Faxgeräte:"Unser Fax abschalten? Das wäre sehr schlecht"

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Warum verschicken Menschen immer noch Faxe? Und warum nutzen noch 43 Prozent aller Firmen die altmodische Technologie? (Foto: Mauritius / Alamy / Zoonar / SZ-Collage)

In den Neunzigern gefeiert, in der Pandemie verlacht - und trotzdem noch lange nicht museumsreif. Auf der Suche nach Deutschlands letzten Faxgeräten, von denen es erstaunlich viele gibt.

Von Marcel Laskus

Wer an den Weihnachtsfeiertagen zu einer angespannten Gesprächsrunde etwas Heiteres beitragen möchte, der sollte sich die Zahl 43 notieren. So viel Prozent der Firmen in Deutschland versenden noch immer Faxe.

Ja, wirklich.

Die Zahl stammt vom Digitalverband Bitkom, und als er sie in diesem Sommer veröffentlichte, da klang die Erklärung dazu fast schon erleichtert. "Im Büroalltag verliert das Faxgerät stetig an Bedeutung", hieß es da. Fünf Jahre zuvor war der Wert immerhin noch doppelt so hoch. Der mit der Pandemie verbundene Digitalisierungsschub hat so manches Faxgerät auf den Schrottplatz befördert, erst zu Jahresbeginn beschloss beispielsweise auch der Bundestag, seine 8400 Geräte zu entsorgen. Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass 43 Prozent der Firmen noch immer faxen. Und das sind aus Sicht jener Leute, die nie ein Fax verschickt haben, exakt 43 Prozent zu viel.

In unserer Gegenwart der täglich verschickten Mails, Airdrops und Sprachnachrichten vertrauen aber anscheinend noch genügend Menschen zwischen Nordsee und Isar dem guten, alten Faxgerät. Aber warum? Aus Überzeugung? Aus Gewohnheit? Aus Angst, eine Nachricht zu verpassen? Zeit also, einmal der Frage nachzugehen, wer die Menschen sind, die das Fax am Leben halten.

Die Suche beginnt bei den Aussteigern. Auf Ebay Kleinanzeigen, einem soliden Gradmesser des deutschen Konsum- und Wegwerfverhaltens, sind sie schnell gefunden: Faxgeräte aller Art. Manche ein Jahrzehnt alt, andere fast nagelneu. In regelmäßigem Abstand kann man die Seite aktualisieren, schon tauchen neue Angebote auf. "Wegen Technikumstellung verkaufen wir unseren Brother FAX 2840 im sehr guten Zustand", steht da etwa in der Anzeige einer Nutzerin namens Olga. Für 90 Euro ist ihr Gerät zu haben, die Trommel mit 94 Prozent sei gut gefüllt.

Auch SAP, Teamviewer und Zalando haben eine Faxnummer

Anfrage also an die Verkäuferin: Warum faxen Sie nicht mehr? "Dieses Fax ist nicht mehr notwendig", schreibt sie zurück, stattdessen habe sie nun ein neues Gerät. Ein Multifunktionsgerät. Mit Drucker, Scanner - und wieder mit Fax. Es wird also weiter gefaxt im Haushalt der Nutzerin Olga, nur eben anders als zuvor. Zwei Angebote unter ihrem stößt man auf Martin, der in seiner Anzeige deutlich destruktiver klingt. Zu den Kabelsalat-Fotos seines zu verschenkenden Faxgerätes erklärt er: "Interessiert sich jemand vielleicht dafür und möchte das Teil vor dem Müll retten?" Die Frage deshalb auch an ihn: Warum soll das Fax weg? "Ich habe es schon seit Jahren nicht genutzt, jetzt nimmt es nur noch Platz weg", ist seine Antwort. Zwei Tage später ist die Anzeige deaktiviert, mit einem Hinweis: "verschenkt".

So passiert es hier, tagein, tagaus. Das Interessante ist: Menschen wollen sich tatsächlich noch Faxgeräte zulegen. Es gibt nicht nur ein Angebot, es gibt auch eine Nachfrage.

Womöglich liegt das daran, dass es einfach noch immer fürchterlich viele Empfänger gibt, die man mit einem Fax erreichen kann. Selbst Konzerne, die eher für Digitalisierung stehen, geben auf ihren Websites eine Faxnummer an, SAP zum Beispiel, Siemens, Teamviewer oder Zalando. Und zwar nicht als Attrappe. Schickt man ihnen zur Nachfrage ein Fax, kommt wenige Sekunden später die Sendungsbestätigung zurück - übrigens ein tatsächlicher Vorteil des Faxgeräts. Eine richtige Antwort bleibt allerdings aus. Nur Lars Müller, Sprecher von Zalando, meldet sich noch am selben Tag, allerdings nicht per Fax, sondern aus dem Home-Office per Telefon. Bei Zalando wird natürlich online und nicht per Fax bestellt, das kann auch Müller bestätigen. Man wolle aber "über verschiedene Kanäle erreichbar sein", sagt er. Wann ihn das letzte Fax erreicht hat? "Das kam lange nicht mehr vor."

Fax-Fiasko zwischen HSV und 1. FC Köln

Erreichbar sein wollen auch andere Institutionen. Fragt man etwa das Bayerische Justizministerium per Fax, kommt die Antwort per Mail: Die Zahl der Faxe sei rückläufig. Das Gerät aber behalte man, "da die Justiz auch für diejenigen Bürger erreichbar bleiben soll, die den Umstieg in die digitale Welt noch nicht vollzogen haben". Bei anderen mögen die Gründe banaler sein. So wie man auch nicht gleich die Uhr von der Wand abgehängt hat, als man zum ersten Mal ein Handy mit Zeitanzeige besaß, so bleibt eben auch die Faxnummer oft auf der Visitenkarte stehen. Tut ja nicht weh.

Anders sieht es beim Hamburger SV und beim 1. FC Köln aus. Die Fußballvereine haben mit der Technologie nachweislich unglückliche Erfahrungen gemacht. Zur Rückrunde der Saison 2010/2011 sollte der Stürmer Eric Maxim Choupo-Moting vom HSV zum FC wechseln. Choupo-Motings Vater und Berater schickte den fertigen Arbeitsvertrag per Fax nach Köln. Dort kam er auch an, aber nur teilweise. Die wichtigste Seite, jene mit der Unterschrift des Spielers, fehlte. Der Vorgang verzögerte sich so sehr, dass das vollständige Fax erst um 18.13 Uhr bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) eintraf. 13 Minuten zu spät. Denn um 18 Uhr endete an jenem Tag die Transferfrist. Der Wechsel scheiterte.

Und heute? Fast wie zum Trotz steht die Faxnummer bei beiden Vereinen weiterhin auf der Website. Aber eine Antwort auf die nach Köln und Hamburg gefaxte Frage, warum sie die altmodische Technologie auch heute noch nutzen, bleibt aus.

Fax-Fiaskos kommen im Profifußball natürlich eher selten vor. Alles andere als selten ist hingegen der Gebrauch des Faxes in den Gesundheitsämtern. Schon lange bevor die Digital-Erklärer des Landes die Corona-Warn-App und den Schiefertafel-Unterricht in deutschen Schulen kritisierten, gerieten die viel zu zahlreichen Faxgeräte in Gesundheitsämtern ins Visier der Anti-Faxer. Und das zu Recht. Anstatt die Labor-Ergebnisse der Abertausenden Corona-Tests digital zu senden, verschickten viele Ämter sie lieber per Fax. Die Folge waren Verzögerungen. Kontaktpersonen von Infizierten wurden später gewarnt. Man möchte nicht schlecht reden über ein Gerät, das sich nur mit einem Piepsen wehren kann: Aber ja, auch das Faxgerät hat wohl den einen oder anderen Corona-Toten auf dem Gewissen. Die Gesundheitsämter jedenfalls haben einige digitale Lehren daraus gezogen.

Ein Gerät für Ewiggestrige?

Das Fax aber lässt sich trotzdem nicht unterkriegen, wie die gerade einmal 59 Minuten zeigen, die es dauert, bis das Gesundheitsamt in Garmisch-Partenkirchen eine Faxnachricht beantwortet. Das Gerät habe man hier ständig im Blick, erklärt Stephan Scharf am Telefon, Sprecher des Landratsamts. "Unser Fax abschalten? Das wäre sehr schlecht." Von hundert Corona-Testergebnissen erhalte das Amt aus den Laboren bis heute etwa fünf per Fax. Ohne ein Empfangsgerät würden diese Ergebnisse also verloren gehen.

Und nicht nur das: Per Fax erreichen das Landratsamt regelmäßig Zuschriften von Bürgern. Mal gehe es darin um Beschwerden über den zu lauten Nachbarn, mal um das Melden einer kaputten Parkbank. Die Absender seien eher älter, sagt Scharf, und nicht jedes dieser Faxe sei beim Landratsamt an der richtigen Stelle. "Aber es spielt eine gewisse Rolle. Viele würden uns sonst nicht erreichen."

Ist das Fax also nur noch etwas für jene, die nicht mehr die Jüngsten sind, aber dafür umso mehr von gestern?

Peter Somann sieht das ganz anders. Somann ist Büromaschinentechniker, aber eigentlich ist er halb Mensch, halb Faxgerät. "Die nächsten 20 bis 25 Jahre spielt das Faxgerät definitiv eine Rolle", sagt er. Und mehr noch: "Das Fax wird eine Renaissance erleben." Somann möchte man zutrauen, dass er weiß, wovon er spricht. Immerhin hat er mit seinen 59 Jahren die Hochphase des Faxes, seinen vermeintlichen Niedergang und alle Phasen dazwischen erlebt. Immer wieder sei das Faxgerät totgesagt worden. Und trotzdem hat er bis heute mit ihm zu tun.

Man trifft ihn an einem Dienstagvormittag nahe dem Odeonsplatz in München, wo er gerade vom ersten Termin des Tages kommt. Ein Notar wusste nicht mehr weiter mit seinem Faxgerät, weil es nur noch Streifen druckte, aber keine Schrift. "Das passiert immer wieder", sagt Somann. Ein verblendeter Nostalgiker ist er ganz sicher nicht, auch er hat auf seinem iPhone Instagram und Whatsapp installiert, und im Jahr verkauft er nur noch ein bis zwei reine Faxgeräte an Kunden. "Im New Business verwendet man kein Fax", sagt er. Und trotzdem. Jene seiner Kunden, die ein Gerät haben, die faxen eben weiter. Privatleute, Zahnärzte, Handwerksbetriebe.

Der Architekt faxt, weil er einen Grundriss sofort auf Papier korrigieren will. Der Dachdecker faxt, weil er es gewohnt ist, seine Kabel so vom Lieferanten zu bestellen. Und weil er in einem Wechsel zu anderen Technologien einfach keinen Vorteil sieht.

Nächster Halt auf der Tour mit Peter Somann. Ein Copyshop in München-Giesing mit großen Bergen von Retour-Paketen und drei großen Multifunktionsgeräten wartet auf Hilfe. "Na, Herr Somann, wie geht's?", ruft der Mitarbeiter des Shops, "gut, dass Sie da sind." Eines der Geräte will nicht mehr, neu kostet es rund 10 000 Euro, und mit diesem Gerät macht der Laden einen relevanten Teil seines Umsatzes. Somann ist ein Mann der Tat, also verschwindet er ohne viele Worte hinter der Theke, fummelt einige Minuten an dem mächtigen Quader herum und befindet wenig später: "Jetzt geht er."

Geld verdient der Copyshop mit den Kunden, die ihre Bachelor-Arbeiten drucken lassen wollen. 100, 200 oder 300 Seiten bringen Geld. Nicht aber ein Fax, für das der Kunde pro Seite nur einen Euro zahlt. Doch für die Kunden geht es bei ihren Faxen um vieles, manchmal sogar um alles. Verpflichtungserklärungen der Ausländerbehörde wurden bei ihm schon gefaxt, sagt der Mitarbeiter, Briefe an Banken, an Krankenkassen, Kündigungen und Bescheinigungen aller Art, viele Faxe gehen ins Ausland.

Wie oft jemand herkommt, um zu faxen? "Einmal in der Woche, mindestens."

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