Süddeutsche Zeitung

Tiere als Filmstars:Der Kniff mit der Klickermethode

615 Euro für das getötete Filmhuhn Sieglinde: Ist das angemessen? Und: Sind Hühner dümmer als Papageien? Ein Besuch bei Aurelia Franke-Hornung, die Kleintiere für den großen Auftritt trainiert.

Von Alexander Menden, Kalkar

Zum Transport kommt Karl-Heinz in eine Plastikkiste, was ihn aber nicht weiter zu stören scheint. Karl-Heinz ist eine entspannt wirkende Bartagamen-Echse, und in die Kiste muss er umziehen, weil er gleich einen Termin mit dem Dschungelkönig Prince Damien bei RTL in Köln hat. "Soll eine Überraschung werden", sagt Aurelia Franke-Hornung. "Der mag anscheinend Reptilien."

Karl-Heinz ist nur eins von vielen Tieren, die Aurelia Franke-Hornung im Erdgeschoss ihres zum Kleinzoo umgebauten Einfamilienhauses am Niederrhein hält: Neben seinem Terrarium säumen weitere beheizte Glaskästen mit diversen Reptilien eine Wand des Wohnzimmers. In dessen Mitte balgen sich drei Mopswelpen. Eine schwarze Katze schleicht durch den Flur. Weitere Hunde wurden für die Dauer des Gesprächs hinter die Anrichte verbannt, an deren Rand Vogelspinne Smitti in ihrem Terrarium hockt. Auf der Fahrerkabine eines großen hölzernen Feuerwehrautos mümmelt ein Zwergkaninchen in seinem Käfig vor sich hin. "Das Kaninchen hat schon mit Mirja Boes gedreht", sagt Aurelia Franke-Hornung. Sie sagt das nicht ohne Stolz, Mirja Boes ist eine Komikerin, die regelmäßig im Fernsehen auftritt, ein echter Star im Grunde.

Aber eigentlich sind sie das ja fast alle hier, in diesem Klinkerbau in der Kleinstadt Kalkar: Stars. Frauke-Hornung, eine energisch auftretende Frau, die an diesem windigen Januartag auch im Haus Steppjacke trägt, versorgt Film- und Fernsehproduktionen mit eigenen Tieren oder holt sie von Dritten und trainiert sie für den Einsatz vor der Kamera. Franke-Hornungs niederrheinische Menagerie ist sehr gefragt. Ihre Aga-Kröte Buffo etwa wird demnächst als "Kühlwalda" in der "Catweazle"-Kinoverfilmung mit Otto Waalkes zu sehen sein.

Keines der Tiere, die sie trainierte, hat allerdings je so viel mediale Aufmerksamkeit erregt wie eine braune Henne namens Sieglinde. Und das posthum.

Sieglinde fuhr gerne Auto

Kürzlich war Sieglindes gewaltsamer Tod Gegenstand eines Prozesses am Landgericht Kleve, zu dem sogar ein russisches Fernsehteam anreiste. Ein frei laufender Hund hatte die zutrauliche Sieglinde, die friedlich auf ihrem Hof scharrte, im Sommer 2017 totgebissen. Der Halter hatte der erschütterten Besitzerin Ute Milosevic daraufhin zehn Euro angeboten, mit der Begründung: "Ist ja nur ein Huhn." Nur ein Huhn?

Sieglinde war eben kein gewöhnliches Huhn, wie Aurelia Franke-Hornung betont: "Ute rief mich eines Tages an und erzählte mir von diesem superzahmen Huhn, das gerne Auto fährt und sogar mit auf dem Pferd sitzt." Die Henne lebte auf Ute Milosevics Hof im nahen Weeze. Die Tiertrainerin, die auch auf den Namen Sieglinde kam, war nach der ersten Begutachtung überzeugt, einen Vogel mit Schauspielpotenzial entdeckt zu haben: "Sieglinde hielt sogar still, wenn knapp neben ihr ein Auto zum Stehen kam, ließ sich von jedem hochnehmen und reagierte, wenn man sie beim Namen rief."

Leider war Sieglinde dann nur ein einziger großer Auftritt vergönnt, im Fernsehfilm "Wir sind doch Schwestern", in dem sie mit stiller Würde ein angefahrenes Huhn verkörperte. Ihrem Status als Darstellerin trug der Vorsitzende Richter in Kleve Rechnung, als er Ute Milosevic in zweiter Instanz zwar nicht die geforderten 4000 Euro, aber immerhin 615 Euro zusprach: 15 Euro Kaufpreis für ein Normalhuhn plus zehn Stunden Hühnerdressur bei Aurelia Franke-Hornung à 60 Euro. Es gebe eben "keine Tierhandlung für Filmstars", begründete der Richter sein Urteil.

Aurelia Franke-Hornung war Anfang der Neunzigerjahre Hundezüchterin, damals wurde sie von einer Filmtier-Agentur kontaktiert, weil ein Hund benötigt wurde. Die Zusammenarbeit lief so gut, dass sie schließlich die Agentur übernahm und ein Vollzeitjob daraus wurde: "Dass ich mal ganz selbstverständlich mit Spinnen und Ratten arbeiten würde, hätte ich damals nicht gedacht", sagt sie. Hühner seien übrigens, entgegen allgemeinen Vorurteilen, nicht dümmer oder schwerer zu dressieren als andere Tiere: "Die sind auch nicht doofer als Papageien, die für sehr schlau gehalten werden."

Wie einen Hund könne man auch ein Huhn mit der "Klickermethode" dazu bringen, das zu tun, was man von ihm möchte. Dabei konditioniert man das Tier zunächst, indem man mit einem Knackfrosch ein Klickgeräusch erzeugt und dann gleich etwas Futter verabreicht. Markiert man mit dem gleichen Klickgeräusch eine Verhaltensweise, die man später abrufen möchte - sitzen, rennen, hüpfen -, verbindet das Huhn dieses Verhalten irgendwann mit einer Futterbelohnung, ähnlich dem Pawlow'schen Reflex. Sieglinde habe das außerordentlich schnell verstanden, sagt Aurelia Franke-Hornung.

Eine Diva mit dichter Federhaube: Das ist Estrella

Aber nun sieht es ganz so aus, als gäbe es eine neue Sieglinde, sozusagen. Bevor sie mit Echse Karl-Heinz weiter nach Köln zum Dschungelkönig fährt, macht Aurelia Franke-Hornung einen Zwischenstopp im gut dreißig Kilometer entfernten Örtchen Eversael. Hier wohnt in einem ruhigen Einfamilienhaus Sabrina Reetz mit ihrem Mann Andreas. Sabrina Reetz ist Hundetrainerin, im Garten hält sie ein paar Hühner, und als Reetz die Terrassentür öffnet, stolziert eins von ihnen besonders selbstbewusst ins Wohnzimmer: Estrella, ein helles Paduanerhuhn. Dichte Federhaube, weit glamouröser als Sieglinde, mehr Diva als Charakterdarstellerin. Aurelia Franke-Hornung sagt, Estrella sei in Sachen Lernfähigkeit ähnlich begabt wie Sieglinde.

Erste Kameraerfahrung hat Estrella, die nach einer spanischen Biermarke benannt ist, auch schon: In der RTL-Show "Denn sie wissen nicht, was passiert" mussten die Kandidaten schätzen, wie lange diverse Tiere brauchen würden, um zehn Meter zu laufen, unter anderem das Huhn. "Sie hat sich Zeit gelassen", erzählt Besitzerin Sabrina Reetz, "aber sie hatte die beste Präsenz von allen Tieren an dem Abend."

Und jetzt hat Estrella eine Rolle in einem Kinderfilm bekommen, dank Aurelia Franke-Hornung. "Beim Casting mit dem Hauptdarsteller war der Regisseur sofort total begeistert von ihr", sagt Franke-Hornung, "alle fanden sie mega." Vorgesehen war für die Rolle des Haustiers ursprünglich kein Huhn, sondern ein Frettchen.

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