First Ladies:Das weibliche Korrektiv

Österreichs Wahlgewinner Sebastian Kurz präsentiert sich neuerdings händchenhaltend mit seiner Freundin. Warum interessieren uns "First Ladies" so viel mehr als "First Gentlemen"? Ein Erklärungsversuch.

Von Martin Zips

"Kinder?" "Definitiv. Irgendwann." Das ist, man muss es an dieser Stelle vom eigenen Voyeurismus leicht angewidert feststellen, das Intimste, was in dieser Angelegenheit zu erfahren ist. Gestellt wurde die Kinder-Frage vor einiger Zeit im österreichischen Radiosender Ö 3. Geantwortet hat Sebastian Kurz, 31, und möglicherweise bald jüngster Regierungschef Europas. Nicht dabei war: Susanne Thier, 30, von der die Fachpresse zu wissen glaubt, sie sei bereits seit Schulzeiten die Freundin des ÖVP-Politikers, wohne mit ihm in einer 65-Quadratmeter-Wohnung im "Wiener Arbeiterbezirk" Meidling, habe Wirtschaftspädagogik studiert und arbeite im Finanzministerium. Im Prinzip könnte das von Bludenz bis Katzelsdorf jedermann völlig egal sein, wenn nicht Thier womöglich bald ein Amt bekleiden würde, welches die Welt seit Martha Washington "First Lady" nennt.

Aber jetzt herrscht erst einmal große Erleichterung: "Mit diesem Pärchen-Posting zeigen sie der Welt ihre Liebe!", freute sich zum Beispiel die Bunte gerade über das erste Instagram-Bild, auf dem sich Kurz händchenhaltend mit Freundin zeigt. Es wurde ja auch Zeit. Und Gala weiß: "Die geliebten Eiernockerln müssen vermutlich immer öfter aufwendigen Menüs weichen." Die Trudeaus in Kanada machen es vor, wie man sich in der Öffentlichkeit inszeniert. Nur: Wo war eigentlich Inge Schulz im Wahlkampf ihres Mannes Martin?

Austria Holds Legislative Elections

„Alles andere wäre ja auch schwierig für eine konservativ-katholische Partei“: Susanne Thier zeigt sich am Wahlsonntag öffentlich mit Sebastian Kurz.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

"Frauen werden in unserer Gesellschaft noch immer mehr als das Anhängsel ihrer Männer betrachtet als umgekehrt", weiß Maria Mesner vom Referat Genderforschung der Universität Wien. "Und wenn sich ein Politiker wie Sebastian Kurz ganz bewusst händchenhaltend mit seiner Freundin präsentiert, so könnte das zum Beispiel bedeuten: Schaut her, ich bin heterosexuell. Alles andere wäre ja auch schwierig für eine konservativ-katholische Partei. Außerdem zeigt er: Ich bin ein Familienmensch. Von mir geht gar keine Gefahr aus." Kinder? Definitiv. Irgendwann. Aber wie ist es bei den First Gentlemen?

In Europa zählt man ein halbes Dutzend männliche Anhängsel weiblicher Staatsoberhäupter und Regierungschefs. Doch der öffentliche Druck, sich an der Seite ihrer Partner(innen) zeigen zu müssen, wirkt deutlich geringer als bei den First Ladies. Was interessiert einen auch schon ein Quantenchemiker, solange dessen Frau als Bundeskanzlerin ihren Job gut macht? Und möchte wirklich jemand wissen, dass die britische Premierministerin ihren Mann einst in einer von der konservativen Partei veranstalteten Studentendisco kennengelernt hat? Nichts anderes hatte man ja erwartet. Ach ja, der Mann der kroatischen Präsidentin (Kolinda Grabar-Kitarović) lässt übrigens schon seit 2008 seine Professur an der Seefahrt-Fakultät in Rijeka zugunsten der Karriere seiner Frau ruhen. Alles ganz ähnlich wie bei den Steinmeiers und Büdenbenders im Bellevue also. Und doch anders.

"Drängt sich ein Ehemann oder Lebensgefährte einer Politikerin zu sehr in den Vordergrund", meint Rolf Pohl, Sozialpsychologe an der Uni Hannover, "so irritiert uns das. Denn Männer als Beute von Frauen, das passt gar nicht in unser sehr männlich geprägtes Ordnungsschema. Doch ob eine First Lady eher hübsch wirkt wie Melania Trump, selbstbewusst wie Hillu Schröder oder interessant wie Brigitte Macron - das interessiert uns schon. Weil das etwas darüber aussagen könnte, was der Mann für ein Machtverständnis hat. Und bei männlichen Politikern sehen wir die Notwendigkeit, dass sie ein weibliches Beiwerk brauchen, als deutlich notwendiger an, als dass weibliche Politiker ein männliches Beiwerk brauchen." Stichwort: weibliches Korrektiv.

Der bolivianische Präsident Evo Morales betont zum Beispiel gerne, dass - er selbst ist Single mit drei Kindern von drei Frauen - seine Schwester Esther für das Amt der First Lady am besten geeignet sei. Und von Jacob Zuma wurde einst verlangt, dass er als südafrikanischer Präsident nur eine seiner drei Frauen zur First Lady erklären darf. Das Volk möchte halt wissen, wer - wie US-Präsidenten-Gattin Mamie Eisenhower sagte - daheim "die Koteletts wendet". Ist es nicht beruhigend, dass der chinesische Präsident Xi Jinping seit mehr als 30 Jahren mit der Schlagersängerin Peng Liyuan verheiratet ist? Die wird ihn bestimmt besänftigen, wenn er sich mal über Washington aufregt. Nur: Gibt es derzeit auch jemanden, der Wladimir Putin abends ein Liedchen vorsingt? Die Bodenturnerin Alina Kabajewa zum Beispiel? Und ist Kim Jong-uns Ehe nicht vielleicht doch Propaganda? Man weiß es nicht.

Da ist es schon sehr tröstlich, wenn sich Susanne Thier mal kurz an der Hand ihres Lebensgefährten zeigt. Allein eine Sache irritiert: Auf Fotos sieht Susanne nämlich fast identisch aus wie Philippa, 29, Ex-Model und sehr das Rampenlicht suchende Ehefrau von Heinz-Christian Strache, dem rechten FPÖ-Populisten, mit dem Kurz koalieren könnte. Nationalstramme Politiker und blonde Frauen - das ist schon auch eine Geschichte. Definitiv.

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