Filmgeschichte:Hildes Halle

Vor 66 Jahren ließ Hildegard Knef im niedersächsischen Bendestorf für ihren berühmtesten Film die Hüllen fallen. Heute steht das "Hollywood der Heide" vor dem Abriss.

Von Lennart Herberhold

Es riecht nach faulem Holz. Unter der Decke hängt noch ein Scheinwerfer. Irgendwo in dieser Halle muss es gewesen sein: der Garten mitsamt Teich. Der Sonnenschirm. Und darunter die Knef. Nackt. Bereit für die Filmgeschichte. Jeder, der sich auch nur ein bisschen für Film interessiert, hat schon mal von der "Sünderin" gehört, von den berühmtesten Sekunden des deutschen Nachkriegskinos, vom Beginn des Mythos Hildegard Knef. Aber man muss sich schon sehr intensiv mit dem deutschen Film beschäftigt haben, um mit dem Namen Bendestorf etwas anfangen zu können. Geiselgasteig? Klar! Babelsberg? Sicher! Aber Bendestorf? Hier, in der nördlichen Lüneburger Heide, verfällt das Filmstudio, in dem die Knef die Hüllen fallen ließ. Hier wartet ein Stück wilde deutsche Filmgeschichte, umgeben von gediegenen Einfamilienhäusern, auf den Abriss. "Das ist einer der Fälle, über die man nicht glücklich ist", heißt es beim niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege. Aber machen könne man nun nichts mehr.

Die Künstler feierten oft nächtelang, und dazwischen spielten die Dorfkinder

Rückblende. Kurz nach Kriegsende ist Bendestorf ein Nest. Die Kriegsflüchtlinge, die zu Hunderten hier landen, machen die alteingesessenen Bauern nervös. Unter den Geflüchteten ist der Mann, der aus dem Nest eine Traumfabrik machen wird: Rolf Meyer, vor Kurzem noch Drehbuchautor in Berlin, will um jeden Preis Filme machen, und warum nicht hier, in der Lüneburger Heide? Im Auftrag der Alliierten beginnt er mit Kurzfilmen, die den Deutschen ein bisschen Demokratie beibringen sollen. Im größten Gasthof des Ortes, "Zum Schlangenbaum", dreht er seinen ersten Spielfilm. Und 1948 gründet er die Filmstudios Bendestorf.

Was Rolf Meyer dort produzierte, ist ein Spiegel deutscher Nachkriegsbefindlichkeiten. In den ersten Filmen ging es um verletzte, aber aufrechte Kriegsheimkehrer, die vergessen wollten, und um junge Leute, die endlich anfangen wollten, mit dem Leben nämlich. Dann produzierte Meyer Operettenfilme, Liebesschnulzen und biedere Komödien, in denen junge Frauen ermahnt wurden, die Brille abzunehmen, um ihren Verlobten nicht zu verschrecken. Und zwischen verletzten Männern und verzagten Mädchen: die Knef.

Filmgeschichte: Der Filmproduzent Rolf Meyer, kurz zuvor aus Berlin nach Bendestorf geflohen, machte aus dem Nest eine Traumfabrik.

Der Filmproduzent Rolf Meyer, kurz zuvor aus Berlin nach Bendestorf geflohen, machte aus dem Nest eine Traumfabrik.

(Foto: Cine Art Reproductions)

"Ich sah sie manchmal über den Hof schweben, den Kopf immer gesenkt", erzählt Monika Götz, deren Vater damals Studiotechniker war. 25 Jahre war Hildegard Knef alt, als sie 1950 in Bendestorf "Die Sünderin" drehte. Abends, wenn Regisseur Willi Forst und Produzent Rolf Meyer sich im Produzenten-Kino das frisch gedrehte Material anschauten, war das Studiogelände gähnend leer, erinnert sich Monika Götz. "Alle wollten einen Blick auf die Leinwand erhaschen." Denn die "Sünderin" hatte schon vor Drehbeginn für Aufregung gesorgt: Eine ehemalige Edel-Prostituierte verliebt sich in einen verkrachten Maler und liegt ihm nackt Modell. Als er zu erblinden droht, will sie sich wieder prostituieren, um ihm eine Operation zu bezahlen. Als er dann wirklich erblindet, hilft sie ihm, sich umzubringen. Und dann tötet sie sich selbst. Für einen saftigen Kinoerfolg war das mehr als genug. Für die evangelische und die katholische Kirche war es viel zu viel. Der Kölner Erzbischof rief zu "Selbsthilfe" auf, Stinkbomben flogen in Kinos, Flugblätter warnten vor einem "Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau".

In Bendestorf selbst blieb man gelassen, und ein Kino, wo man den Film hätte sehen können, gab es auch nicht. "Wir wurden ja das sündige Dorf genannt", erinnert sich Marianne Dermühl, die im Gasthof "Schlangenbaum" direkt neben dem Studio zur Welt gekommen war und als Kind immer mal wieder durch Heimatfilme huschen durfte. "Wir hatten hier immer eine Spielhalle und ein Bordell, und eine Schwulenbar gab es auch, die hat sich lange gut gehalten." Dermühl erinnert sich an nächtelang feiernde Künstler, zwischen denen die Dorfkinder spielten. Marika Rökk, heißt es, steppte auf dem Wirtshaustisch. Und Johannes Heesters schwärmte von der "einmaligen Mischung aus Aufbruchstimmung und dörflicher Geborgenheit". Bendestorf habe den Studios "fast alles" zu verdanken, findet Marianne Dermühl: den Zeitschriftenruhm, die Arbeitsplätze, die neuen Einwohner. Viele Hamburger hätten in dem idyllischen Dorf Autogramme gesammelt und dann ein Haus gebaut.

Viele, die heute in diesen Häusern wohnen, haben allerdings keine Lust mehr auf die alten Studios. Der Bürgermeister von Bendestorf ist einer von ihnen. Hans-Peter Brink ist erstaunt, man könnte auch sagen leicht entnervt, wenn man ihn nach den alten Studios fragt. Als Kind war er Statist in einem der Filme, irgendwas mit einem Dorfschullehrer, 20 Mark gab es dafür. Sicher, er werde auch ein bisschen traurig sein, wenn die Studios wie geplant Anfang März abgerissen werden, sagt er, aber: "Wir wollen neue Wohnbebauung schaffen." Und dafür müssen die Hallen weg.

Filmgeschichte: In "Hildes Halle" wurde "Die Sünderin" mit Hildegard Knef gedreht.

In "Hildes Halle" wurde "Die Sünderin" mit Hildegard Knef gedreht.

(Foto: Herberhold)

Der Besitzer des Geländes spricht von Sentimentalitäten und kaufmännischem Sinn

"Das wäre ein Kulturfrevel, der nicht wieder gut zu machen ist", warnt Walfried Malleskat vom Freundeskreis Filmmuseum Bendestorf e. V. Der Vorsitzende des Vereins versucht zu retten, was vom alten Glanz zu retten ist. Er kämpft wacker, aber auf ziemlich verlorenem Posten. Der Gemeinderat hat einen Bebauungsplan beschlossen, der den Abriss sämtlicher Studiogebäude vorsieht. Die niedersächsischen Denkmalpfleger zucken bedauernd mit den Schultern. Der Besitzer des Geländes spricht von Sentimentalitäten und von dem, was kaufmännisch Sinn ergibt. Tatsächlich stehen die Studios seit der Jahrtausendwende leer. Der Gründer Rolf Meyer ging bald nach der "Sünderin" pleite. Die Hallen wurden nur noch sporadisch angemietet, für Werke wie "Klein-Erna auf dem Jungfernstieg", dann für Werbefilmchen und TV-Spielshows. Und dann war endgültig Schluss.

Das ehemalige Produzenten-Kino hat der Verein von Walfried Malleskat für 120 000 Euro kaufen können, immerhin. Ein kleines Museum erinnert jetzt an die goldenen Jahre. "Aber das ist nur eine halbe Sache", klagt Malleskat. Die Halle A1, mit der alles begann, müsse gerettet werden. Nur so könnten Besucher einen richtigen Eindruck davon bekommen, wie in Bendestorf Filme gemacht wurden. Von einem Kulturzentrum träumt Malleskat, und dass junge Leute ihre ersten Kurzfilme in Bendestorf drehen könnten.

Ob dafür Geld da sein wird, ist fraglich. Und selbst das kleine Museum scheint dem Gemeinderat schon zu viel zu sein. Tatsächlich spricht der Bürgermeister, wenn man ihn nach dem Museum und den Plänen für ein Kulturzentrum fragt, viel von Lärmemission. Die Nachbarn von Hildes Halle haben offenbar Angst vor den wilden Partys, die Museumsbesucher und Jungfilmer hier feiern könnten. Als Bendestorf groß wurde, sah man das mit den Partys ganz anders. Und das war in den angeblich prüden Fünfzigern.

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