Fashion Week:Die Stege der Erleuchtung

Champanger im Beton-Gerippe, funktionsloser Zierrat und eine überzeugte Dirndl-Trägerin - Beobachtungen von der Berliner Modewoche, die diesmal nicht nur cool, sondern auch elegant sein wollte.

Von Anne Goebel

Die Modewoche Berlin brachte für vier Tage wieder Zehntausende Gäste in die Stadt, Designer, Visagisten und Journalisten, Einkäufer, Blogger und Viertel- bis Vollprominente. Beobachtungen vom größten Laufsteg der Republik.

1. Ein bisschen fesch

Tag eins der Fashion Week in Berlin - und die Frage lautet: Wird die Hauptstadt jetzt etwa adrett? Im Publikum der ersten Schauen tauchen junge Frauen in schwingenden Fifties-Röcken auf, hellblau gemustert, daneben Streifenblusen und Chinos mit scharf gebügelter Falte. Das ist eigentlich, wenn man sich die deutsche Modelandkarte vor Augen hält, mehr München-Bogenhausen als Kreuzberg. Natürlich fehlt auch der gewohnt abgewetzte Look nicht unter all den Partygängern, Stylisten, Fotografen und Bloggern, die jetzt wieder für ein paar Tage durch die Stadt mäandern. Aber ein bisschen fesch sein und trotzdem die coolste Stadt der Welt, das scheint neuerdings zusammenzugehen. Und wer genau hinschaut, kann auch bei den Veranstaltungsorten eine Tendenz zur Veredelung erkennen. Man lädt in ein Penthouse mit lautlos gleitenden Schiebetüren aus teurem Holz oder in kathedralenhafte Hallen. Auf der Terrasse des Kronprinzenpalais: Gartenstühle, die aussehen wie aus einem englischen Landhauskatalog. Steht Berlin gar nicht schlecht, der neue Look. Damit es authentisch großstädtisch bleibt, liegt das neue Hauptquartier der Modewoche im abgerockten Erika-Heß-Eisstadion, bekannt für seine Hexenkessel-Atmosphäre.

2. Warten, Warten, Warten

Warten gehört zu jeder Modewoche, wobei es schon darauf ankommt, auf wen - Cathy Hummels ist als Grund für Verzögerung in Ordnung. Zumindest scheint sich bei der Show von Dorothee Schumacher ein mildes Gefühl von Nachsicht unter den Gästen auszubreiten, als die sanft gelockte Spielerfrau endlich zu ihrem Platz in der ersten Reihe stakst. Bei anderen wie Arabella Kiesbauer muss das Taxi zurück zum Flieger nach Wien warten. So lange, bis die überzeugte Dirndlträgerin einem Journalisten den tieferen Sinn ihrer TV-Show "Bauer sucht Frau" erläutert hat. Und was das Ausmaß der Verspätungen angeht, sorgten diesmal eingeflogene Stars wie Milla Jovovich und Alessandra Ambrosio für die Art von Spannung, die haarscharf an der Grenze zur Unhöflichkeit liegt und deshalb als glamourös gilt. Marc Cain ist im Berliner Schauenkalender Spezialist für die international hochkarätige Gästeliste und ließ die beiden Models (Jovovich im plissierten Kleidchen) in der ersten Reihe Platz nehmen. Spät, sehr spät, aber dafür jeweils mit bildhübscher Tochter. Das Publikum schmolz dahin.

3. Mehr Luft

Wenn es nach Berlin geht, wird der nächste Sommer an den Armen luftig. Die deutsche Hauptstadt ist die Auftaktstation im halbjährlichen Laufsteg-Marathon und gilt als erstes Trendbarometer. Bei ihren Entwürfen für Frühjahr/Sommer 2017 zeigten die Designer viel Schulterfreies, gern auch asymmetrisch. Und wenn Ärmel, dann als kleine Volants - oder als lose Stoffbahnen, mal von Bändeln zusammengehalten, mal neben den Armen flatternd wie bei Odeeh, Lala Berlin und Dorothee Schumacher. Dekonstruieren nennt das die Mode so schön akademisch, wenn Kleidungsstücke in ihre Bestandteile zerlegt werden. Die Trägerin sieht in so etwas immer sehr avantgardistisch aus. Das gilt auch für all die Bänder, baumelnden Träger, überbreiten Stoffgürtel, etwa bei Malaikaraiss - reiner Zierrat, der keine Funktion hat, aber den Looks etwas scheinbar Zufälliges, Improvisiertes gibt. Das passte besonders gut zu Streifenmustern und kühlem Weiß. Wer eher Farben mag, kann im kommenden Sommer wählen zwischen Zitronengelb, Limettengrün und tiefem Azur - bei Laurel ist das königsblaue Garn zu einem extraluftigen Häkelkleid versponnen.

4. Jubel auf der Baustelle

König Alessandro regiert auch in Berlin, indirekt zumindest. Der Gucci-Chefdesigner Alessandro Michele ist so einflussreich wie kaum ein anderer seiner Zunft, und er lehrt: Muster bitte ungeniert solange miteinander mixen, bis der Look aussieht wie eine edle Retro-Couch. Das Design-Duo Odeeh, Otto Drögsler und Jörg Ehrlich, zeigten in ihrem Defilee luxuriöse Streetwear, getupft, gestreift, mit grafischen Blüten - eine souveräne Punktlandung, anschließend Jubel auf der Baustelle des Berliner Schlosses. Dort gab's vor Showbeginn Champagner im Beton-Gerippe. Lala Berlin zeigte in einem sparsam möblierten Penthouse am Kurfürstendamm fließende Paisleymuster und Leopardendrucke zu mohnroter Seide - mit den auf Tischen arrangierten Stillleben aus Blüten, Kirschen und Nüssen ein Gesamtkunstwerk. "Meine iranischen Wurzeln sind stark spürbar in dieser Kollektion", so die Designerin Leyla Piedayesh.

5. Bewegung

Mode ist am Ende ein Geschäft, das sich lohnen muss - so etwas wird gerne mal vergessen in der Euphorie einer Fashion Week. In der Hauptstadt ist der Berliner Salon das Forum für Nachwuchsdesigner, die im Kreativzentrum Kronprinzenpalais neben Arrivierten zeigen, was sie können. Schmetterlingskorsagen bei Marina Hoermanseder, Minimalismus aus Tropenmustern bei Perret Schaad: Das sind Namen, die man in der Szene kennt, aber im Einzelhandel machen sie den internationalen Designern keine Konkurrenz. Der "German Fashion Council", nach Londoner Vorbild gegründet, möchte das ändern und die vielversprechenden Deutschen effektiver vernetzen, mit globalen Unternehmen, den Kundinnen weltweit. Ein hehres Ziel, in Berlin gab es jetzt konkrete Ergebnisse zu verkünden: Eine Kooperation mit der schwedischen Kette H&M zum Beispiel, auch eine Zusammenarbeit mit dem Luxus-Anbieter Luisa Via Roma sei angebahnt worden. Und Shadi Halliwell vom Londoner Kaufhaus Harvey Nichols saß bei René Storck, jetzt schon ein Meister kühler Eleganz, in der ersten Reihe. Es bewegt sich etwas bei den jungen Mode-Berlinern.

6. Klatsch

Die Mode liebt den Klatsch, und nichts ist schöner als mit Namen zu jonglieren, vorzugsweise denen aus der eigenen Branche. In Paris ist die erregte Debatte darüber, wer wen beerben könnte im Menuett der fantastischen Abgänge aus berühmten Häusern inzwischen zu einer Lieblingsbeschäftigung während der Modewoche geworden. Berlin, wie gewohnt eine Nummer kleiner, hat im Juni 2016 immerhin auch ein paar Neuigkeiten zu vermelden. Lokalmatador Kilian Kerner ließ seine Show diesmal sausen, über das baldige Aus des Labels wird seither spekuliert. Auch der hochgehandelte Jungstar Bobby Kolade setzte aus. Dafür kehrte Michael Michalsky zurück mit seiner gewohnt pompösen "Style Nite", in der Friedrichstadtkirche ließ der Designer zu Orgelmusik Models in Federkleidern und Glitzer defilieren. Und Besuch aus dem hohen Paris? Kam leider doch nicht, Alber Elbaz war angekündigt, der legendäre und unschön geschasste Lanvin-Designer, Schirmherr des Berliner Nachwuchspreises "Designer for Tomorrow". Aber er ließ sich entschuldigen - wegen Krankheit, ganz schnöde und banal.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: