Süddeutsche Zeitung

Bekannte Jugendrichterin vermisst:Suche mit Hubschraubern

Mit ihren klaren Worten über arabische Clans und fehlgeschlagene Integrationsversuche hat sie sich nicht nur Freunde gemacht: Umso größer ist die Sorge um die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig. Seit mehreren Tagen fehlt von ihr jede Spur.

Johannes Boie

Was ihr im Gerichtssaal wiederfährt, trägt die Berliner Amtsrichterin Kirsten Heisig gerne in die Öffentlichkeit. Oft sind das eher unschöne Dinge. Von arabischen Familienclans erzählt die 49-Jährige, von ihrer Meinung nach vollkommen fehlgeschlagenen Integrationsversuchen, von muslimisch geprägten Parallelgesellschaften und Intensivtätern, bei denen gar nichts mehr helfe. So macht man sich Feinde, nicht nur auf ideologisch-politischer Ebene, sondern auch bei arabischen Familienclans in Neukölln.

Umso größer ist jetzt die Sorge um die engagierte Richterin. Denn Kirsten Heisig wird seit vier Tagen vermisst. Sie soll am Montag nicht zur Arbeit erschienen sein. Mittlerweile wurde ihr ordentlich geparktes, verschlossenes Auto in Heiligensee gefunden. Das angrenzende Waldstück durchsuchte die Polizei mit Hilfe von Hunden und einem Hubschrauber.

Heisig weiß, dass sie sich mit ihren klaren Worten in der Öffentlichkeit Feinde macht. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte die Richterin vor wenigen Tagen, in ihrem Streben nach Öffentlichkeit sehe sie sich "weniger als Richterin denn als Staatsbürgerin". Für sie sei es eine demokratisch begründete Pflicht, auf Missstände hinzuweisen und zu Problemlösungen beizutragen.

"Mir springt keiner zur Seite"

Als Richterin sei sie regelmäßig mit dem "Ende der Problemkette konfrontiert". Wenn sie zu urteilen habe, sei schon zu viel im Leben des Straftäters schiefgelaufen. "Ob ein Mitglied eines arabischen Clans vier oder fünf Jahre im Gefängnis sitzt, spielt kaum eine Rolle." Vielmehr gelte es, früher anzusetzen und kriminelle Strukturen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Damit die Straftäter wenigstens den Sinn des deutschen Rechtsystems begreifen, entwickelte Heisig die Strategie, Jugendliche so schnell wie möglich zu verurteilen, um keine zeitliche und gedankliche Distanz zwischen Tat und Sühne zuzulassen. Das erfolgreiche "Neuköllner Modell" wird mittlerweile in ganz Berlin angewendet.

In dem Gespräch sagte Heisig, dass sie wenig Hoffnung auf sinkende Jugendkriminalität in den einschlägigen Bezirken Berlins hege. "In zehn, zwanzig Jahren ist Berlin überwiegend von Menschen mit Migrationshintergrund bevölkert", sagte Heisig. Dies sei "schön und gut", aber "nur solange sich die Bevölkerung an die Verfassung hält". Wie wenig das viele tun, erlebt Heisig fast täglich im Gericht, wo sie auf eine Mauer des Schweigens stößt, weil die Angeklagten private Scharia-Gerichte in Neukölln dem deutschen Rechtssystem vorziehen.

Die frühere Staatsanwältin erhält in ihrer Öffentlichkeitsarbeit wenig Rückendeckung von Kollegen. "Mir springt keiner zur Seite", sagte sie. Aber die Tatsache, dass ihr auch niemand in die Parade fahre, niemand ihr das Gegenteil dessen beweise, was sie erzähle, stärke sie.

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dpa/ehr
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