Süddeutsche Zeitung

Fearconvention:Grässlich schön

Auf der ersten deutschen Horrormesse in Bonn treffen sich Vampire, Werwölfe und Zombie-Nonnen zum Gruseln. Bringt der Alltag nicht schon Schrecken genug? Ein Besuch mit angstgeweiteten Augen.

Von Titus Arnu

Allein das Hotel ist der reinste Horror. 410 Zimmer, 350 Parkplätze, riesige Tagungsräume, schmucklose Betonfassade - das Maritim-Hotel in Bonn kann man nicht gerade als kuscheliges Romantik-Hideaway bezeichnen. Aber ganz so schlimm hatte man es sich auch wieder nicht vorgestellt. Überall Spinnweben an den Wänden, weiße Tischdecken mit Blutflecken, auf einem Tischchen steht ein großes Glas mit Augäpfeln. Der "Saal Schumann" wurde umbenannt in "Death Zone". Am Buffet begegnen einem zwei Zombie-Nonnen, die trotz ihres untoten Zustands recht gepflegt Nasigoreng verspeisen. Aus dem "Salon Haydn" dringen Schreie und Motorsägengeräusche. Der Teppichboden im großen Saal ist auch ziemlich gruselig - hypnotisch wirkende gelbe Spiralen, die einem das Gehirn wegsaugen, wenn man sie anschaut. Auf der Treppe wird man von einem Horrorclown verfolgt. Schnell weg! Aber wohin? Das gesamte Hotel ist in der Hand von Zombies, Vampiren und anderen Monstern.

Wo sonst Versicherungsvertreter Konferenzen abhalten und Hochzeiten gefeiert werden, treffen sich an diesem Wochenende Horror-Fans zur ersten deutschen Fearconvention. Fast 5000 Unerschrockene haben sich an drei Tagen zum Angstkongress gewagt. Aufgeregte Teenager stehen schrecklich lang an, um ein Autogramm von einem der Gaststars zu bekommen - etwa Joseph Morgan, bekannt als Vampir-Werwolf-Kreuzung mit dem harmlosen Namen "Klaus" aus der Serie "The Originals", Oded Fehr ("Resident Evil") und Michael Mundy ("The Walking Dead"). Horror-Händler verkaufen furchtbare Sachen - Fantasy-Kitsch, Metzger-Filme, überteuerte Sammelfiguren. Die Mörderpuppe Chucky grinst aus ihrem Karton, als wolle sie jeden Moment rausspringen und den Kaufpreis von 90 Euro mit Gewalt eintreiben. Im Foyer lassen sich Besucher klaffende Wunden, Pestbeulen und Riesenzecken an den Schädel schminken. Später am Abend gelangt ein wirklich furchtbares Horror-Musical-Potpourri zur Aufführung, danach steigt eine Zombie-Party. Kurz: Es ist ein Albtraum.

"Es tut manchmal gut, in eine andere Welt abzutauchen", sagt die Veranstalterin

Gilt man als Weichling, wenn man die Frage stellt, warum manche Menschen so viel Spaß an Tod, Verwesung und allen dazugehörigen Details haben? Die Wirklichkeit ist ja schon grauenhaft genug. Fast täglich gibt es neue Horror-Meldungen, die leider echt sind: 59 Tote bei einer Schießerei in Las Vegas, Terror, Krieg und Naturkatastrophen auf der ganzen Welt. "Feuer und Zorn" könnte der Titel einer Folge von "Game of Thrones" sein, es waren aber die drohenden Worte von US-Präsident Donald Trump gegenüber Nordkorea. Wenn real existierende Präsidenten wie Godzilla durch die Welt trampeln, wozu braucht man da noch fiktionale Monster?

"Das hat viel mit Eskapismus zu tun", sagt Barbara Ruder, Veranstalterin der Fearcon, "die echte politische Lage ist ja wirklich gruselig, da tut es manchmal gut, in eine andere Welt abzutauchen." Auch wenn sie noch grauenvoller ist. Wer apokalyptische Filme wie "World War Z" oder "The Day After Tomorrow" anschaut, bekommt es mit Themen wie Krieg und Klimawandel zu tun - aber in einem so katastrophalen Ausmaß, dass die Realität dann doch erträglicher erscheint. Das Horror-Genre funktioniert nur, weil es diese Hintertür gibt. Psychologen sprechen von "Angstlust", einer Mischung aus Furcht und Vergnügen. Der ungarische Psychoanalytiker Michael Balint hatte dieses Phänomen in den 1950er-Jahren erstmals tiefenpsychologisch untersucht und dabei herausgefunden, dass der wohlige Grusel immer die Rückkehr zur Sicherheit beinhaltet. Das Monster wird am Ende besiegt, die Zombie-Epidemie beendet, die außerirdische Bedrohung abgewehrt - bis dann die nächste Episode auf den Markt kommt und das Spiel von vorne beginnt.

Man wird mit den eigenen Ängsten konfrontiert, ohne die Folgen tragen zu müssen

"Angst hat den Menschen immer geholfen", sagt der Horror- und Fantasy-Experte Robert Vogel. Die tief verwurzelte Angst vor Spinnen, Schlangen, Raubtieren und finster gesinnten Menschen habe die Menschheit im Lauf der Evolution im Zweifelsfall weitergebracht, sagt Vogel. Der Industriekaufmann aus Darmstadt reist in seiner Freizeit zu Science-Fiction- und Fantasy-Conventions, verkauft dort Fanartikel, DVDs und hält Fachvorträge, etwa zum Thema "Alkohol in fantastischen Filmen". Beim Horrorfilm werde der Zuschauer "mit den eigenen Ängsten konfrontiert, ohne die Folgen tragen zu müssen", das mache den Reiz dieses Genres aus, sagt Vogel.

Auf der Fearcon in Bonn laufen erstaunlich viele Kinder und Jugendliche herum, die vor allem wegen der Serienstars gekommen sind. Viele sind mit ihren Eltern da, die meisten haben sich verkleidet. "Es ist eher ein Familienevent", sagt Veranstalterin Barbara Ruder. Selbstverständlich gebe es Alterskontrollen für die Filme ab 16 und ab 18 Jahren, aber wie es aussieht, gehört gemäßigter Horror auch zum Spektrum der Familienunterhaltung.

Das ist im Prinzip nicht Neues, die meisten klassischen Märchen strotzen ja nur so vor Grausamkeiten. Aber niemand wollte damals ein Selfie zusammen mit dem bösen Wolf machen und auf Facebook posten - mit dem smarten Werwolf Joseph Morgan dagegen schon. "Es gibt heute definitiv mehr Sexyness im Horrorgenre", sagt Barbara Ruder, das weibliche Publikum fährt auf wildromantische Seifenopern wie "Twilight" oder "Vampire Diaries" ab. Stars wie der 36-jährige Brite Joseph Morgan leben gut davon: Für ein gemeinsames Foto müssen die Fans 95 Euro extra zahlen. Ein Autogramm kostet 90 Euro, zusätzlich zum 75 Euro teuren Festivalpass.

Der Weg zurück in die dunkelgraue Realität eines Bonner Gewerbegebietes führt durch eine Glastür und ist dementsprechend ernüchternd, aber irgendwie auch befreiend. Drei als Zombies verkleidete Mädchen sind noch ganz beseelt vom Treffen mit Werwolf- und Vampirdarstellern, vielleicht auch ein bisschen angeschickert von einem Lakritzlikör namens "Pech". Die Drehtür bewegt sich plötzlich wie von Geisterhand, die Zombienen kreischen entsetzt auf. Manchmal braucht es nur einen Bewegungssensor für einen ordentlichen Schockeffekt.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2017
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