Findige Verbrecher:Wie Zwillingspaare die Justiz täuschen

Findige Verbrecher: Das Verbrecher-Duo Ronnie und Reggie Kray beherrschte in den 1960er-Jahren die Londoner Unterwelt. Sie erpressten, morderten und gaben sich gegenseitig falsche Alibis.

Das Verbrecher-Duo Ronnie und Reggie Kray beherrschte in den 1960er-Jahren die Londoner Unterwelt. Sie erpressten, morderten und gaben sich gegenseitig falsche Alibis.

(Foto: imago sportfotodienst)

Für Verbrecher ist es praktisch, einen Doppelgänger zu haben. Aktuell kämpft ein Gericht in Hamburg mit einem Fall genetischer Verwirrung.

Von Sebastian Herrmann

Schießerei in Hamburg, das 29-jährige Opfer überlebt nur knapp. Blutend gelingt es ihm, mit dem Auto zu fliehen und zur Polizei zu fahren. Das Opfer und der 35-jährige mutmaßliche Schütze hatten sich um eine Prostituierte gestritten, die für die Männer anschaffen ging, die Auseinandersetzung eskalierte, das war im März 2015. In dieser Woche nun wollte das Landgericht Hamburg ein Urteil verkünden. Doch dann erreichte ein Fax das Gericht, und der Prozess geriet ein wenig durcheinander: Der Zwillingsbruder des Angeklagten hatte geschrieben. Und die Schuld seines Bruders zurückgewiesen.

Der eineiige Zwilling als kriminalistische Ausrede und Alibi klingt auf der einen Seite schon sehr nach "Hanni und Nanni", nach Regionalkrimi und platten Verwechslungskomödien - und wird doch erstaunlich oft eingesetzt. Im Zweifel für den Angeklagten? Im Zweifel für den Zwilling bietet bessere Chancen. Und wenn die Doppelgänger-Nummern in die Hose gehen, produzieren sie immerhin noch kuriose Geschichten. Zeit für eine kriminalistische Familienaufstellung.

Plötzlich meldet sich der Zwillingsbruder per Fax beim Gericht

Beim Prozess im Hamburg kam der Zwillingsbruder spät ins Spiel. Erst am 29. Verhandlungstag habe der Angeklagte erklärt, nicht er, sondern sein Bruder habe geschossen, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. Er selbst, so der Angeklagte, sei zwar am Tatort gewesen, habe aber nicht gefeuert. Und der auf diese Weise beschuldigte Zwilling? Wollte nicht aussagen und war nicht auffindbar. Nun das Fax: Darin schreibt er, dass sein angeklagter Bruder die Tat nicht begangen habe, und er selbst bereit sei, auszusagen. Zur eigenen Rolle äußert er sich im Fax nicht. "Das Gericht muss dem nun nachgehen", sagt Wantzen.

Mit eineiigen Geschwistern ist es für die Justiz oft komplizierter als mit zwillingslosen Verdächtigen. Das berühmteste eineiige Verbrecher-Duo waren wohl die ebenso berüchtigten wie schillernden Kray-Zwillinge Reggie und Ronnie, Spitzname "double trouble", die in den 1960er-Jahren die Londoner Unterwelt beherrschten und gleichzeitig als Nachtklubbesitzer beste Kontakte zu Politikern und Prominenten wie Frank Sinatra oder Judy Garland unterhielten. Raubüberfälle, Schutzgelderpressungen und mindestens zwei Morde gingen auf ihr Konto, mehrmals verschafften sie sich gegenseitig Alibis. Scotland Yard konnte sie dank der akribischen Arbeit eines Ermittlers schlussendlich doch überführen, sie erhielten lebenslange Haftstrafen. In der Erinnerung wurden sie zu Helden verklärt, zu den Beerdigungen der Brüder in den Jahren 1995 und 2000 kamen Zehntausende Schaulustige.

Oftmals kommen Zwillingsganoven aber ungeschoren davon. Vor sieben Jahren zum Beispiel, da stahlen Unbekannte Schmuck von Millionenwert aus dem Kadewe in Berlin. Bei der Tat verloren die Diebe einen Handschuh, an dem Gerichtsmediziner DNA-Spuren entdeckten. Dummerweise passten diese zu einem Zwillingspaar: Hassan und Abbas O., mindestens einer war also am Tatort gewesen. Aber welcher? Weil sich das nicht zweifelsfrei feststellen ließ, hieß es: Im Zweifel für den Angeklagten. Die Brüder kamen frei, die Beute blieb verschollen.

Eineiige Zwillinge sind genetisch nahezu identisch. Doch sind sie keine absolut exakten Kopien voneinander. Seit wenigen Jahren ist es möglich, DNA-Spuren einem Zwilling zuzuordnen. Doch dieser Test ist um ein Vielfaches teurer als ein gewöhnlicher Gentest. Hätte es damals diese Technik schon gegeben, beim Juwelendiebstahl im Kadewe wären die Kosten zu rechtfertigen gewesen. Genauso etwa bei einer Serie von sechs Vergewaltigungen in Südfrankreich, bei der DNA-Spuren auf ein eineiiges Bruderpaar als Täter hinwiesen. Bei weniger schweren Delikten wiegt das öffentliche Interesse an Aufklärung gegenüber den Kosten eben geringer.

Frisuren oder Tattoos können Schummler überführen

Dabei ergeben sich dann zum Beispiel Possen wie in München im Oktober 2015, als der Gastronom Paul Pongratz mit seinem Zwillingsbruder Peter vor Gericht erschien, um die Frage zu erörtern, welcher der beiden die Haare eher zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt. Denn ein Mann mit Zopf hatte an einer Tankstelle das Benzin nicht gezahlt. Ob das nun Peter oder Paul auf dem Überwachungsvideo war? Das konnte auch unter Einsatz von Haargummis nicht einwandfrei geklärt werden. Im Zweifel für den Zwilling. Die Brüder wurden freigesprochen.

Oft entscheiden Details darüber, ob eine Schummelei auffliegt. In Südafrika täuschte einmal ein Brüderpaar die anderen Teilnehmer eines Langstreckenlaufs. Sie wechselten sich ab und erzielten eine gute Platzierung, Preisgeld inklusive. Es existierten jedoch mehrere Fotos: Auf den einen trug der Läufer eine gelbe Uhr an der rechten, auf den anderen eine pinke Uhr an der linken Hand. Klingt nach der Auflösung eines mäßigen Kriminalromans, hat sich aber tatsächlich so zugetragen. Die Brüder wurden disqualifiziert - das Preisgeld hatten sie schon ausgegeben.

Ein anderes Detail verriet Jared und Joe, eineiige Zwillinge aus den USA. Jared hatte Sex mit der Affäre seines Bruders Joe - doch dann erschrak die Frau, als sie den makellosen Hintern des Mannes bei sich im Bett erblickte. Ihr Liebhaber Joe trug nämlich eine Cowboy-Tätowierung auf einer Gesäßbacke, dieser Po jedoch war unverziert. Da wurde ihr klar, dass sie gerade mit dem Bruder ihrer Affäre geschlafen hatte. Von da an muss die Situation vollends hässlich geworden sein, denn die Sache landete vor Gericht.

US-Radprofi Tyler Hamilton erfindet Zwillingsbruder

Selbst fiktive Zwillinge werden als Ausrede für Vergehen herangezogen. Der US-Radprofi Tyler Hamilton naschte im Laufe seiner Karriere, wie so viele seiner Kollegen, an verbotenen, leistungssteigernden Substanzen. Der Olympiasieger von 2004 wurde bei einer Kontrolle mit fremdem Blut in den Adern erwischt. Fremdes Blut? Betrügerische Profis versuchen mit der Hilfe von Transfusionen den Anteil roter Blutkörperchen in ihrem Blut zu erhöhen. Klingt gruselig, ist es auch - aber noch besser war die Ausrede, die Hamilton präsentierte, als eine seiner Proben auffiel. Das Blut stamme von einem verschwundenen Zwilling. Im Mutterleib habe der fötale Tyler noch einen Zwilling gehabt. Dieser sei jedoch vor der Geburt gestorben - und der Körper des künftigen Radprofis habe dessen Blutzellen resorbiert; und er könne ja nun wirklich nichts dafür, wenn diese Zellen des Phantombruders heute im Sportlerkörper Blut produzieren. Alles klar? Genutzt hat es Hamilton nicht.

Nicht jeder kann sich eben so auf seinen Zwilling verlassen wie der Amerikaner Ronald Anderson. Sein Bruder Donald löffelte stets die Suppe aus, die Ronald ihm eingebrockt hatte. Alles fing in den 1970er-Jahren an, als Ronald eine Ausbildung zum Helikopter-Mechaniker bei den US-Streitkräften gemacht hatte, dann aber nicht nach Korea versetzt werden wollte. Da ging halt der Bruder für ihn Hubschrauber in Asien reparieren. Später saß Donald für seinen gewalttätigen Zwilling mehrere Haftstrafen ab. Sein Bruder sei zu weich für den Knast, da sei eben er gegangen, wurde Donald später zitiert. Die Sache flog auf, als Donald mal wieder als Ronald im Gefängnis saß. Und der echte Ronald wegen weiterer Gewalttaten verhaftet wurde. Alles geht Zwillingen eben nicht durch, auch wenn sie vor Gericht vielleicht einen kleinen Vorteil genießen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: