen. Er ist wild entschlossen, in diese Rakete zu steigen. Seine Mission: "Ich werde ein für alle Mal die Theorie widerlegen, dass die Erde rund ist."

Was klingt wie ein Flachwitz, ist für Hughes ein wichtiges Projekt. Sein Fluggerät hat er aus Altmetallteilen zusammengebastelt, es verfügt über einen Dampfantrieb. Als Startrampe dient ein umgebautes Wohnmobil. Die Konstruktion wirkt ungefähr so vertrauenserweckend wie das selbstgebastelte Raumschiff des Erfinders Wallace, der mit seinem Hund Gromit im Trickfilm "Alles Käse" zum Mond fliegen will. Doch Hughes ist keine Filmfigur, er ist Stuntman, selbsternannter Raketenwissenschaftler und Limousinen-Chauffeur - und er meint es ernst.

Er will sich in seiner Höllenmaschine von der Mojave-Wüste bei Las Vegas aus in den Himmel schießen lassen und oben Beweisfotos machen. Dann will er an einem Fallschirm zurück zu seinem vermeintlich scheibenförmigen Heimatplaneten schweben und "die Wahrheit" bekannt geben. So weit der Plan.

Droht ein Rückfall in ein steinzeitliches Weltbild, mehr als zwei Jahrtausende nach Pythagoras und Aristoteles, die schon davon ausgingen, dass die Erde eine Kugel ist? Dafür müsste die Mission erst mal gelingen. Der erste Starttermin am Wochenende fiel flach. Den Behörden war aufgefallen, dass Hughes gar keine Genehmigung für einen Raketenstart auf öffentlichem Gelände besitzt. Nun will er es von einem privaten Grundstück aus noch mal versuchen, und zwar am kommenden Montag. Falls beim nächsten Mal technisch alles rundläuft, was keinesfalls sicher erscheint. Die mobile Raketenrampe brach beim ersten Versuch schon auf dem Weg zum Startgelände zusammen.

Ist der Raketenmann vielleicht Satire?

Amerikanische Medien nennen den tollkühnen Mann in der fliegenden Kiste nur "Mad Rocketman", verrückter Raketenmann. Das hat sich Hughes größtenteils selbst zuzuschreiben. Seine Website heißt madmikehughes.com, und was er dort in Videostatements so von sich gibt, klingt ziemlich durchgeknallt. "Zwischen Wissenschaft und Science-Fiction ist kein Unterschied", meint er. Eine Rakete selber zu bauen und zu starten, sei kein Hexenwerk: "Ich kenne mich mit Aerodynamik aus und Strömungslehre, ich weiß also, wie sich Dinge durch die Luft bewegen." Aber das beweise eben noch lange nicht, dass die Erde eine Kugel sei.

Ist der Raketenmann vielleicht Hauptdarsteller einer gut gemachten Satire-Aktion? Könnte sein, andererseits wird das Land, in dem Hughes lebt, von einem Präsidenten regiert, der Belgien für eine "wunderschöne Stadt" hält und den Chinesen vorwirft, sie hätten die globale Erwärmung erfunden. Nicht wenige Amerikaner behaupten, die Erde sei vor ziemlich genau 6000 Jahren von Gott erschaffen worden, und die Dinosaurier seien nicht vor vielen Millionen Jahren ausgestorben, sondern vor 4000 Jahren in der Sintflut ertrunken. Noch vorsintflutlicher als manche Kreationisten sind die Anhänger der "Flat Earth Theory" drauf. Sie halten nicht nur die Mondlandung für eine Verschwörung, sondern das gesamte moderne Weltbild.

Mad Mike schwingt sich nun zur Galionsfigur dieser flachsinnig denkenden Eiferer auf, auch weil er auf deren Fördermittel für die 20 000 Dollar teure Mission angewiesen ist. Er hat bereits einige Achtungserfolge vorzuweisen, allerdings eher in horizontaler Hinsicht. Laut Guinnessbuch der Rekorde flog er beispielsweise im Jahr 2002 mit einer Lincoln-Stretchlimousine 31 Meter weit - Weltrekord.

600 bis 1000 Meter hoch will er nun mit seinem Dampfraumschiff aufsteigen. Nur: Selbst wenn er sogar doppelt so hoch käme, was würde das für Erkenntnisse bringen? Jedes Verkehrsflugzeug fliegt zehnmal höher. Und Beweise für die Kugelgestalt der Erde existieren sowieso genügend. Täglich umkreisen 1459 Satelliten die Erde, von der Raumstation ISS ist sie als blau-weiße Kugel zu sehen. Eine Webcam zeigt unseren Planeten aus 400 Kilometern Höhe.

Hughes müsste es in den Orbit schaffen

Könnte alles ein Fake sein, argumentieren die Anhänger der Flat-Earth-Bewegung. Die Flat Earth Society hat eigenen Angaben zufolge in den vergangenen Jahren starken Zulauf bekommen, viele neue Mitglieder stammen aus dem amerikanischen Bible Belt, vor allem aus dem extrem flachen Mittleren Westen. Eine obskure "Flat Earth Research Group" unterstützt das Unternehmen von Mad Mike mit 8000 US-Dollar. Die pseudowissenschaftliche Vereinigung veröffentlicht angebliche Beweise dafür, dass die Erde eine Scheibe ist, und versucht in Youtube-Filmchen darzulegen, dass die Nasa systematisch lügt. Ihrer Meinung nach ist die Erdscheibe übrigens von einem Eiswall begrenzt, damit die Schiffe nicht über den Rand ins Bodenlose stürzen.

Um seine Theorie zu beweisen, dass die Erde aussieht wie eine Pizza, müsste Hughes in den Orbit gelangen. Von diesem Traum ist er allerdings meilenweit entfernt. Erst mal muss er sicher starten und wieder heil zur Erde zurückkehren, was angesichts der Rahmenbedingungen nicht wirklich garantiert ist. Bei einem Testflug im Jahr 2014 in einer anderen Rakete erreichte er eine Höhe von 400 Metern und verbrachte anschließend drei Tage im Krankenhaus. Die extreme Beschleunigung hatte seinem Körper arg zugesetzt.

Falls die Mission positiv endet, will er sich direkt nach der Landung dem nächsten Ziel widmen. Es hört sich ebenfalls ehrgeizig und ein ganz kleines bisschen abgehoben an: Mike Hughes will sich zum Gouverneur von Kalifornien wählen lassen.

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SZ vom 01.12.2017/csi
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