Süddeutsche Zeitung

Film über Natascha Kampusch:Nichts ist mehr privat

Österreich hyperventiliert: Am Montag kommt der Film über Natascha Kampuschs Jahre im Verlies in die Kinos.Warum bloß tut sich das einstige Entführungsopfer den Rummel an? Der Mythos der starken Überlebenden wankt.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Am Montag ist Weltpremiere, Natascha Kampusch wird anwesend sein. Es dürfte sie Kraft kosten, sich dem Trubel, den Fotografen zu stellen, immerhin hat sie in der Kronenzeitung angedeutet, dass es sie schon Kraft koste, einkaufen zu gehen. Es wird ein Auftrieb sein in Wien, wie ihn Österreichs Filmwelt lange nicht gesehen hat; die Medien hyperventilieren seit Wochen. Deutschland rennt in voyeuristischer Begeisterung hinterher, Bild ist im Kampusch-Fieber, Talkshows und Magazine hatten sich zuletzt um sie gerissen. Der Trailer zum Film, ihrem Film, läuft in allen Kinos. "3096 Tage" wird er heißen, wie ihr Buch, damit auch der letzte Ignorant die Verbindung herstellen kann zwischen Frau, Buch, Film und Schicksal. Warum sie sich das antut? Man weiß es nicht.

Bisher, wenn die 25 Jahre alte Wienerin sich in die Öffentlichkeit wagte, waren es quasi begleitete Auftritte, ihre Medienbetreuer waren dabei, oder sie sprach einzeln mit Journalisten, denen sie zu vertrauen beschlossen hatte. Mit ihrer dünnen, fast tonlosen Stimme gab sie dann sehr dosiert Einzelheiten aus dem Verlies preis, in dem sie ihr Entführer, Wolfgang Priklopil, acht Jahre lang versteckt hatte; es war ein physisches Verlies gewesen und auch ein seelisches.

Die Geschichte ist seit ihrer Selbstbefreiung 2006 bekannt, Kampusch selbst hat sie erzählt, und jedes Mal hat sie ein bisschen mehr gesagt darüber, wie es war mit einem Mann, der sie wie eine Sklavin hielt und doch ihr Freund sein wollte, irgendwie. Es ist die Geschichte, über die Kampusch - entführt 1998 als Zehnjährige, gequält, ab und zu hinausgelassen an die Luft - bisher die Deutungshoheit hatte. Trotz der bösen Kommentare im Netz. Und der ekelhaften Kampusch-Witze. Das konnte überhören, wer ihr zuhören wollte.

Aber Filme sind mächtiger als Worte. Und der spektakuläre Entführungsfall, der das Bild Österreichs in der Welt ebenso prägte wie später der Fall des monströsen Vaters Josef Fritzl aus Amstetten, wird aus Phantasien bestehen, die bei der Constantin erdacht wurden. Natürlich werde "3096 Tage" die Realität neu prägen, bestätigt Drehbuchautorin Ruth Toma. "Bilder überlagern die Wahrnehmung - vielleicht irgendwann sogar die innere Wahrnehmung von Frau Kampusch selbst." Die Hamburgerin hat das Drehbuch fertiggestellt, das Bernd Eichinger als Fragment hinterlassen hatte. Kampusch, sagt Toma, habe den Film nicht "abgenommen", also freigegeben, aber sie durfte das Drehbuch lesen. "Und natürlich haben wir es als Pflicht verstanden, ihr gerecht zu werden."

So erfunden wie verstanden

Bei Günther Jauch hatte Kampusch vor einer Woche gesagt, sie habe die Sex-Szenen, an denen sich jetzt der Boulevard ausgiebig delektiert, nicht "verhindern" können. Toma räumt ein, man habe - in dem Wissen, dass sie darüber nicht reden wolle - die Szenen "so erfunden, wie wir sie verstanden haben". Offenbar ist das gelungen. Dabei hatte Kampusch immer betont, die Nicht-Beantwortung der Frage nach erzwungenem Geschlechtsverkehr sei der letzte Rest Privatheit, der ihr geblieben sei.

Jetzt ist nichts mehr privat. Gut möglich, dass die Österreicherin das als Teil einer Bewältigungsstrategie betrachtet, um mit dem Trauma der achtjährigen Einkerkerung leben zu können. Und mit der PTBS, der posttraumatischen Belastungsstörung, die Entführungsopfer ebenso einholt wie Folteropfer. Kampusch wird zwar nicht müde zu betonen, sie sei kein Opfer. Das sagt sie seit ihren ersten Interviews nach der Flucht. Das sagt auch Drehbuchautorin Ruth Toma: "Erst dachte ich, mir ist der Stoff zu traurig, zu gruselig. Aber das stimmt ja gar nicht. Es ist die hoffnungsvolle Geschichte einer Frau, deren Wille zur Selbstbehauptung zu groß ist, um ihn zu unterdrücken."

Klingt schön. Aber wer der schüchternen Wienerin aus der Ferne und der Nähe zuhörte, musste einen anderen Eindruck bekommen. Da redet keine selbstbewusste Persönlichkeit voller Zuversicht, sondern eine Frau, die ihre Ausbildung als Goldschmiedin abgebrochen hat. Die sich Fische zugelegt hat, weil die nicht reden. Die sich eine Partnerschaft mit einem Mann nur schwer vorstellen kann, "Grusel", sagt sie dazu wörtlich. Sie fühle sich, als lebe sie in einem "dicken, unangenehm kratzenden Pullover". Sie sei "reizüberflutet". Ein Studium schaffe sie noch nicht, das Hirn spiele nicht mit. Sie habe kein Gefühl für Hunger oder Sättigung. Gehe zweimal in der Woche zur Therapie.

Alles andere wäre auch verwunderlich, nach allem, was diese Frau durchgemacht hat. Aber der Mythos von einer starken, siegreichen Überlebenden, der sie hatte schützen sollen vor den Zumutungen einer aggressiven Umwelt, der wankt.

Daran hatten Behörden und Politik keinen geringen Anteil. Wieder und wieder wurde der Fall aus den Archiven gezerrt, die Einzeltätertheorie wurde infrage gestellt. Vor etwa einem Jahr untersuchte ein Parlamentsausschuss die Causa, Kampusch sah sich gezwungen, an die Öffentlichkeit zu gehen und Vorwürfe, sie behalte Wissen für sich, zu dementieren. "Das ist demütigend", sagte sie damals.

Mittlerweile untersucht ein Cold-Case-Team, an dem FBI und BKA mitwirken, noch einmal die Akten. Das Ergebnis hätte im Dezember vorliegen sollen. Eine Routine-Nachfrage der SZ beim Innenministerium im Januar ergab, dass frühestens im März mit einem Bericht zu rechnen sei; Subtext der Information war, dass man diesmal alles so wasserdicht haben wolle, dass um Gotteswillen nicht wieder irre Gerüchte und Verdächtigungen auftauchen.

Die Regierung hatte, damit endlich Ruhe ist, Ausländer gebeten, die Arbeit der heimischen Polizei und Staatsanwaltschaft zu prüfen. Nun ist es eine deutsche Filmfirma, die einen Film über die Entführung der Natascha Kampusch zeigt, unter anderem mit britischen Schauspielern. Es ist, als traute sich das Land die Bewältigung nicht allein zu. So wie auch Natascha Kampusch ihre Geschichte schließlich in fremde Hände gegeben hat.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2013/leja
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